Bundestag wird aufgelöst: Die blauen Sessel der Vitra AG bleiben

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Der Bundestag könnte sich nach den Neuwahlen verändern, doch die ikonischen Sessel bleiben dieselben. Seit gut 25 Jahren benutzt das Parlament "Figura"-Stühle der Firma Vitra, bekannt durch ihr markantes Blau. Am 27. Dezember will Frank-Walter Steinmeier den Bundestag auflösen. Das ist nötig geworden, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Vertrauensfrage verloren hatte. Neuwahlen soll es dann knapp zwei Monate später geben. Was bereits jetzt feststeht: Der Bundestag wird anders aussehen, nicht zuletzt wegen der Wahlrechtsreform, die das Parlament deutlich verkleinern soll. Was sich in aller politischen Lage und trotz neuer Zusammensetzung des Bundestags nicht ändert, sind die Stühle, auf denen die Abgeordneten Platz finden: Die Sessel mit dem markant-blauen Bezug und den schwarzen Armlehnen werden bleiben. Die blauen Kollegen stammen aus der deutschen Fabrik der Schweizer Firma Vitra in Weil am Rhein; Hauptsitz des Unternehmens ist in Birsfelden, unweit der deutschen Grenze. Viele Zahlen zu Vitra gibt es nicht, zuletzt soll die Firma fast 700 Mitarbeiter gehabt haben, die im Jahr 2017 einen Umsatz von immerhin fast 300 Millionen Euro erwirtschafteten. Blauer statt grauer Bezug Die Wahl auf die heutigen Sessel der Macht fiel bereits 1992, damals noch für den Bundestag in Bonn. Es waren Altkanzler Helmut Kohl und Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (beide CDU), die sie auswählten. Der Name des Stuhls: "Figura". Das Modell gab es zu diesem Zeitpunkt schon etwas länger. Designer des Stuhls ist der Italiener Mario Bellini. 1984 kreierte er das Modell für die Vitra AG. Als der Umzug des Bundestags nach Berlin anstand, war schnell klar: Auch dort sollten die auserwählten Stühle zum Einsatz kommen. Entgegen der Anregung von Stararchitekt Sir Norman Foster, der für das neue Parlamentsgebäude die moderne Reichstagskuppel entworfen hatte, bekamen sie erneut einen blauen statt eines grauen Bezugs. Legendär aus dieser Zeit ist der Satz des damaligen SPD-Politikers Peter Conradi: "Graue Männer mit grauen Haaren in grauen Anzügen auf grauen Sesseln vor grauen Tischen auf grauem Teppich und rundherum graue Wände – wen packt da nicht das Grauen?" Deshalb: das inzwischen altbekannte Blau, das je nach Lichteinfall ein wenig changiert, manchmal fast wie Violett anmutet. Diese besondere Farbe darf ausschließlich vom Parlament der Bundesrepublik Deutschland verwendet werden. Obgleich Foster gegen die Farbe war, ließ er sie sich als Teil des Gesamtensembles unter dem besonders griffigen Namen "Reichstags-Blue" patentieren. "Die Figura-Stühle sind ein wunderbares Aushängeschild für unser Unternehmen" Seit der ersten feierlichen Plenarsitzung unter der neuen Reichstagskuppel am 19. April 1999 stehen die blauen Vitra-Stühle unter besonderer Beobachtung. Wohl kein Sessel ist häufiger in der Tagesschau und auf Nachrichtenportalen zu sehen: Bei den Sesseln dürfte es sich um die bekanntesten Stühle Deutschlands handeln. Profitiert Vitra davon finanziell? Eigentlich nicht. Produziert und verkauft werden sie schon länger nicht mehr. Deutschland-Chef Roman Ehrhardt nimmt es daher auch gelassen, dass die Wahlrechtsreform den Bundestag deutlich verkleinert. "Die Figura-Stühle sind ein wunderbares Aushängeschild für unser Unternehmen, finanziell ist es aber nicht wirklich relevant", sagte er t-online. Seit mehr als 25 Jahren sind die Sessel im Einsatz, kein einziger der blauen Stühle musste bislang ausgewechselt werden, obwohl dies trotz Produktionsstopps problemlos möglich wäre. Der Grund: Bevor der Bundestag nach Berlin umzog, kaufte dieser eine Vielzahl an Stühlen auf Reserve, wie Ehrhardt berichtet. Wie viele genau, wollte er nicht sagen. