Es heißt, ein König strahlt nur, wenn er Hofnarren um sich hat — gilt das auch für Bitcoin und seine unzähligen Spaßcoins? Bitcoin kennt inzwischen fast jeder: Eine digitale Währung, die für manche die Verwirklichung eines Freiheitsideals ist – und für andere ein milliardenschweres Spekulationsobjekt. Ethereum ist für viele schon komplizierter, aber immerhin noch vielen bekannt. Doch neben diesen Platzhirschen tauchen immer neue Namen auf: Cardano, Stellar, Polkadot, Cosmos, Polygon. Und noch wilder wird es mit Coins wie Pudgy Penguins, Bonk oder Newton — oft belächelt als Spaßprojekte, teils aber mit Millionenvolumen gehandelt. Wer soll das alles noch durchschauen? Im Gespräch mit t-online verrät Kryptoexperte und Gründer der Medien- und Newsplattform "Bitcoin2Go", Mirco Recksiek, was hinter diesem Wildwuchs steckt – und wie Anleger dafür sorgen, dass am Ende nicht der Traum von der digitalen Freiheit platzt. t-online: Herr Recksiek, Bitcoin ist derzeit das Maß aller Kryptowährungen. Daneben gibt es viele andere wie Ethereum, Litecoin , Cosmos oder Polkadot. Wozu wurden sie ursprünglich geschaffen — was ist ihr konkreter Nutzen? Mirco Recksiek: Neue Kryptowährungen, auch Altcoins oder alternative Coins zu Bitcoin genannt, haben das Ziel, vermeintliche Schwächen von Bitcoin zu beheben. Nehmen wir das Beispiel Litecoin. Hier hatte das Projekt den Ansatz, "schneller" als das Bitcoin-Netzwerk zu sein. Schnell heißt in diesem Fall, dass Nutzer nur 2,5 Minuten auf die Bestätigung einer Transaktion warten mussten. Das ist quasi vier mal "schneller" als das Bitcoin-Netzwerk, bei dem es 10 Minuten sind. Worauf bezieht sich die Transaktionsgeschwindigkeit? Was wird übertragen? Man muss wissen, dass bei der Übertragung von Bitcoin keine echten Münzen oder digitale Dateien übertragen werden. Stattdessen werden digitale Berechtigungen zum Ausgeben eines bestimmten Bitcoin-Guthabens von einer Adresse zur anderen protokolliert. Faktisch wird eine Art Eintrag in einem öffentlichen Kassenbuch, der Blockchain, geändert. Die lange Bearbeitungszeit garantiert, dass Transaktionen sicher, öffentlich nachvollziehbar und fälschungssicher sind. Dazu benötigt man aber nicht 5.000 alternative Kryptowährungen? Nein, viele dieser Altcoins wollen auch gar keinen besseren Bitcoin schaffen, sondern eine völlig neue Anwendung. Ethereum hat beispielsweise erkannt, dass die Blockchain-Technologie mehr als ein Zahlungsnetzwerk sein kann. Ethereum hat dezentrale Anwendungen, kurz dApps, möglich gemacht und somit einen "App-Store" für die Blockchain geschaffen. Konkrete Anwendungsmöglichkeiten wären unter anderem der direkte Handel mit Kryptowährungen, Kreditvergabe und vieles mehr – ganz ohne Banken oder Zwischenhändler. Spieler können beispielsweise digitale Güter oder Spielfortschritte als Eigentum auf der Blockchain speichern. All diese Anwendungen sind dezentral organisiert – es gibt keinen einzelnen Betreiber, der Kontrolle oder Zugriff auf Nutzerdaten hat. Wenn inzwischen Coins wie Pudgy Penguins, Bonk oder Newton auftauchen: Ist das dann aus Ihrer Sicht Innovation oder reine Spekulation? Viele dieser Kryptowährungen sehen ihren konkreten Nutzen oft in technischen Verbesserungen oder neuen Anwendungsfällen – auch wenn die praktische Relevanz oft hinter den Ambitionen zurückbleibt. Und natürlich haben sich in der ganzen Zwischenzeit auch noch jede Menge der sogenannten "Meme-Coins" entwickelt, die weder Nutzen noch Sinn haben, aber aufgrund ihrer Popularität dennoch Aufmerksamkeit erzeugen. Wer finanziert denn die Entwicklung solcher Kleinst-Coins – stecken da oft nur Tech-Fans dahinter oder professionelle Investoren? Beides kommt vor. Einige Projekte entstehen aus der Community heraus, mit wenig Kapital und viel Idealismus. Andere hingegen werden von professionellen Risikogeldgebern mitfinanziert, die früh einsteigen und später aus dem Hype Kapital schlagen wollen. Ein wichtiger Punkt, um wirtschaftliche Interessen besser einschätzen zu können, sind die sogenannten Tokenomics – also die "Wirtschaftslehre der Token". Das heißt vereinfacht: Wer bekommt beispielsweise in einer Online-Spielwelt digitale Geldstücke, wie viel Wert hat eins dieser Geldstücke, wer bekommt wie viele, und was kann man mit ihnen machen. Wer hier genau hinschaut, erkennt oft frühzeitig, ob das Projekt eher Community-orientiert oder auf schnellen Profit ausgelegt ist. Ich gebe jedoch auch zu bedenken, dass gerade diese Recherche für Kleinanleger häufig schwer nachvollziehbar und zeitaufwendig ist. Kann man bei so vielen Projekten überhaupt noch seriöse von unseriösen unterscheiden, ohne Informatik studiert zu haben? Ja, aber es ist nicht einfach. Bei "Bitcoin2Go" setzen wir stark auf Bildung und versuchen, grundlegende