Deutschlands größter Müllverbrenner gehört seit Jahren einem chinesischen Eigentümer. EEW-Chef Timo Poppe spricht über Kontrolle, Investitionen – und darüber, warum er mehr politische Haltung von Managern fordert. Die Firma EEW – Energy from Waste ist der größte Betreiber von Müllverbrennungsanlagen in Deutschland. Das Unternehmen verwertet jedes Jahr Millionen Tonnen Abfall, produziert daraus Strom und Wärme – und steht damit im Zentrum energie- und klimapolitischer Debatten. Brisant: EEW gehört seit mehr als zehn Jahren dem chinesischen Staatskonzern Beijing Enterprises. Vorstandschef Timo Poppe erklärt, wie viel Einfluss der Eigentümer wirklich hat, warum er Müll für einen Rohstoff – und das Schweigen vieler Manager für gefährlich hält. Negative Strompreise 2025: Erneuerbare Energien erreichen neuen Rekord Wirtschaftsministerin Reiche im Interview: "Die Lage in Deutschland ist sehr ernst" t-online: Herr Poppe, das Unternehmen EEW hat eine Historie von mehr als 150 Jahren. Inzwischen gehört es einem chinesischen Investor. Wie unabhängig können Sie heute tatsächlich agieren? Timo Poppe: Extrem unabhängig. Ich würde sogar sagen: unabhängiger als viele deutsche Unternehmen. Der Einstieg des chinesischen Eigentümers liegt inzwischen gut zehn Jahre zurück. Davor war EEW bei EQT , einem schwedischen Finanzinvestor, der das Unternehmen nur vergleichsweise kurz gehalten hat. Was macht ein Unternehmen in chinesischer Hand unabhängiger als eines in deutscher? Wir haben keine klassische Hochtechnologie oder Patente, sondern sind stark im Bau und Betrieb von Anlagen. Der chinesische Investor hat vor allem Interesse daran, zu verstehen, warum wir thermische Abfallverwertung in Deutschland so effizient betreiben. Seitdem wurden Investitionen von deutlich über einer Milliarde Euro in Deutschland freigegeben. Unsere Anlagen stehen hier, das Management ist von hier, das Tagesgeschäft läuft unabhängig. Wie oft sprechen Sie sich denn mit dem Eigentümer ab? Ich fliege dreimal im Jahr nach China , etwa zum Jahresabschluss oder um die Strategie für EEW auf den Weg zu bringen. Ansonsten führen wir das Unternehmen faktisch wie eine deutsche Aktiengesellschaft. Das Charmante an unserem Gesellschafter ist die langfristige Perspektive. Das ist kein Investor, der nach sechs Jahren wieder verkaufen will. Wir führen EEW so, als wollten wir es an die nächste Generation übergeben. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Eigentümer? Es gibt ja durchaus kulturelle Unterschiede. Ich empfinde die Zusammenarbeit als konstruktiv – und ehrlich gesagt auch als spannend. Beijing Enterprises ist ein großer, international aufgestellter Konzern mit institutionellen Investoren, darunter auch westliche Finanzhäuser. Die Verantwortlichen sind sehr gut informiert über geopolitische Entwicklungen, etwa über den Krieg in der Ukraine . Ihre Eigentümer scheuen sich auch nicht vor Diskussionen über Politik? Nein, im Gegenteil. Natürlich schauen wir bei manchen Dingen unterschiedlich auf das Weltgeschehen. Sie verstehen manches nicht, was wir in Deutschland tun, und sagen das auch offen. Aber genau diese Offenheit schätze ich. Was manchmal anstrengend ist: Es gibt sehr viele Controller, die sehr viele Fragen stellen. Was heißt das konkret? Teilweise geht es um Kleinigkeiten – etwa warum sich eine Kennzahl um drei Prozent verändert hat. Das ist für meine Leute