Der Galeria-Konzern kämpfte über Jahre mit Insolvenz und Schließungen. Interne Dokumente zeigen nun erstmals die verborgenen Machtspiele hinter den Kulissen des angeschlagenen Kaufhausriesen. Die Geschichte des Kaufhauses in Deutschland reicht zurück bis ins späte 19. Jahrhundert. Doch die Hochzeiten des modernen Warenhauses sind lange vorbei, seit Jahren dominieren vor allem Geldsorgen, Insolvenzanträge und Schließungen die Schlagzeilen. Der größte Kaufhauskonzern Deutschlands, Galeria (GKK), musste im Januar 2024 zum dritten Mal innerhalb von weniger als vier Jahren Insolvenz anmelden. Neun Häuser wurden daraufhin geschlossen. Seit zwölf Monaten gehört die Handelskette der US-Investmentgesellschaft NRDC und einer Beteiligungsfirma des Unternehmers Bernd Beetz. Der Firmensitz befindet sich seit diesem Jahr in Düsseldorf . Zuvor gehörte der Galeria-Konzern dem kriselnden Signa-Imperium des Österreichers René Benko . 2022 befand sich die Kaufhaus-Gruppe bereits zum zweiten Mal in der Insolvenz. Damals keimte kurzzeitig Hoffnung auf: Markus Schön, Vorstandsvorsitzender des Händlers buero.de, überraschte mit einem öffentlichen Angebot für 47 Kaufhäuser. Wochenlang rätselte die Öffentlichkeit, ob das ernst gemeint sei oder nur ein Marketing-Gag, bis Schön und sein Unternehmen kurz vor Weihnachten die Reißleine zogen. Anfang Dezember endete nach drei Jahren die einseitig von ihm unterschriebene Verschwiegenheitsfrist. t-online liegen exklusive Unterlagen vor, die einen seltenen Einblick in die Machtspiele hinter den Kulissen des Kaufhausriesen geben. Sie offenbaren den Plan, den buero.de mit den Galeria-Filialen hatte. Auf ihrer Grundlage lässt sich das Vorgehen des Onlinehändlers rekonstruieren und eine zentrale Frage ableiten: Hätten zahlreiche Filialen gerettet werden können? Ein Drama in vier Akten. Kapitel 1: Annäherung 13. Oktober 2022. Der erste Kontakt in jüngster Zeit: An diesem Donnerstagabend im Oktober 2022 schickte Markus Schön eine Nachricht an den damaligen Galeria-Geschäftsführer Miguel Müllenbach über das digitale Job-Netzwerk Xing. Die vollständige Nachricht liegt t-online vor. Schön schreibt, er habe aus der Presse von der "bedrohlichen Lage gelesen, in der Sie Galeria Karstadt Kaufhof sehen". Er bietet Müllenbach zunächst seine Beratungsdienste an, verweist dazu auf seine Expertise in der Arbeit für den Onlinehändler buero.de. Und Schön geht noch weiter. Sein Unternehmen sei "auch aufgeschlossen, Standorte in Mittelzentren wie beispielsweise Bad Homburg, Fulda , Goslar oder Wismar zu übernehmen". Hierzu sei er bereits vor Jahren mit René Benko in Kontakt gewesen; dieser Kontakt sei jedoch eingeschlafen, schreibt Schön. Er schließt die Nachricht: "In jedem Fall drücke ich Ihnen die Daumen, dass Ihr Konzern auch diese Krise übersteht." Am Ende setzt er "Viele Grüße!", mit einem Ausrufezeichen, so wie es Schön bei jeder Nachricht macht. Kapitel 2: Gespräche 2. November 2022. Die "Bild"-Zeitung titelt: "Investor will Galeria Kaufhof retten." Das Boulevardblatt zitiert den Unternehmer Markus Schön: "Wir glauben an die Zukunft dieser Traditionsmarke in Kombination mit unserer Online-Erfahrung und könnten dabei helfen, Tausende Arbeitsplätze zu erhalten!" Erst einen Tag zuvor hatte Galeria Karstadt Kaufhof den Start eines sogenannten Schutzschirmverfahrens angekündigt. Das ist ein spezielles Insolvenzverfahren, bei dem die Geschäftsführung an Bord bleibt, aber eine Insolvenzverwaltung beratend zur Seite steht, mit dem Ziel, das Unternehmen zu sanieren. In diesem Fall sind das Arndt Geiwitz und sein Kanzleikollege Patrick Wahren. Geiwitz war bereits beim ersten Galeria-Insolvenzverfahren tätig, viele kennen ihn auch als Insolvenzverwalter der Schlecker-Märkte. "Erst als die Bild-Zeitung über unser Interesse berichtete, entstand Gesprächsbereitschaft", sagt Schön. Dennoch dauerte es, bis ein Gespräch mit der Galeria-Geschäftsführung zustande kam. Ein Gespräch, das am 14. November 2022 stattfinden sollte, wurde laut Schön kurzfristig abgesagt. Begründet wurde es damit, dass die GKK-Geschäftsführung keine Vertraulichkeitsvereinbarung abschließen wollte, wie das bei solchen Gesprächen oftmals üblich