Bundesliga: Reiner Calmund von Wirtz-Wechsel nach Liverpool überrascht

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Als Manager von Bayer Leverkusen machte sich Reiner Calmund einst einen Namen. Vor Saisonstart spricht er über den Umbruch bei seinem Ex-Klub – und äußert Kritik an der Klub-WM. Kaum ein Funktionär hat die Geschichte von Bayer 04 Leverkusen so sehr geprägt wie Reiner Calmund . Der mittlerweile 76-Jährige arbeitete von 1976 bis 2004 für den Werksklub, zunächst als Jugendleiter und Stadionsprecher, später als Manager und Geschäftsführer. In Calmunds Amtszeit fielen der Leverkusener Uefa-Cup-Sieg 1988 sowie der Gewinn des DFB-Pokals 1993. Einen Meistertitel konnte Bayer unter seiner Riege aber nie erringen. Gleich viermal landeten die Rheinländer zwischen 1997 und 2002 in der Bundesliga nur auf Rang zwei, prägten in dieser Zeit den Begriff "Vizekusen". Der Fluch des zweiten Platzes endete dann aber im vergangenen Jahr. Unter Trainer Xabi Alonso feierte Leverkusen 2024 mit Stars wie Florian Wirtz , Jonathan Tah und Granit Xhaka die erste deutsche Meisterschaft der Vereinsgeschichte. Vor der neuen Saison haben der Spanier sowie zahlreiche Spieler dem Verein jedoch den Rücken gekehrt. Als Ersatz für Alonso verpflichtete Leverkusen Erik ten Hag als Cheftrainer. Der Niederländer hat nun die Aufgabe, den Verein mit einem komplett umstrukturierten Kader in die nächste erfolgreiche Ära zu führen. t-online hat mit Reiner Calmund über den großen Umbruch bei Bayer Leverkusen gesprochen. Dabei findet der ehemalige Funktionär lobende Worte für die Klub-Bosse und erzählt, was ihn am Wechsel von Florian Wirtz nach Liverpool überraschte. Außerdem berichtet "Calli" über Transferverhandlungen mit dem FC Bayern und was ihn am neuen Modus der Klub-WM so stört. t-online: Herr Calmund, die Bundesliga startet in die neue Saison. Kann es in diesem Jahr einen anderen Meister als den FC Bayern geben? Reiner Calmund: Der FC Bayern hat auf jeden Fall den besten Kader in der Liga. Der Gesamtmarktwert der Spieler liegt aktuell bei knapp 900 Millionen Euro. Zum Vergleich: Die Verfolger und Anwärter auf die Champions League sind RB Leipzig mit einem Kaderwert von fast 500 Millionen Euro, Bayer Leverkusen mit 436, Dortmund mit knapp 400, Frankfurt mit 336 und Stuttgart mit 307. Allein deshalb sind die Bayern in dieser Saison wieder haushoher Favorit auf den Titel. Sie sind weiterhin das Maß aller Dinge in der Bundesliga. Der größte Konkurrent der Münchner war in den vergangenen Jahren ihr Ex-Verein Bayer Leverkusen. Der Klub hat in diesem Sommer einen enormen Umbruch hinter sich. Neben zahlreichen Spielern ging auch Trainer Xabi Alonso. Machen Sie sich Sorgen, dass in Leverkusen nach erfolgreichen Jahren jetzt alles den Bach runtergeht? Nein, ich habe volles Vertrauen in den Klub – vor allem in die Arbeit von CEO Fernando Carro und Sportdirektor Simon Rolfes. Die beiden waren immerhin auch die Bauherren der Leverkusener Doublesaison 2023/2024. Dass Xabi Alonso nach dieser erfolgreichen Zeit bei Bayer als Spanier zu seinem früheren Verein Real Madrid wechselt, muss man übrigens akzeptieren, auch wenn es wehtut. Er hat für Bayer Leverkusen ohne Frage Großartiges geleistet, war der Meistermacher dieses Vereins. Das darf man nie vergessen. Die großen Fußstapfen, die Xabi Alonso hinterlassen hat, soll nun Erik ten Hag ausfüllen. Ist er dieser