gelegentlich mühsam. Aber ich sage immer: Seid froh, dass sie fragen. Andere Gesellschafter würden einfach entscheiden, ohne nachzufragen. Es entzündet sich viel Kritik daran, dass chinesische Unternehmen enger an den Staat gebunden sind als europäische. Wie sehen Sie das? Ich führe ein deutsches Unternehmen mit 152 Jahren Geschichte. Ich investiere in Deutschland, zahle hier Steuern und trage Verantwortung für meine Mitarbeitenden und Standorte. Das ist für mich der entscheidende Maßstab. Und wie bewerten Sie das chinesische System, das im Kern ein autokratisches ist? Wir können jetzt die ganze Nacht darüber diskutieren, welche Staatsform aktuell besser funktioniert. Wir schauen auf China, wir schauen auf die USA , wir schauen auf Europa – jedes System hat Stärken und Schwächen. Für uns ist entscheidend, dass wir hier vor Ort verantwortlich handeln können. Als wir 2016 gekauft wurden, waren Umweltschutzziele Teil des chinesischen Fünfjahresplans. Heute, zehn Jahre später, hat China in vielen Bereichen eine strengere Umwelt- und Emissionsgesetzgebung als Deutschland. Wenn dort Probleme erkannt werden, dann werden sie gelöst. Und das ist in Deutschland nicht so? Demokratie heißt oft: Wir finden Lösungen im Kompromiss. Das ist eine große Stärke – kann aber dazu führen, dass Maßnahmen weichgespült oder über Jahre gestreckt werden. Das Deponierungsverbot ist ein gutes Beispiel: beschlossen, aber mit Übergangsfristen von teils über zehn Jahren umgesetzt. Umso mehr reibe ich mir gelegentlich die Augen, wie konsequent und schnell China umweltpolitisch auf die Überholspur gewechselt ist. Das ist keine Werbung für das chinesische System, sondern eine nüchterne Beobachtung. Klingt aber so. Ja. China elektrifiziert seinen Straßenverkehr und hat uns bei der Emissionsgesetzgebung teils überholt. Neidisch sollte man auf das Wie nicht sein – aber man kann anerkennen, dass dort Dinge schneller umgesetzt werden. Dennoch ist man erst mal stutzig. Immerhin handelt es sich um eine Diktatur, in der Menschenrechte keine Rolle spielen. Mir geht es nicht um politische Systeme, sondern um das Beste für meine Belegschaft und meine Standorte. Und übrigens: Auch politische Themen werden nicht vollständig ausgeblendet. Das überrascht viele. Aber wir sprechen durchaus über politische Entwicklungen. Wie genau funktioniert denn Ihr Geschäft? Wir bekommen Geld dafür, dass wir den Abfall annehmen. Die Kommunen beispielsweise schreiben die Verwertung ihres Abfalls europaweit aus. Gewinnen wir die Ausschreibung, schließen wir mehrjährige Verträge ab und verpflichten uns, bestimmte Abfallmengen thermisch zu verwerten. Verwerten deshalb, weil wir nicht einfach verbrennen, sondern Strom, Wärme und Prozessdampf aus der Energie des Abfalls gewinnen. Das ist unsere zweite Einnahmequelle: die Energieproduktion. Unsere Anlagen sind allerdings sehr teuer im Bau und vor allem im Betrieb. Wir investieren jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag allein in Wartung und Instandhaltung, damit die Anlagen dauerhaft sicher, effizient und regelkonform laufen. Ritter-Sport-Chef im t-online-Interview: "Wir haben die Welt kaputt gemacht" Manch ein Kommunalpolitiker sagt, ein chinesischer Konzern verdiene am deutschen Müll. Was entgegnen Sie denen? Unsere Anlagen stehen in Deutschland. Man kann sie nicht einpacken und mitnehmen. Wir investieren massiv hier – etwa in Magdeburg . Dort haben wir die größte Anlage Deutschlands gebaut. Oder an der Grenze Hamburgs, wo wir Anlagen errichten, die Fernwärme liefern. Deutschland braucht dringend Infrastrukturinvestitionen. Wenn Kapital bereitsteht, sollten wir offen, aber kontrolliert damit umgehen. In Abu Dhabi und Katar stehen Staatsfonds bereit, Milliarden in Infrastruktur zu investieren. Diese Kapitalströme werden kommen – die Frage ist, ob wir klug damit umgehen. Wird die Rolle der Müllverbrennung in der Energiekrise nicht überschätzt? Ich glaube, sie wird unterschätzt. Ach ja? Abfall ist ein Rohstoff, eine heimische Ressource. Unsere Verantwortung ist es, daraus das Beste zu machen. Wir versorgen Hunderttausende Haushalte zuverlässig mit Energie, unabhängig von Sonne oder Wind. Das geschieht unter höchsten Umweltstandards. In unseren Anlagen besteht etwa die Hälfte der Technik aus Rauchgasreinigung. Das ist streng reguliert und wird permanent überwacht. Zusätzlich führen wir immer mehr unserer eigenen Reststoffe wieder in den Kreislauf zurück: Metalle und Mineralik etwa als Recyclingrohstoff oder Ersatzbaustoff. Für uns ist Abfall Energie- und Rohstoffquelle. Kritiker verweisen dennoch auf den CO2-Ausstoß der Müllverbrennung. Das ist berechtigt. Aber man muss die Alternative ehrlich benennen. Und die wäre? Wenn wir Müll nicht thermisch verwerten, also verbrennen, wird er deponiert. Er landet dann einfach auf der Müllhalde – sprich: Der Müll wird in ein Loch geworfen. Das ist um ein Vielfaches klimaschädlicher als unser CO2-Ausstoß – vor allem wegen des Methans. In Deutschland haben wir in den 1990er-Jahren das Deponierungsverbot eingeführt. Das war eine der klügsten umweltpolitischen Entscheidungen. In vielen anderen europäischen Ländern ist das bis heute nicht der Fall. Das heißt? In Frankreich , Spanien oder Griechenland wird Abfall weiterhin einfach auf Deponien gekippt. Wir haben in Europa eine klare Zweiteilung: Skandinavien, die Niederlande , Belgien, Österreich , die Schweiz und Deutschland setzen auf Sortierung, Recycling und Verbrennung. In anderen Ländern wird der Abfall deponiert und verrottet. Das führt zu massiven Methanemissionen – darüber spricht nur kaum jemand. Ich halte es für einen Fehler, dass wir in Europa bis heute kein flächendeckendes Deponierungsverbot haben. Das ist klimapolitisch inkonsequent. Arbeiten Sie denn an Lösungen, um den CO2-Ausstoß weiter zu senken? Ja! Wir arbeiten intensiv an CO2-Abscheidungstechnologien, sodass jede Anlage technisch den CO2-Ausstoß weiter reduzieren kann. Wir betreiben Pilotanlagen und investieren Millionen in Forschung. Technisch ist das machbar – wirtschaftlich ist es noch herausfordernd. In Deutschland fehlt bislang ein klarer rechtlicher Rahmen, weshalb viele Projekte ins Ausland gehen. Ich bin überzeugt: In 20 bis 25 Jahren wird jede Anlage in Deutschland eine CO2-Abscheidung haben. Die Herausforderung liegt in der Skalierung und den Kosten, nicht in der Technik. Experten sagen aber, die Abfallvermeidung müsse Vorrang haben. Ist Ihr Geschäftsmodell also langfristig gefährdet? Abfallvermeidung ist wichtig, aber es wird immer Stoffe geben, die aus hygienischen Gründen verbrannt werden müssen oder nicht recycelt werden können. Dafür braucht es die Verbrennung des Mülls. Wenn unser Brennprozess endet, bleibt Asche übrig – darin sind Metalle enthalten, die wir zurückgewinnen. Diese Metalle