Kriterien zu vermitteln: Wer steckt hinter dem Projekt? Gibt es reale Anwendungsfälle? Wie transparent ist die Entwicklung? Ein Informatikstudium braucht man dafür nicht – aber gesunder Menschenverstand und eine gewisse Skepsis helfen enorm. Welche Kriterien sollten Anleger beachten, wenn sie eine Kryptowährung ernsthaft als Investment prüfen wollen? Anleger sollten sich drei Fragen stellen: Was ist der Nutzen? Wer entwickelt es? Wie wird es verwendet? "Wilde Kryptowährungen" bieten manchmal höhere Renditechancen – vergleichbar mit Aktien, die an den Börsen im Centbereich gehandelt werden. Aber sie sind auch deutlich riskanter. Wer sich darauf einlässt, sollte wissen: Es geht hier eher um Spekulation als um nachhaltiges Investieren. Ich sage immer: "Das A in Altcoin steht für aktives Handeln." Wer also nicht gewährleisten kann, den Markt aktiv zu verfolgen und auch entsprechend schnell zu handeln, sollte besser die Finger von Altcoins lassen. Beschädigen diese unzähligen Kleinst- und Spaß-Coins das Krypto-Universum nicht, indem sie das Vertrauen der Menschen verspielen? Sie erschweren es definitiv, Vertrauen aufzubauen. Wenn Schlagzeilen vor allem von Betrug oder Totalverlusten handeln, färbt das auch auf seriöse Projekte ab. Noch problematischer ist es, wenn Medien oder Influencer mit "1.000 Prozent Rendite mit diesem Coin"-Versprechen locken – das erzeugt völlig falsche Erwartungen. Den Menschen muss klar sein: Hohe Rendite bedeutet auch hohes Risiko. Und dieses Verhältnis lässt sich nicht wegdiskutieren. Vertrauen entsteht durch Transparenz, realistische Kommunikation und langfristige Entwicklung – nicht durch kurzfristige Kursgewinne. Könnte diese Zockerei langfristig auch die Akzeptanz von etablierten Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum untergraben? Kurzfristig ja – langfristig eher nicht. Bitcoin und Ethereum haben sich als Infrastruktur etabliert, auch institutionelle Investoren und Unternehmen nutzen sie. Die spekulativen Auswüchse im Altcoin-Bereich bremsen die Akzeptanz vielleicht, aber sie werden deren Fundament nicht erschüttern. Wichtig ist, dass Medien und Bildungsinitiativen hier aufklären und differenzieren, sodass Anleger auch wirklich die Unterschiede verstehen. Die sieben größten Bitcoin-Mythen: Was stimmt wirklich? Krypto auf der Überholspur: Hat Bitcoin das Zeug zum Massenphänomen? Gibt es überhaupt eine Art Finanzaufsicht oder Schutzmechanismen, wenn Menschen mit solchen Altcoins ihr Geld verlieren? In den meisten Fällen gibt es keinen Schutz. Der Kryptomarkt ist in vielen Regionen unreguliert – vor allem außerhalb Europas. In der EU sorgt allerdings die neue MiCAR-Verordnung für eine zunehmend klare Regulierungsbasis. Sie verpflichtet Projekte unter anderem dazu, ein Whitepaper zu veröffentlichen, das grundlegende Informationen über Risiken und die Tokenstruktur, also den Aufbau und die Eigenschaften eines digitalen Tokens, offenlegt. Das schafft zumindest eine Mindesttransparenz, ersetzt aber keine eigene Recherche. Wer investiert, trägt weiterhin die volle Verantwortung. Das macht Aufklärung so wichtig: Nur wer versteht, worin er investiert, kann Risiken richtig einschätzen. Und das fehlt vielen leider noch. Wird sich Ihrer Einschätzung nach irgendwann "die Spreu vom Weizen" trennen, heißt: Werden Kryptowährungen lautlos verschwinden? Diese Trennung passiert bereits – nur nicht über Nacht. Viele Projekte verschwinden still, wenn das Interesse und das Kapital fehlen. Andere entwickeln sich weiter, auch jenseits des Medienrummels. Der Markt wird sich bereinigen, so wie in jeder frühen Technologiebranche. Und am Ende bleiben die Projekte, die echten Nutzen stiften. Wenn man die letzten Jahre betrachtet, sieht man das deutlich: Vor drei bis vier Jahren standen ganz andere Projekte im Fokus als heute – und davor war es nicht anders. Die Rotation an der Spitze ist hoch – was bleibt, sind Substanz und Relevanz. Was müsste geschehen, damit Kryptowährungen insgesamt mehr Vertrauen bei der breiten Bevölkerung gewinnen? Es braucht mehr Regulierung, mehr Transparenz und vor allem mehr Bildung. Solange Menschen Coins kaufen, nur weil sie auf Social Media im Trend sind, wird das Vertrauen nicht wachsen. Wenn aber klar ist, wer hinter einem Projekt steht, wie es funktioniert und welchen realen Nutzen es hat, kann auch die breite Bevölkerung fundierte Entscheidungen treffen. Und: Staatliches Engagement kann ebenfalls ein Signal sein. Einige Länder – etwa einzelne Bundesstaaten in den USA – investieren bereits in Bitcoin als strategische Reserve. Das sind ernst zu nehmende Schritte. Aber: Solche Entwicklungen betreffen bislang ausschließlich Bitcoin – nicht den restlichen Altcoin-Markt. Herr Recksiek, wir danken Ihnen für das Gespräch.