Von der "Lindenstraße" zu "The Crown": Schauspielerin Anja Antonowicz spricht mit t-online über das Ablegen alter Rollen und das Älterwerden in der Filmbranche. Seit Jahren gehört Anja Antonowicz zum festen Ensemble des Kieler "Tatorts", Millionen kennen ihr Gesicht aus dem Sonntagabendprogramm. Doch ihre Fernsehkarriere begann lange davor: In der "Lindenstraße" fasste sie einst Fuß im deutschen Fernsehen, wuchs mit der Branche – und ihren Umbrüchen – mit. Im Gespräch mit t-online blickt sie nun zurück und nach vorn: Sie spricht offen über die Veränderungen in der Medienlandschaft, Machtverschiebungen – und darüber, was das Älterwerden für Schauspielerinnen heute bedeutet. t-online: Für viele Menschen war die "Lindenstraße" ein Stück Alltag, der sie über lange Zeit begleitete. Welche Bedeutung hatte die Serie für Sie? Anja Antonowicz: Sie war nicht nur aus beruflichen, sondern auch aus privaten Gründen ein wichtiger Teil meines Lebens. Vor der "Lindenstraße" hatte ich "Bella Block" gedreht, musste danach aber zurück nach Polen . Durch die "Lindenstraße" hatte ich dann jedoch einen festen Arbeitsvertrag, konnte in Deutschland bleiben und mir hier etwas aufbauen. Wie haben Sie damals auf Ihre Festanstellung reagiert? Als der Vertrag nach einem halben Jahr für die nächsten zwei Jahre verlängert wurde, besuchte ich gerade meinen Bruder in Warschau . Ich war so glücklich, bin ausgeflippt und mit ihm in einem Adidas-Laden einkaufen gegangen, um den Moment zu feiern. Und dann haben Sie in Köln Fuß gefasst? Ja, Köln war meine erste Station in Deutschland. Es war wild, schön, offen und der Start für mein heutiges Leben. Ich habe mich in meiner neuen Heimat und in der deutschen Film- und Fernsehwelt eingefunden. Einige Kollegen haben mich damals unterstützt, mir Künstleragenturen empfohlen. Wenn ich daran denke, werde ich melancholisch. Zu welchen "Lindenstraße"-Kollegen haben Sie heute noch Kontakt? Ich war lange sehr eng mit Nina-Zöllig-Darstellerin Jacqueline Svilarov befreundet und schreibe noch ab und an mit ehemaligen Kollegen wie Gunnar Solka, der damals Peter Lottmann spielte. Außerdem bin ich mit Marie-Luise Marjan in Kontakt. Zu ihr habe ich eine ganz besondere Bindung. Als ich "Lindenstraße"-Neuling war und ihre Schwiegertochter, also die von Mutter Beimer, gespielt habe, haben wir zusammen viele Events besucht. Das hat uns nähergebracht. Aber auch mein damaliger Arbeitgeber, "Lindenstraße"-Produzent Hans Geißendörfer, hat für mich eine wichtige Rolle gespielt. Inwiefern? Er war nicht nur ein toller Geschäftsführer, er hat sich auch sehr um seine Mitarbeiter gekümmert. Er war offen für die Ideen der Schauspieler und bereit, Kompromisse einzugehen, um gemeinsam etwas Gutes zu entwickeln. Das vermisse ich heutzutage oft beim Film. Harte Grenzen zwischen Schauspielern, Drehbuchautoren, Produktionen, Redakteuren verschlechtern die Stimmung bei Dreharbeiten. Früher gab es noch Warm-ups und Bergfeste zum Kennenlernen, heute sehen wir uns oft gar nicht mehr. Außerdem würde man sich etwa bei Produktionen wie dem "Tatort" wünschen, mehr Einfluss auf die Geschichten nehmen zu können. 2014 haben Sie die "Lindenstraße" verlassen. Was hat Sie damals dazu bewegt? Ich habe damals festgestellt, dass ich beim Film mehr Impulse brauche. So schön es auch war, Stabilität zu haben und Teil des Ensembles zu sein, wollte ich wie ein pubertierender Teenager in die freie Welt hinaus. Ich wollte neue Rollen spielen und das Image meiner Figur Nastya ablegen. Hat das gleich funktioniert? Ich hatte zunächst Sorge, dass ich wegen der "Lindenstraße" keine anderen Rollen bekomme, aber das hat sich nicht bestätigt, im Gegenteil. Ich hatte bereits zum Zeitpunkt meines Ausstiegs sogar einige Angebote vorliegen. Ich weiß aber, dass ehemalige Kollegen