Die elektronische Patientenakte hätte das Gesundheitswesen modernisieren können. Doch Sicherheitsprobleme und Benutzerunfreundlichkeit schrecken viele ab. Die elektronische Patientenakte (kurz: ePA) ist wie ein Zug der Deutschen Bahn: Lange erwartet, mit großer Verspätung eingetroffen – und dann unzuverlässig. Ein weiteres Sinnbild für die durch den Reformstau der vergangenen Jahrzehnte entstandenen Probleme, die Teile Deutschlands zum Land hinter den sieben Bergen haben verkommen lassen. In der Theorie ist die ePA super: Ärzte, die Diagnosen, Behandlungen und Medikationen auf ihr speichern. Andere Ärzte, die all dies sehen und ihre Therapie entsprechend abstimmen können. Patienten, die nicht mühsam herumtelefonieren, Röntgenbilder besorgen und alle Beteiligten auf Stand bringen müssen. Und Daten (natürlich anonymisiert), die für die Forschung verwendet werden können – ein Bereich, in dem Deutschland ebenfalls international im Hintertreffen ist. Es klingt alles ganz wunderbar. Die ePA könnte eine bessere medizinische Versorgung und effizientere Behandlungen gewährleisten. Moderne Medizin ist ebenso wie viele andere Lebensbereiche eben auch digital. Tja. In der Praxis aber: alles eher so mittelmäßig mit der ePA. Als sie dann endlich kam, weil sie auf alle Fälle sicher sein sollte, war sie das nicht. Der Chaos Computer Club verkündete es quasi direkt nach Einführung der ePA, hatte die angeblich sichere Akte gehackt. Daten konnten demnach in Hände gelangen, in die sie nicht gehören. Hochsensible Daten. Wer will schon seine Krankengeschichte öffentlich machen? Seine Aids-Infektion, seine Angststörung, den Diabetes, die Depression, die Hämorrhoiden , die Abtreibung? Das gehört aus guten Gründen nur in die Hände von Patienten und medizinischem Personal. Das der Schweigepflicht unterliegt. Niemand will das. Viele wollen deshalb die ePA nicht. Viele haben ihr widersprochen. Zum Beispiel ich. Und ich fühle mich bestätigt. Denn eine digital durchaus versierte Bloggerin schilderte kürzlich, wie sie sich mal einen Überblick über den Inhalt ihrer ePA verschaffte . Komplizierte ePA-Registrierung ist abschreckend Schon der umständliche Vorgang, um sich überhaupt einloggen zu können, schreckt ab. Ich zitiere: "Registrierung in der ePA-App der Krankenkasse, Bestätigung per E-Mail, dann Verifizierung über eine weitere App", schildert sie die notwendigen Schritte, "Scannen des Personalausweises mit der NFC-Funktion, Online-ID des Ausweises eingeben (erst mal finden!)". Ihr Fazit: "Meine Güte. Ich kenne die Hintergründe – Schutz von Sozialversicherungsdaten –, aber dieses Prozedere ist maximal unpraktikabel und für viele Menschen sicherlich nicht leistbar." So ist es. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Idee, das Deutschlandticket nur noch digital anzubieten und nicht mehr in Papierform, große Empörung hervorruft. In einer vergleichsweise alten Gesellschaft, der lange Zeit durch die von ganz oben als "Neuland" formulierte Distanz zu allem Digitalen als total okay und nicht weiter wichtig vorgelebt worden ist. In der die öffentliche Verwaltung auf dem Prinzip "Wenn das Fax nicht funktioniert, haben wir immer noch den Bildschirmtext!" basiert. Da wird es ganz sicher nicht passieren, dass alle Krankenversicherten sich die Online-ID ihres Personalausweises besorgen, eine App herunterladen, sich dort registrieren und dann in die ePA einwählen. Die einen scheitern schlicht und einfach an den Anforderungen, den anderen ist ihre Zeit dafür zu schade. Abrechnungsbetrug mit zweifelhaften Diagnosen Weiter. Vanessa Giese, so der Name der Bloggerin, schaut sich ihre Akte mal genauer an. Und stößt dabei anscheinend auf äußerst zweifelhaften Content: "Mein ehemaliger Gynäkologe hat offensichtlich systematisch Abrechnungsbetrug betrieben – oder hielt mich jahrelang für eine andere Patientin. Die Diagnosen, die dort für die Zeit zwischen 2015 und 2024 dokumentiert und abgerechnet wurden, sind mir jedenfalls völlig unbekannt: Weder hatte ich entsprechende Beschwerden, noch habe ich die abgerechneten Beratungen erhalten. Bonmot: Der Arzt, bei dem ich 2022 eine Corona-Impfung erhielt – wir erinnern uns: Man suchte sich über Doctolib jemanden, der zeitnah den guten Stoff verabreichte –, hat keine Impfung abgerechnet, dafür eine Angststörung. Die ist jetzt auch so niedergeschrieben. Ich habe diesen Mann nie gesehen! Die Impfung hat die MTA verabreicht." Volltreffer also. Die kurze Recherche nach der langen Anmeldung ergibt: zwei mutmaßlich betrügerische Abrechnungen. Eine mithilfe einer falschen und potenziell stigmatisierenden Diagnose. Giese sperrt die ePA: "Denn es wäre höchst misslich, wenn Ärzt*innen auf Basis dieser zwar dokumentierten, aber real nicht existenten medizinischen Vergangenheit zu falschen Schlüssen kämen." Und ergänzt diese rein formale Begründung noch um eine nicht minder wichtige politische: "An eine konservative oder gar rechtsextreme Regierung, die irgendwelche Register auf Basis dieser Daten anlegt, möchte ich gar nicht denken." Der Fall macht die Runde im Netz. Viele sehen sich darin bestätigt, die ePA nicht zu nutzen. Andere aber sagen: "Jetzt erst recht!" Und haben durchaus einen guten Punkt: Wenn schon eine erste, anlasslose Stichprobe direkt zwei mutmaßliche Fälle von Betrug offenbart, so argumentieren sie, dann könnte sich sehr viel Einsparpotenzial für die Krankenkassen hinter der ePA verbergen. Und damit für uns alle, die wir Kassenbeiträge zahlen. Vielleicht ändere ich meine Meinung. Und widerspreche meinem Widerspruch bei meiner Krankenkasse und klicke mich da mal in aller Ruhe durch. Dafür würde ich mir dann allerdings vorsichtshalber ein, zwei Tage freinehmen.