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), das sich damals für die Sanierung des Reichstagsgebäudes verantwortlich zeichnete, teilte auf Anfrage von t-online mit: "Bei der Bundestagsverwaltung eingelagert sind zurzeit 48 Stühle des Plenarsaals." Günstig waren die Stühle damals nicht. Ein Sessel kostete 1.700 D-Mark. Dennoch handelte es sich um keinen riesigen Auftrag für die Vitra AG. "Im Jahr 1998 wurden im Zusammenhang mit dem Umbau des Reichstagsgebäudes 788 Stück beschafft", teilte das zuständige Bundesamt weiter mit. "Die Kosten hierfür betrugen rund 1,47 Millionen DM brutto (inklusive der damals gültigen Mehrwertsteuer in Höhe von 16 Prozent)." Bundestagssessel nehmen Vorreiterrolle ein Allerdings, so Vitra-Manager Ehrhardt, nähmen die Stühle eine Vorreiterrolle ein. "Wir setzen verstärkt auf den Trend des Upcyclings und der Zirkulärmöbel. Das bedeutet: Wir kaufen aktiv Möbel zurück, reparieren sie und bereiten sie auf, um sie anschließend wieder anzubieten." Auch alte Produkte bereite Vitra wieder auf. "Dann sieht ein 20 Jahre alter Stuhl wieder aus wie neu – nur mit etwas Patina", so Ehrhardt. "Dieser Trend wird die kommenden Jahre bestimmen, hier sehe ich die Zukunft. Der CO2-Ausstoß wird eine immer wichtigere Währung für unsere Kunden. Die Figura-Stühle sind das perfekte Beispiel dafür." Alle zwei bis drei Jahre kämen Servicemitarbeiter der Vitra AG nach Berlin, um die Stühle zu reinigen "und mal eine Armlehne auszutauschen", sagt der Manager. "Der Stuhl ist sehr robust – daran muss nicht viel gemacht werden." In den vergangenen 22 Jahren mussten lediglich die Bezüge einmal erneuert werden. Die Kosten dafür beliefen sich im Frühjahr 2016 auf rund 695.000 Euro. Daher sagte Ehrhardt: "Es erfüllt mich mit Freude, dass die wichtigsten Politiker Deutschlands täglich auf unseren Stühlen sitzen. Stolzer macht mich aber die Tatsache, dass die Figura-Stühle diese Vorreiterrolle als nachhaltiges Möbelstück einnehmen." Und einen weiteren Nebeneffekt hätten die Stühle: Viele Bundestagsabgeordnete ordern die Ausstattung ihrer Büros im Berliner Regierungsviertel bei Vitra. "Das aktuelle wirtschaftliche Umfeld ist herausfordernd" Die Firma beliefert jedoch nicht nur den Bundestag und seine Abgeordneten. Das Unternehmen stellt zudem Stühle für Konferenzzentren, Flughäfen und Behörden her. Auch in einigen Wohnzimmern finden sich Produkte der Firma, wie Sofas, Tische, Uhren und Kissen. Die Möbel werden am Produktionsstandort in Weil am Rhein getestet. Dort befindet sich ein ganzer "Vitra-Campus". Hunderttausende Besucher kommen laut Unternehmensangaben jedes Jahr an die Schweizer Grenze, um selbst auszuprobieren, auf welchen Stühlen es sich am besten sitzt und auf welcher Couch es sich am bequemsten liegt. Doch das Jahr 2024 hat dem Familienunternehmen zugesetzt. "Das aktuelle wirtschaftliche Umfeld ist herausfordernd", so Ehrhardt. "Wir spüren die Kaufzurückhaltung bei den Wohnmöbeln. Gleichzeitig setzen viele Firmen weiterhin aufs Homeoffice – doch auch die Büroausstattung wird in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eher zurückgestellt." Es braucht den Blick fürs Detail Die Sorgen der Vitra AG teilen derweil viele deutsche Unternehmen, zuletzt sahen die wirtschaftlichen Prognosen für Deutschland eher bescheiden aus, rechneten für das kommende Jahr nur noch mit einem Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent. Ein Thema, was auch den künftigen Bundestag umtreiben wird. Noch ist unklar, wer ab Februar in den blauen Vitra-Sesseln Platz nehmen wird. Woran sich allerdings nichts ändert, ist hingegen ein kleiner Unterschied: Die Sessel für Kanzler und Bundestagspräsident haben eine etwas höhere Lehne als die restlichen Stühle. Egal also ob der nächste Kanzler Friedrich Merz , Olaf Scholz oder Robert Habeck heißt: Auf dem Sessel der Macht braucht es den Blick fürs Ganze – und das Detail.
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