ist. Schließlich traf man sich am 30. November 2022, auch ohne eine von Galeria unterzeichnete Verschwiegenheitsvereinbarung. Nur Schön hatte sie für buero.de unterschrieben, ihre Frist ist am 1. Dezember 2025 ausgelaufen. Schön sagt: "Von der ersten Kontaktaufnahme Mitte Oktober bis zum Gespräch hat es fast anderthalb Monate gedauert." Er sei damals "irritiert" darüber gewesen, beteuerte in Mails, dass sein Unternehmen buero.de "sehr schnell handlungsfähig" sei. Inwieweit diese Angaben stimmen, lässt sich rückblickend nicht mehr vollständig rekonstruieren. Viele Beteiligte sind nicht mehr bei Galeria tätig, eine Konfrontation war daher nur schwer möglich. So musste Miguel Müllenbach im März 2023 seinen Posten als Geschäftsführer räumen. Geiwitz beziehungsweise Wahren wollen sich nicht äußern. Auf einen Fragenkatalog von t-online antwortete Wahren nur knapp: "Zu den Insolvenzvorgängen 2022 werden wir keine weiteren Stellungnahmen abgeben. Zu den Vorgängen hat die GKK, soweit es aus Gründen der Vertraulichkeit vertretbar war, Stellung bezogen." Das Gespräch Ende November 2022 sei dann sehr vertrauensvoll gewesen, sagt Schön. Später wird buero.de in dem finalen Brief an Galeria von einer "guten Gesprächsatmosphäre" schreiben. Darüber hinaus gab es noch weitere Gespräche auf Projektebene. Kapitel 3: Scheitern 22. Dezember 2022. Das Unternehmen buero.de nimmt nach nicht einmal zwei Monaten von dem Kaufangebot Abstand: "Wir haben unser Angebot für die 47 Filialen in der Tat zurückgezogen", sagte Schön damals der Deutschen Presse-Agentur. "Die Gerüchte über viel weitergehende Schließungen und die in diesem Zusammenhang in den letzten Tagen für uns deutlich gewordene Konfliktlage führen zu veränderten Rahmenbedingungen, die für uns nicht akzeptabel sind", teilte er mit. Das hätten die Firmengremien nach mehrstündigen Sitzungen entschieden. Detaillierte Informationen zu den Gründen für die Absage gibt ein Schreiben von Schön als buero.de-Chef an Insolvenzverwalter Geiwitz und Galeria-Geschäftsführer Müllenbach. Es ist überschrieben mit "Unsere Rückmeldung zum Letter of Intent". Mit einem "Letter of Intent" ist eine Absichtserklärung gemeint, in diesem Fall: zur Übernahme der Galeria-Standorte. Dieser werde "aus informatorischen Zwecken" und ohne Anlagen übermittelt, heißt es in dem Schreiben, "da die buero.de Handel AG ihr Übernahmeinteresse an 47 Standorten der Galeria Karstadt Kaufhof GmbH mit Blick auf die Entwicklungen seit dem 19.12.2022 nicht weiterverfolgen wird". Schön schreibt, dass das Vorgehen von Geiwitz und Müllenbach "im Nachgang zu unserer Besprechung bei uns für Irritationen gesorgt" habe. "So haben wir uns intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie wir insbesondere mit den rudimentären und aus unserer Sicht völlig ungenügenden Informationen zu den Mitarbeitenden und den bestehenden mietvertraglichen Bindungen, einen, wenn auch unverbindlichen 'Letter of Intent' vorlegen sollen." Es heißt weiter: "Ferner verwundert uns, dass immer wieder neue Informationen an die Öffentlichkeit gedrungen sind, bei denen wir erwartet hätten, diese im Vorfeld der Veröffentlichungen von Ihnen zu erhalten." So habe man zur Kenntnis nehmen müssen, "dass Sie ein Konzept mit umfangreichen Standortschließungen in Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat verfolgen. Dieses umfangreiche Konzept der Standortschließungen lässt sich mit unserem Konzept der Fortführung von Filialen an einer Vielzahl von Standorten nicht in Einklang bringen." Ab dem 19. Dezember 2022 hatten Medien über einen Brief des GKK-Betriebsrats berichtet. So schrieb die "Lebensmittel Zeitung", dass aus dem internen Dokument des Betriebsrats an die Beschäftigten von bis zu 90 von insgesamt 130 Filialen die Rede sei, die schließen müssten. Zuvor hatte Müllenbach von einem Drittel gesprochen, also maximal bis zu 45. Die neuen Informationen hätten Folgen für die Belegschaft, heißt es nun in dem Schreiben von Schön. Qualifizierte Beschäftigte – vor allem in der IT – würden das Unternehmen schneller verlassen als bisher bekannt. Mehrere betroffene Standorte berichteten bereits von erheblichen Personalproblemen. Das stehe im