Erst zögerlich, jetzt mit Eile: Brüssel will den digitalen Euro schneller denn je auf den Weg bringen. Was steckt dahinter? Die Europäische Union will noch in diesem Jahr einen eigenen Euro-Stablecoin zulassen und macht damit plötzlich Tempo bei der Entwicklung digitaler Währungen. Das berichtet die "Financial Times" unter Berufung auf mit der Sache vertraute EU-Beamte. Der Schritt gilt als Reaktion auf die USA, die mit dem "Genius Act" Stablecoins bereits umfassend reguliert haben. Stablecoins sind digitale Münzen, die ihren Wert fest an eine staatliche Währung wie den Euro oder den US-Dollar koppeln und damit im Gegensatz zu Bitcoin oder Ethereum keine starken Kursschwankungen aufweisen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde drängte das Europäische Parlament, die nötigen gesetzlichen Grundlagen schnell zu verabschieden: "Ein gesetzlicher Rahmen für den digitalen Euro muss rasch geschaffen werden, bitte", sagte sie laut "Financial Times" in einer Anhörung. Auch EZB-Volkswirt Jürgen Schaaf warnte jüngst in einem Blogbeitrag der Notenbank: Sollten sich US-Dollar-Stablecoins im Euroraum weit verbreiten – sei es für Zahlungen, Sparzwecke oder Abrechnungen –, könnte die EZB "die Kontrolle über die monetären Bedingungen" verlieren. EU erwägt öffentliche Blockchains Bisher hatte die EU vorgesehen, den digitalen Euro auf einer eigenen, geschlossenen Plattform – einer sogenannten privaten Blockchain – zu betreiben. Nach Informationen der "Financial Times" denken die Verantwortlichen in Brüssel nun aber auch über einen radikalen Kurswechsel nach: Demnach könnte der Euro-Stablecoin auf einer öffentlichen Blockchain wie Ethereum oder Solana laufen. Eine Blockchain ist vereinfacht gesagt ein digitales Register, in dem jede Transaktion dauerhaft und fälschungssicher gespeichert wird. Bei öffentlichen Blockchains ist dieses Register für alle Nutzer zugänglich: Wer die sogenannte Wallet-Adresse kennt, kann sämtliche Geldbewegungen dieser digitalen Brieftasche nachvollziehen. Die Daten sind zwar verschlüsselt, dennoch sind die Transaktionen transparent. Der Vorteil eines solchen Ansatzes: Der digitale Euro könnte direkt an bestehende Ökosysteme anschließen. Dort sind Stablecoins wie Tether (USDT) oder der an den US-Dollar gekoppelte USDC bereits fest etabliert. Auch der erst kürzlich in Deutschland von dem Unternehmen AllUnity Media gestartete, vollständig regulierte und durch Einlagen gesicherte Euro-Stablecoin (EURAU) läuft auf Ethereum. Sinnvolle Alternative? Das steckt wirklich hinter Ripple und XRP Staatliche Bitcoin-Reserve geplant: US-Behörde stellt Weichen für Krypto-Zukunft Für die EU würde das bedeuten, dass der eigene digitale Euro sofort in einem funktionierenden Umfeld verfügbar wäre – mit Millionen bestehender Nutzer und erprobter Technik. Stablecoin-Kurswechsel in China Auch international nimmt der Wettlauf um digitale Währungen Fahrt auf. In China prüft die Regierung erstmals, Stablecoins zuzulassen, die fest an den Yuan gekoppelt sind. Ziel ist es, den internationalen Einfluss der eigenen Währung auszubauen und der Dominanz des US-Dollars etwas entgegenzusetzen. Bisher galt Peking als strikter Gegner von Kryptowährungen. Ein Kurswechsel hätte daher große Signalwirkung. In Großbritannien denkt die Notenbank über die Einführung eines digitalen Pfunds nach. Dort befindet sich das Projekt jedoch noch in einem frühen Stadium, während die chinesischen Pläne schon deutlich weiter vorangeschritten sind. Digitaler Euro birgt Chancen und Risiken Der digitale Euro könnte für Europa eine große Chance sein: Er würde den Euro fit für das digitale Zeitalter machen und eine Alternative zu den immer stärker wachsenden Dollar-Stablecoins bieten. Transaktionen könnten schneller und günstiger werden, auch über Ländergrenzen hinweg. Zudem würde eine offizielle digitale Währung die finanzielle Unabhängigkeit Europas stärken. Bitcoin-Papst Adam Back: Hat der Engländer mit seiner Untergangsprognose recht? Krypto auf der Überholspur: Hat Bitcoin das Zeug zum Massenphänomen? Doch auch die Risiken sollten im Blick behalten werden: Banken warnen vor hohen Kosten in Milliardenhöhe und befürchten, dass Kunden Geld von ihren Konten in den vermeintlich sicheren Hafen eines von der EZB garantierten digitalen Euros umschichten. Für Verbraucher stehen Fragen des Datenschutzes im Raum, vor allem dann, wenn Transaktionen auf einer öffentlichen Blockchain nachvollziehbar bleiben. Hinzu kommt der internationale Wettbewerbsdruck. Mit der umfänglichen Regulierung von Stablecoins haben die USA bereits einen klaren Rahmen geschaffen. Die "Financial Times" sieht darin einen deutlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Europa. Private Anbieter wie Circle aus den USA mit dem Euro-Stablecoin (EURC) oder das in Deutschland gestartete AllUnity-Projekt zeigen zudem, dass der Markt auch ohne offizielle EZB-Lösung wächst. EZB-Volkswirt Jürgen Schaaf gibt zu bedenken, dass die EZB die "Kontrolle über die monetären Bedingungen" verlieren könnte, wenn sich US-Dollar-Stablecoins in Europa stark verbreiten. "Je größer ihre Verbreitung ist, desto schwieriger wäre es, sie wieder rückgängig zu machen", schrieb er in einer Analyse. Für die EU bedeutet das: Wer den digitalen Euro zu lange aufschiebt, riskiert, dass andere die Spielregeln im digitalen Finanzsystem bestimmen.