haben einen Wert und gehen wieder in den Kreislauf. Ein Land kann nicht zu 100 Prozent auf Abfallvermeidung setzen. Es wird immer ein Gleichgewicht geben zwischen Abfallmenge und Verwertungskapazität. Sollte es in 20 Jahren weniger Abfall geben, werden ältere Anlagen vom Markt gehen. Das ist ein normaler Prozess. EEW hat sich in 150 Jahren immer wieder neu erfunden. Was war die größte Innovation? Der Abschied von der Braunkohle. Schon in den 1990er-Jahren wusste man, dass der Tagebau endet. Meine Vorgänger haben damals entschieden, auf thermische Abfallverwertung umzubauen. Das war mutig und strategisch klug. EEW war auch in der NS-Zeit aktiv, damals noch als Braunschweigische Kohlen-Bergwerke. Auch auf Zwangsarbeiter hat die Firma gesetzt. Es stimmt, dass die BKB während der Zeit des Nationalsozialismus Zwangsarbeiter eingesetzt hat. Dieses Unrecht ist historisch belegt und darf nicht vergessen werden. Für das Leid, das diesen Menschen zugefügt wurde, gibt es keine Wiedergutmachung im eigentlichen Sinne. Aber es ist wichtig, dass unser Vorgängerunternehmen sich seiner Verantwortung gestellt hat. Inwiefern? Der damalige Konzernverbund beteiligte sich an der nationalen Entschädigungsinitiative "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ)" für ehemalige Zwangsarbeiter, hat seine Archive geöffnet und die historische Aufarbeitung durch unabhängige Forschung unterstützt. Entscheidender für mich ist dennoch das Heute: Verantwortung zeigt sich nicht in Rückblicken, sondern in Standards und Verhalten. Was bedeutet denn Verantwortung für Sie? Sehr viel. Wir dulden kein Wegsehen – weder in unserem Unternehmen noch entlang unserer Wertschöpfungskette. Menschenrechte, eine klare Haltung zu demokratischen Grundwerten und Transparenz sind für uns nicht verhandelbar. Dass so etwas nie wieder geschehen kann, daran lassen wir uns heute und künftig messen. Verantwortung heißt für mich aber auch: Nulltoleranz bei Diskriminierung und den Mut, auch unbequeme Dinge anzusprechen. Wir haben bei EEW eine absolute Nulltoleranz – etwa bei sexuellem Fehlverhalten oder Mobbing . Da gibt es keine Grauzonen. Nulltoleranz heißt: konsequent eingreifen? Ja. Das bedeutet auch, dass man im Zweifel Mitarbeitende verliert. Das ist dann sehr schade, aber es ist wichtig, in solchen Situationen eine klare Haltung zu vertreten und für die eigenen Werte einzustehen. Ich habe lieber Mitarbeitende, die sagen: "Der Chef hat es verstanden und steht für unsere gemeinsamen Werte ein", als eine Kultur, in der Dinge unter den Teppich gekehrt werden. Das gilt auch für die Politik. Wie meinen Sie das? Ich tue meine Meinung sehr laut kund. So rede ich ganz offen über die AfD . Ich glaube, die AfD ist vor allem das Symptom davon, dass die übrigen demokratischen Parteien es nicht schaffen, mit sachlich fundierten Programmen und konsequenten Maßnahmen zu überzeugen. Viele Menschen wählen aus Enttäuschung, nicht aus Überzeugung. Das ist eine Diagnose, die man von einem Unternehmenschef nicht oft hört. Das aber ist ein zentrales Problem. Wir erleben in Deutschland gerade eine Verschiebung hin zu Protestbewegungen. Und ich finde, ein Fehler der 1930er-Jahre war, dass große Teile der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Elite geschwiegen haben. Sie haben ihre Haltung nicht verteidigt. Diesen Fehler will ich nicht begehen. Herr Poppe, vielen Dank für das Gespräch!