durchaus Schwierigkeiten hatten, sich von ihrem "Lindestraße"-Image zu lösen. Sie konnten das Image ablegen, spielten 2022 in der Netflix-Produktion "The Crown" mit. Wie war das für Sie? "The Crown" ist schauspielerisch ein anderes Niveau als die "Lindenstraße". Von einer solchen Produktion konnte ich bis dahin nur träumen. Groß, super geschrieben und mit vielen internationalen Stars, die man sonst immer nur aus der Ferne bewundert. Als ich nach dem Casting die Zusage bekam, musste ich weinen. Es war so ein wichtiger Moment für mich. Bei der Produktion war ich entsprechend aufgeregt. Sie drehen zudem viel für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sind regelmäßig im Kieler "Tatort" zu sehen. Einige Ihrer Kollegen klagen über einen Verjüngungskurs bei ARD und ZDF . Ist es für ältere Schauspielerinnen schwieriger geworden, Rollen zu bekommen? Nun, ich bin gerade 44 geworden und bemerke langsam das Loch, von dem viele Kolleginnen wie Annette Frier berichten. Die Zahl der Anfragen für Rollen ist nicht mehr so hoch wie einst. Diesen Verjüngungstrend im deutschen Fernsehen gibt es, das steht außer Frage. Wird dabei bei Frauen strenger aussortiert als bei Männern? Ich bin überzeugt, dass in der Filmbranche immer bestimmte Typen bevorzugt wurden, wie etwa schöne und junge Frauen. Wir können dagegen nur schwer ankämpfen. Für mich ist wichtig, dass wir divers bleiben, dass wir unterschiedliche Menschen sehen – ältere, jüngere – und dass sich das Fernsehen nicht nur auf einen Typ fokussiert. Ich habe großes Vertrauen, dass die Produzenten sehen, dass wir unterschiedliche Menschen in Film und Fernsehen brauchen. Warum setzt der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf Verjüngung? Es geht vor allem darum, jüngere Zuschauer zurückzugewinnen – insbesondere für das lineare Fernsehen. Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen kreative Wege finden, um die Generationen, die lieber Netflix schauen, für die Primetime-Sendungen zurückzugewinnen. Ich kenne das Problem aus dem Privaten. Wenn ich meinem Sohn sage, dass wir um 20.15 Uhr zusammen einen Film schauen, irritiert ihn, dass der Film zu einer festen Zeit läuft und man ihn nicht einfach pausieren kann. Durch die ARD- und ZDF-Mediatheken kann in der Hinsicht heute aber auch die jüngere Generation abgeholt werden. Sie machen sich also keine Sorgen? Ich hoffe auf einen Wandel, in dem auch ältere und erfahrene Schauspieler weiterhin einen Platz haben. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, vorwiegend junge Schauspieler zu engagieren. Natürlich müssen wir Wege finden, die junge Generation zu erreichen, aber da dürfen erfahrene Schauspieler nicht außen vor bleiben. Junge Menschen brauchen auch Vorbilder. Darum ist es wichtig, dass auch ältere Schauspieler sichtbar bleiben. Sie spielen im Kinofilm "No Hit Wonder" mit, darin geht es um das Wiederaufstehen nach Krisen. Haben Sie solche Situationen auch selbst erlebt? Ja, wie jeder Mensch hatte auch ich schon schwierige Phasen in meinem Leben. Durch meinen Beruf kann ich eigentlich nie entspannen, sondern halte immer Ausschau nach Rollenangeboten. Axel Milberg sagte mir mal: "Anja, das Leben des Schauspielers ist lang." Und damit hat er es auf den Punkt gebracht. Unser Leben ist von Unsicherheiten geprägt – plötzlich kommen keine neuen Rollenangebote mehr. Und man fragt sich: War's das? Wer steht Ihnen in solchen Krisenzeiten zur Seite? Ich habe drei Personen, die mein Leben zusammenhalten. Zum einen meine Mutter, die krisenfest ist. Außerdem stehen mir meine beste Freundin Ina und mein Partner Knut zur Seite. Er kommt nicht aus der Filmbranche und teilt mir seine Sichtweise von außen mit. Er hilft mir, in schwierigen Zeiten nicht im Selbstmitleid zu versinken, sondern reicht mir stärkend die Hand.