Nach dem spektakulären Sieg über Frankreich steht Deutschland vor der nächsten Herausforderung. Gegen Spanien fehlen drei weitere Spielerinnen. Aus Zürich berichtet Kim Steinke Noch am Samstag stürmte Bundestrainer Christian Wück jubelnd über den Rasen, riss die Arme hoch und umarmte jede Spielerin, die ihm in den Weg kam. Kurz zuvor hatte Ann-Katrin Berger mit zwei parierten Elfmetern den Traum vom neunten EM-Titel am Leben gehalten. Nach einem nervenaufreibenden 6:5 im Elfmeterschießen gegen Frankreich zog Deutschland ins Halbfinale ein. Das Weiterkommen im Viertelfinale hat aber auch Spuren hinterlassen: Sarai Linder ging auf Krücken aus dem Stadion, Kathrin Hendrich wurde mit Rot des Platzes verwiesen und mit Sjoeke Nüsken ist Deutschlands Taktgeberin nach der zweiten Gelben Karte fürs Duell gegen Weltmeister Spanien am Mittwoch gesperrt. Drei Spielerinnen, drei Schlüsselpositionen und drei offene Fragen für Bundestrainer Wück. Die Personalprobleme begleiten den 52-Jährigen bereits durch das gesamte Turnier. Nun muss er erneut umstellen. Mindestens zwei Fragezeichen in der Abwehr Nach bereits 40 Minuten im Auftaktspiel gegen Polen (2:0) war Wück gezwungen, seine Kapitänin und Außenverteidigerin Giulia Gwinn aufgrund einer Verletzung am Innenband zu ersetzen. Der Bundestrainer reagierte und setzte auf die unerfahrene Carlotta Wamser, die bis dato erst zwei Länderspielen absolviert hat. Die 21-Jährige zahlte das Vertrauen zurück, fiel offensiv positiv auf und hielt auch in der Defensive dicht. Im dritten Gruppenspiel gegen Schweden (1:4) sah sie jedoch nach einem Handspiel im Strafraum Rot – und fehlte im Viertelfinale gegen Frankreich. Wück baute seine Abwehr um, zog die Defensivspielerin Sarai Linder von links nach rechts und stellte die 20-jährige Franziska Kett auf die Abwehrseite in der Startelf. Nach einem frühen Zusammenstoß ging es für Linder allerdings nicht mehr weiter. Die Diagnose: eine Kapsel-Band-Verletzung am n Sprunggelenk. Ein Einsatz gegen Spanien wird für die Wolfsburgerin unmöglich. Wück musste gezwungenermaßen erneut reagieren und brachte Innenverteidigerin Sophia Kleinherne. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte sich die 25-Jährige behaupten. Mit der Rückkehr von Carlotta Wamser nach der Ein-Spiel-Sperre hat Wück nun zwei Spielerinnen, die er auf rechts außen stellen kann. Kett ist die einzige verbliebene Außenverteidigerin und gilt nach ihrer auffallend positiven Leistung gegen Frankreich nahezu als gesetzt. Hinter der Abwehr steht allerdings noch ein weiteres Fragezeichen – und das ist die Besetzung im Zentrum. Im Viertelfinale setzte Wück auf Kathrin Hendrich und Rebecca Knaak in der Innenverteidigung, zog Janina Minge, die das Turnier bis dahin in der Viererkette gespielt hatte, etwas nach vorne ins defensive Mittelfeld. Der Plan wurde jedoch binnen 13 Minuten aufgrund von Hendrichs Roter Karte zunichtegemacht – und Minge übernahm wieder ihren eigentlichen Job als Abwehrchefin. Sollte Wück gegen Spanien einen ähnlichen Plan haben und defensiver aufstellen wollen, könnte er neben Knaak auch auf Sophia Kleinherne im Abwehrzentrum setzen, um Minge wieder ins Mittelfeld ziehen zu können. Obwohl deutsche Abwehrspielerinnen bei dieser EM allmählich zur Mangelware werden, hat Wück also zumindest ein paar Optionen im Duell gegen Weltmeister Spanien. DFB-Sportdirektorin Nia Künzer bleibt positiv. "Was wir bewiesen haben, ist, dass wir Rote Karten, Ausfälle, Verletzungen kompensieren können", sagte die 45-Jährige. Wie der genaue Plan aussieht, wird sich am Mittwochabend um 21 Uhr zeigen. Deutschland ist Spaniens "Kryptonit" Bis dahin muss Bundestrainer Wück einen weiteren wichtigen, wenn nicht sogar den wichtigsten, Ausfall im deutschen Team ausgleichen. Im zentralen Mittelfeld wird es neben der gesetzten Elisa Senß besonders knifflig: Deutschlands Denkerin und Lenkerin Sjoeke Nüsken ist nach ihrer zweiten Gelben Karte gegen Spanien gesperrt. Je nach Ausrichtung stehen ihm mit Sara Däbritz (108 Länderspiele) eine defensive und mit Sydney Lohmann eine eher offensive Alternative zur Verfügung. Beide spielten im laufenden Turnier bislang nur eine bedingte Rolle: Däbritz sammelte sechs Minuten auf dem Platz, Lohmann absolvierte rund 64 Minuten. Die dritte Option wäre Janina Minge. Mit Ann-Katrin Berger (Tor), Rebecca Knaak, Janina Minge (beide Verteidigung), Elisa Senß (Mittelfeld), Klara Bühl und Jule Brand (beide Offensiv) sind immerhin sechs Stammspielerinnen fit und gesetzt. Stürmerin Lea Schüller wurde zuletzt von Giovanna Hoffmann ersetzt. Die Leipzigerin spielte gegen Frankreich groß auf – und empfahl sich für einen weiteren Einsatz in der Startelf. Neben der Aufstellung sei es laut DFB-Sportdirektorin Künzer aber vor allem wichtig "in die Köpfe der Spanierinnen" zu kommen. Der Weltmeister hat in bisher acht Duellen noch nie gegen Deutschland gewonnen. Die spanische "Marca" bezeichnete die DFB-Auswahl als "Spaniens Kryptonit". Und das, obwohl das Team um Weltfußballerin Aitana Bonmatí im laufenden Turnier bislang erst drei Gegentore kassierte und ungeschlagen ist. Bundestrainer Wück, der aufgrund der Ausfälle mehrfach zum Tüfteln gezwungen wurde, darf sich nun einen Plan ausdenken, genau das zu ändern, um sich erneut gegen einen Titelfavoriten durchzusetzen. Auf das Duell schwor er Fußball-Deutschland bereits ein: "Ich kann jetzt schon versprechen, dass wir auch den Spanierinnen einen heißen Tanz liefern werden" – wohl wissend, dass die Vorbereitung auf das Halbfinale mit Improvisation und Überzeugung zu tun hat.