Aufgabe überhaupt gewachsen? Ich bin mir sicher, dass Simon Rolfes ihn im Vorfeld wie bei einem Ultraschall komplett durchleuchtet hat. Natürlich sind die Fußstapfen von Xabi Alonso groß. Erik ten Hag bringt aber schon Erfahrung mit, er hat bereits bei großen Klubs gearbeitet und wird mit Bayer einen oberen Tabellenplatz erreichen. Wie weit oben? Unter den gegebenen Umständen wäre die Champions-League-Qualifikation auf jeden Fall ein Erfolg. Das ist aber auch kein Selbstläufer. Das Ticket für die Königsklasse bekommst du von der Uefa nicht geschenkt. Einer der Stars, die den Klub verlassen haben, war Führungsspieler Granit Xhaka. Ten Hag hätte den Schweizer gerne gehalten. Warum hat sich Leverkusen doch für einen Verkauf entschieden? Granit ist 32 Jahre alt, hat vom AFC Sunderland aus England noch einmal ein sehr gutes Angebot bekommen. Er wollte unbedingt dahin, dann ist es auch schwer, so einer Persönlichkeit wie ihm das auszureden. Wenn du für einen Spieler in dem Alter dann sogar noch 20 Millionen Euro kriegst, dann musst du das machen. Da braucht man nicht drum herumzureden. Insgesamt hat Leverkusen in diesem Sommer weit über 200 Millionen Euro an Transfererlösen erzielt. Wie ist diese Summe für den Verein einzuordnen? Das gab es noch nie, das ist eine Traumzahl. Leverkusen hätte aber sicherlich gerne auf ein paar Millionen verzichtet und dafür einige Schlüsselspieler gehalten. Du kannst diese Abgänge aber nicht immer verhindern. Simon Rolfes und Fernando Carro haben auf der anderen Seite wie auch in den vergangenen Jahren erstklassige Transfers abgewickelt. Jetzt muss man den neuen jungen Leuten im Klub auch das Vertrauen schenken. Allein 125 Millionen Euro generierte Bayer durch den Abgang von DFB-Star Florian Wirtz. Der entschied sich für den FC Liverpool und gleichzeitig gegen den FC Bayern und Manchester City : Die richtige Wahl? Wirtz hatte vier, fünf große Möglichkeiten. Xabi Alonso hätte ihn zum Beispiel sicherlich auch gerne mit nach Madrid genommen. Am Ende kamen für mich aber eigentlich nur drei finanzstarke Vereine für Wirtz infrage: Manchester City, der FC Liverpool und die Bayern. Ich hätte Liverpool in diesem Rennen eigentlich nur an dritter Stelle gesehen. Am Ende kommt es aber manchmal anders, als man denkt. Und was hätten Sie gedacht? Den Bayern hatte ich mit Uli Hoeneß und allem Drumherum eine gute Chance ausgerechnet, City vor allem mit Trainer Pep Guardiola und der wohl höchsten Finanzkraft. Ich habe aber erfahren, dass die Verantwortlichen aus Liverpool fünf- oder sechsmal in Leverkusen waren, ohne dass davon irgendetwas rausgekommen ist. Das kann auch ein Argument für einen Spieler sein. Das Werben des FC Bayern um Florian Wirtz war hingegen äußerst öffentlich. Ähnlich ging der Klub zuletzt bei Nick Woltemade vom VfB Stuttgart vor, der aber wohl auch nicht nach München wechseln wird. Agieren die Bayern auf dem Transfermarkt zu selbstgefällig? Ich sehe in München nicht alles so kritisch, wie es gemacht wird. In den letzten zwölf Jahren wurden die Bayern immerhin elfmal deutscher Meister und waren der erfolgreichste deutsche Verein in Europa. Aus meiner Zeit als Manager kann ich zudem sagen: Die Bayern waren bei Verhandlungen nie überheblich, sondern immer clever, fair und anständig. Wie liefen die Gespräche damals? Mit Uli Hoeneß hätte ich alles per Handschlag regeln können. Er und Karl-Heinz Rummenigge