Charles Brauer: "Der 'Tatort' ist inflationär geworden"

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Am 3. Juli wird Charles Brauer 90 Jahre alt. Im Gespräch mit t-online spricht die Schauspiellegende über einen heutzutage eingeschränkten künstlerischen Anspruch und kritisiert den "Tatort". Trotz seines hohen Alters ist Charles Brauer hellwach, humorvoll – und wirkt sehr gesund. "Ich fühle mich sehr gut und habe das Glück, noch sehr gut beieinander zu sein und keine wirklich schweren gesundheitlichen Macken zu haben", sagt er im Gespräch mit t-online. Vielleicht liege es an seiner familiären Veranlagung, so Brauer: "Ich habe wahrscheinlich gute Gene – meine Mutter ist sehr alt geworden, über 100." Aber auch sein Lebensstil dürfte eine Rolle spielen: "Ich habe immer gut gelebt, aber nie exzessiv und vielleicht war das einer der Gründe." Augenzwinkernd fügt er hinzu: "Ich trinke regelmäßig ein Glas Wein und rauche eine Zigarre. Vielleicht hilft das auch." Von Ruhestand will Brauer nichts wissen – und das nicht nur im übertragenen Sinne. "Ich kann von meiner Rente leben", sagt er, betont aber, dass er sich auch jenseits von Film- und Fernsehkameras künstlerisch einbringt. Literaturabende und Lesungen mit Musik sind für ihn zur Herzenssache geworden. 16 Jahre lang stand Charles Brauer gemeinsam mit Manfred Krug vor der Kamera – als Kommissare Peter Brockmöller und Paul Stoever im Hamburger "Tatort". Zwischen 1986 und 2001 entstanden 38 Folgen. Ein Erfolgsduo mit Kultstatus. Heute schaut Brauer nur sporadisch rein: "Ich schaue hin und wieder per Zufall mal einen 'Tatort'. Ich war aber nie ein regelmäßiger Zuschauer, aber das sind die meisten Schauspieler nicht." Die Krimireihe habe sich seiner Meinung nach stark verändert – nicht unbedingt zum Besseren, findet er. "Der 'Tatort' ist inflationär geworden. Es ist viel zu viel. Mittlerweile wissen die Leute manchmal nicht mal mehr, ob das jetzt noch eine neue Folge ist oder eine Wiederholung." Dabei erinnert er sich an andere Zeiten: "Als Manfred Krug und ich aufgehört haben, war das höchste der Gefühle, dass der NDR drei 'Tatorte' mit uns gemacht hat." Auch die Qualität der Geschichten leidet seiner Ansicht nach unter der Masse: "Bei so vielen 'Tatort'-Folgen heutzutage können die Drehbücher nicht immer gut sein." Dennoch gibt es Lichtblicke: "Krassnitzer und Neuhauser sind ein sehr gutes Gespann, die gucke ich sehr gerne." "Der absolute Schwachsinn" Nach mehr als sieben Jahrzehnten Bühnen- und Fernseherfahrung beobachtet Brauer eine veränderte Herangehensweise an Rollenbesetzungen: "Mir fällt auf, dass viel mehr Minderheiten bedient werden müssen." Für den Schauspieler ist das nicht per se problematisch, wohl aber, wenn es ins Dogmatische abdriftet: "Der absolute Schwachsinn ist natürlich, wenn für eine Rolle mit Bulimie auch die Schauspielerin Bulimie gehabt haben muss oder für eine Rolle im Rollstuhl nur ein Schauspieler im Rollstuhl infrage kommt. Das ist vollkommener Quatsch." "Das geht an die Substanz des Berufs und das ist schade" Brauer sieht darin eine Einschränkung des künstlerischen Anspruchs: "Einen Othello darfst du heute nicht mehr spielen, wenn du nicht schwarz bist. Das geht an die Substanz des Berufs und das ist schade. Dann könnte ich auch keinen Mörder spielen, das ist das krasseste Beispiel dafür." Auch wenn seine aktive Fernsehzeit vorbei ist – Charles Brauer, der seit vielen Jahren in der Schweiz lebt, bleibt präsent. Im November ist er im Ernst-Deutsch-Theater Hamburg wieder live zu erleben, im Zwei-Personen-Stück "Dienstags bei Morrie". Als Stimme für Hörbücher von John Grisham begeistert er bis heute seine Fans, und seine Autobiografie "Die blaue Mütze" fand zuletzt viel Beachtung. Der Mann, der einst mit Manfred Krug sang und ermittelte, hat sich seinen Witz, seine Haltung und seine Leidenschaft für Kultur bewahrt. Und so blickt er auf die kommenden Jahre mit Gelassenheit – als Bürger zweier Länder, als Schauspieler und als einer, der nie aufgehört hat, neugierig zu sein.
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