Mit seinem Wechsel zu Ferrari erfüllte sich Lewis Hamilton einen lange gehegten Traum. Doch aktuell erlebt der siebenfache Weltmeister ein unsanftes Erwachen. Der Rekord war nur eine Runde entfernt. Als Lewis Hamilton beim letzten Rennen der Saison 2021 auf die letzte Runde auf dem Kurs in Abu Dhabi einbog, war sein achter WM-Titel zum Greifen nahe. Er hatte das Rennen beherrscht, war deutlich in Führung. Doch ein spätes Safety Car schob das Feld nochmal zusammen, sein Titelkonkurrent Max Verstappen durfte sich mit frischen Reifen hinter ihm in Stellung bringen. Auf der Schlussrunde das Desaster: Verstappen überholte Hamilton, der Titel und damit auch der Rekord waren dahin. Doch das Ergebnis sollte in den kommenden Jahren noch frustrierender werden. Hamiltons Mercedes-Team legte einen fast beispiellosen Absturz hin, hatte seither nichts mehr mit dem WM-Kampf zu tun. Der Brite ergriff letztlich die Flucht und wechselte vor der aktuellen Saison zu Ferrari . Ausgerechnet mit dem Team, mit dem bereits Michael Schumacher Rekordweltmeister wurde, wollte Hamilton einen neuen Anlauf nehmen, den Deutschen zu übertreffen. Doch statt Schumachers erfolgreiche Jahre wieder aufleben zu lassen, erinnert die Situation momentan eher an dessen verkorkste erste Saison im Ferrari. Allerdings: Schumacher war damals erst 27 Jahre alt, hatte die größten Erfolge noch vor sich – und die dafür nötige Zeit. Hamiltons Problem heute dagegen: Mit seinen mittlerweile 40 Jahren läuft ihm eben diese Zeit viel schneller davon. Die Frustration wächst. Die Ergebnisse enttäuschen Sechs Rennen sind in Hamiltons erster Saison in Rot bislang gefahren. Die Ergebnisse des Briten: Zehnter, Sechster, Siebter, Fünfter, Siebter und Achter. Siege oder auch "nur" Podestplätze waren bislang außer Reichweite. Lediglich in den Sprint-Rennen konnte er überzeugen. In China holte er vollkommen überraschend den Sieg , in Miami schaffte er es mit Platz drei immerhin auf das Podest. Fakt ist jedoch: Mit Sprint-Rennen allein, die nur bei sechs Saisonrennen stattfinden und deutlich weniger Punkte einbringen als ein Grand-Prix-Sieg, gewinnt man keine Weltmeisterschaft. Erschwerend kommt hinzu: In jedem der Grand Prix lag Hamilton bislang hinter seinem Teamkollegen Charles Leclerc . Hamilton hat also mit dem Ferrari nicht nur ein Auto zur Verfügung, das aktuell nicht siegfähig scheint, er nutzt es ganz offensichtlich auch noch schlechter als Leclerc. "Macht doch noch eine Teepause" Dass der Monegasse zunächst einmal besser abschneiden würde als Hamilton, kommt nicht unerwartet. Leclerc fährt bereits seine siebte Saison für Ferrari. Er kennt das Auto in- und auswendig, ist vertraut mit dem Team und spricht vor allem fließend Italienisch, was die Kommunikation im Team deutlich erleichtert. Dennoch dürfte den ehrgeizigen Hamilton seine bisherige Unterlegenheit umtreiben. Eine gewisse Gereiztheit war ihm zuletzt jedenfalls deutlich anzumerken. Beim Rennen in Miami fuhren er und Teamkollege Leclerc mit unterschiedlichen Rennstrategien. Hamilton fand sich auf dem zwischenzeitlich schnelleren Reifen hinter Leclerc wieder und bat deshalb sein Team darum, an Leclerc vorbeigelassen zu werden, um Jagd auf die vorderen Plätze zu machen. Eigentlich kein unübliches Vorgehen in der Formel 1 . Doch Ferrari zögerte, hielt Hamilton hin. Der reagierte ungehalten und gab einige genervte Funksprüche ab. "Macht doch noch eine Teepause", funkte er etwa genervt an sein Team. Hamilton ist anderes gewohnt Ferrari ist in den vergangenen Jahren