sind mit ihrem Einfluss nach wie vor ein Glücksfall für den Verein. Den Münchnern braucht in Deutschland auch niemand Tipps geben – weder ich noch irgendwelche anderen Ex-Manager und auch keine Journalisten. In den 1990ern und 2000ern haben sie aus Leverkusen Stars wie Zé Roberto, Lúcio, Jorginho, Paulo Sérgio und Michael Ballack geholt. Das hat uns als Klub nicht gefallen, aber die Bayern hatten mehr Kohle. Sie waren damals wie heute auf einem anderen Level, das muss man auch neidlos anerkennen. Da sind wir wieder beim Geld: Im internationalen Vergleich hinkt die Bundesliga im Vergleich zu England und Spanien finanziell hinterher. Kann in diesem Jahr dennoch ein Team aus Deutschland um den Champions-League-Titel mitspielen? Bayern München ist in Deutschland auch in dieser Hinsicht unser Flaggschiff – ob einem das jetzt gefällt oder nicht. Ich bin aber erst mal froh, dass wir überhaupt wieder darüber sprechen, wer die Champions League gewinnen kann und nicht über diese bescheuerte Klub-Weltmeisterschaft. Sie sind also kein Befürworter des neuen Fifa-Turniers, das in diesem Sommer in den USA erstmals mit 32 Teams ausgetragen wurde? Das war eine absolute Witznummer. Ich will das jetzt auch nicht alles schlechtreden. Wenn ich aber sehe, dass dieser Wettbewerb fast einen Monat geht, dann geht es anscheinend nur noch um die Kohle. Dabei sollte die Fifa mit ihrem Präsidenten Gianni Infantino und den Verbandsfunktionären auch andere Dinge im Blick behalten: die Qualität der Spiele, aber vor allem auch die Gesundheit der Spieler. Finanziell war die Klub-WM für die Vereine tatsächlich überaus lukrativ. Aus Deutschland durften aber lediglich der FC Bayern und Borussia Dortmund am Turnier teilnehmen. Bayer Leverkusen blieb ein Platz wiederum verwehrt. Haben Sie dafür Verständnis? Die Bayern und der BVB waren zu Recht dabei, weil sie in den letzten Jahren national und international am besten abgeschnitten haben. Deswegen kann ich die Teilnahme der beiden deutschen Vertreter auch zu hundert Prozent akzeptieren. Gewonnen hat die Klub-WM am Ende aber der FC Chelsea. Die haben in den letzten vier Jahren in der englischen Premier League die Tabellenplätze zwölf, sechs, vier und elf erreicht. Der amtierende englische Meister Liverpool durfte dahingegen nicht einmal teilnehmen. Dafür aber Vereine, die in ihren Ligen nur Mittelmaß sind … Genau. Der brasilianische WM-Halbfinalist Fluminense belegt aktuell den neunten Platz, in den beiden Vorjahren landeten sie auf Rang 13 und sieben. Und bei allem Respekt für Red Bull Salzburg: Sie haben in den letzten zehn Jahren nur einmal das Achtelfinale der Champions League erreicht. Wieso waren die alle am Start? Das ist einfach nicht nachvollziehbar. Nach der Klub-WM ist vor dem Bundesliga-Start. Was ist Ihr persönlicher, sportlicher Wunsch für die neue Saison? Es wäre fantastisch, wenn Leverkusen noch einmal deutscher Meister werden würde. Ich bin aber auch kein Traumtänzer, sondern Realist. Mit der Qualifikation zur Champions League wäre mein erster großer Wunsch schon erfüllt. Dann drücke ich unserer Nationalmannschaft alle Daumen und Zehen für die WM-Qualifikation und ein gutes Abschneiden beim Turnier im kommenden Jahr. 2018 sind wir bekanntlich in Russland und 2022 in Katar schon in der Vorrunde gescheitert. Das sollte sich nicht wiederholen.
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