Widerspruch zu den Planungen von buero.de, das die vorhandenen Mitarbeitenden übernehmen wollte. Dieser Plan wird auch im "Letter of Intent" ausgeführt. In der Absichtserklärung wird der Onlinehändler denn auch deutlich, äußert sich zu den Gründen für die Insolvenz des Kaufhauskonzerns. "Letztlich ist die Insolvenz Ihres Unternehmens nicht auf zu hohe Personalkosten, sondern zu geringe Umsätze, viel zu hohe Mietkosten und eine unzureichende Rohertragsmarge zurückzuführen. Während wir hinsichtlich der Umsätze und der Margenentwicklung sehr zuversichtlich sind, kann man die Kosten der derzeitigen Mietverträge nicht tragen", heißt es in dem "Letter of Intent". Schön dazu: "In vielen Fällen steckten die Vermieter hinter verschachtelten Fonds in Steueroasen. Einige dieser Gesellschaften haben wir in den drei Wochen Prüfungszeit überhaupt nicht erreichen können. Objekte wie in Halle an der Saale, bei denen man es mit echten, ansprechbaren Menschen zu tun hatte, waren die absolute Ausnahme." Die Informationen zu den Mietverhältnissen sei "unzureichend" gewesen, das unternehmerische Risiko für buero.de sehr hoch. Die hohen Mieten werden später auch Teil der Insolvenzbetrachtungen sein. So kassierte insbesondere die Signa-Holding jahrelang Millionen an Mieteinnahmen von Galeria, das Teil des Firmenkomplexes war. Kapitel 4: Und danach? 1. Dezember 2025. Die Frist zur einseitigen Verschwiegenheitserklärung läuft aus. Ein Grund, warum sich der Unternehmer Schön nun öffentlich äußert. "Ich bedauere, dass es kurz vor Weihnachten 2022 zu dieser Entscheidung kommen musste", sagt Schön. "Doch die Bedingungen, unter denen wir damals agiert haben, ließen es nicht zu, unser Angebot aufrechtzuerhalten." Der buero.de-Chef geht indes noch weiter: "Man wollte uns nicht", beschreibt Schön das damalige Gefühl. "Rückblickend sehen wir uns bestätigt: Ernsthaft verhandelt hat man mit uns nicht." Die Insolvenzveraltung und die GKK-Geschäftsführung hätten einen anderen Plan gehabt und diesen verfolgt, so Schön. Belegen lässt sich das allerdings nicht, zumal es nicht ausgemacht ist, dass ein Deal zustande gekommen wäre, wenn buero.de sein Angebot aufrechterhalten hätte. Insolvenzverwalter Patrick Wahren schreibt in einer Mail an t-online dazu nur: "Ich bedaure, Ihnen keine andere Information geben zu können." Der Kaufhausriese Galeria muss infolge der zweiten Insolvenz 41 Filialen schließen, viele von denen, die buero.de übernehmen hätte wollen. 4.000 Menschen verlieren ihren Job. Das sei besonders bitter, sagt Schön. "Während unserer Bemühungen um eine Übernahme habe ich – wie auch mein Team – Hunderte E-Mails von GKK-Beschäftigten erhalten. Viele haben uns Mut gemacht, unseren Ansatz gelobt und die Hoffnung ausgedrückt, dass wir Erfolg haben." Ein Jahr später gab es erneut Gespräche zwischen GKK und buero.de. Dieses Mal ging es um die Bürobedarfssparte des Kaufhauskonzerns. Doch auch diese Gespräche scheiterten, das Risiko für seinen Onlinehändler sei zu hoch gewesen , sagt Vorstandsvorsitzender Schön. Ende 2023 rutscht die Signa-Holding in die Zahlungsunfähigkeit, in diesem Zuge wird Galeria erneut in die Insolvenz gezogen. Anfang 2024 stellt die Firma seinen dritten Insolvenzantrag in wenigen Jahren, erneut müssen neun Kaufhäuser dichtmachen. Mittlerweile gehört die Kaufhauskette nicht mehr zum Signa-Firmenkomplex, René Benko steht in Österreich vor Gericht, ihm droht eine lange Haftstrafe. Ein erstes Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Und buero.de? Kritiker warfen dem Onlinehändler und auch Schön damals vor, es sei ihm nur um Aufmerksamkeit gegangen. Schön weist das zurück: "Wir hatten von Anfang an ein ernsthaftes Interesse an einer Übernahme – und haben dafür alles getan, was in der kurzen Zeit möglich war." Aber am Ende habe es nicht sein sollen. buero.de investierte in andere Unternehmen, in seinen Vermögensverwalter, in Digitalisierung. Schön sagt, buero.de wolle nun den Blick nach vorn richten. Das gilt auch für ihn persönlich. Er hat seinen Ende Oktober ausgelaufenen Vertrag als Vorstandschef der Unternehmensgruppe nicht verlängert. Bis ein Nachfolger gefunden ist, führt er die buero.de-Geschäfte aber weiter.