für derartige Kommunikations- und Strategiefehler berühmt geworden. Auch Leclerc kosteten diese Fehler bereits Siege, wie etwas beim Monaco-Rennen 2022, als ein falschen Timing beim Boxenstopp seinen Sieg beim Heimrennen verhinderte. Hamilton ist derartige Patzer jedoch nicht gewohnt. Er und sein ehemaliger Mercedes-Renningenieur Peter "Bono" Bonnington waren für ihre klare und effiziente Kommunikation bekannt. Entsprechend groß ist die Frustration mit Ferrari – die sich nun auch am Boxenfunk und damit vor den Augen und Ohren der Weltöffentlichkeit Bahnen zu brechen scheint. Womöglich sitzt die Frustration aber auch tiefer. Hamilton scheint erst jetzt zu begreifen, wie groß die Aufgabe ist, der er sich mit seinem Ferrari-Engagement gestellt hat. Offen hatte er seinen Wechsel auch mit dem Mythos begründet, der von der Marke Ferrari ausgeht. Jeder Fahrer träume davon, einmal in seiner Karriere im legendären roten Auto zu sitzen, sagte er damals. Hat ihn der Mythos Ferrari getäuscht? Die aktuelle Situation wirft jedoch die Frage auf, ob er sich von dem Mythos Ferrari hat blenden lassen. Zwar ist Ferrari das erfolgreichste und berühmteste Team der Formel-1-Geschichte. Jedoch sind die letzten Erfolge mittlerweile schon fast zwei Jahrzehnte her. Den letzten Fahrertitel in einem Ferrari holte Kimi Räikkönen . Das war 2007. Seither scheiterten selbst gestandene Fahrer wie etwa Doppelweltmeister Fernando Alonso oder auch Vierfachweltmeister Sebastian Vettel daran, mit Ferrari weitere Titel in ihre Sammlung aufzunehmen. Den Rückstand aufzuholen, den das Auto aktuell auf die Spitze hat, wird auch für Hamilton eine Herkulesaufgabe. Hamilton läuft die Zeit davon Immerhin: Michael Schumacher erlebte in seinem ersten Jahr bei Ferrari ebenfalls eine Horror-Saison. Sein Auto aus dem Jahr 1996 ging als "Rote Gurke" in die Geschichtsbücher ein. Dann schaffte er es jedoch, das Auto mit dem Team weiterzuentwickeln – und wurde zur dominanten Kraft der Rennserie. Rein vom fahrerischen Talent wäre Hamilton ähnliches zuzutrauen. Sein Problem bleibt jedoch der Faktor Zeit: Schumacher gewann seinen ersten Titel mit Ferrari erst in der fünften Saison. Angesichts seines bereits fortgeschrittenen Sportleralters dürfte Hamilton keine fünf Saisons Zeit haben, um die Wende zu schaffen. Mit Blick auf sein Ex-Team Mercedes, das aktuell deutlich schneller unterwegs ist als Ferrari und sich phasenweise sogar als zweite Kraft hinter den dominanten McLaren etablieren konnte, erhärtet sich der Eindruck: Hamilton hat sich mit seinem Wechsel verfahren. "Es wird dauern, bis wir dort sind, wo wir sein müssen" Er selbst ruft jedoch zunächst einmal zur Geduld auf. "Wir alle wollen sofort gewinnen, aber es wird dauern, bis wir dort sind, wo wir sein müssen", sagte Hamilton vor seinem ersten Ferrari-Heimspiel im italienischen Imola am kommenden Wochenende. Hamiltons wohl größte Hoffnung sind dabei die zur nächsten Saison anstehenden umfassenden Regeländerungen in der Formel 1, die traditionell das Potenzial haben, die Kräfteverhältnisse durcheinanderzuwirbeln. Bis dahin möchte Ferrari aber auch das aktuelle Auto noch nicht aufgeben. "Das wäre ein Fehler", sagte Teamchef Frédéric Vasseur in Imola. In der Druckkammer Formel 1 könne sich Ferrari das Abschenken bei noch 18 ausstehenden WM-Läufen nicht leisten. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie eine Gruppe von 1.000 Leuten die gleiche Motivation aufrechterhalten kann, wenn man etwas aufgibt", sagt der Franzose. Hamilton dürfte das gerne hören.