Katja und Eva wohnen unter einem Dach. Sie sind weder verwandt noch verschwägert. Zwischen den WG-Partnerinnen liegen mehr als 50 Jahre Altersunterschied. Das Alt-Jung-Tandem hilft sich gegenseitig: Gratis Wohnen im großen Haus von Eva im Tausch gegen Hilfe im Haushalt durch Katja. Doch dem Modell fehlt ein klarer gesetzlicher Rahmen und die Bundesregierung hat nicht vor das zu ändern. Ein Reihenhaus in einer oberbayerischen Gemeinde. Hier lebt Eva im Erdgeschoss. Über der 87-jährigen Rentnerin wohnt Katja. Sie ist vor vier Jahren eingezogen, damals noch als Studentin: "Eine Wohnung ganz allein für mich hätte ich mir nicht leisten können. Da waren die Optionen Studentenwohnheim, WG oder dieses Modell." Dieses Modell bedeutet, dass Katja zwölf Stunden im Monat im Haushalt hilft. Dafür wohnt sie mietfrei. Die Hauseigentümerin kann so in ihrer vertrauten Umgebung bleiben, obwohl sie z.B. den Boden nicht mehr selbst wischen kann. Vermittlerin: "Barriere, jemand Fremden ins Haus zu nehmen" "Wohnen für Hilfe" – so heißt ein Projekt in Rosenheim. Ilse Ilgenfritz ist eine der ehrenamtlichen Vermittlerinnen. Sie versucht Studenten, die nur wenig Geld für Miete ausgeben können, mit Senioren, die zwar über genügend Wohnraum verfügen, aber Hilfe brauchen, zusammenzubringen. Gegenüber BR24 erklärt Ilgenfritz auf einem Streifzug durch die Stadt: "Das ist eine typische Straße hier. Es gibt sehr viele, große Einfamilienhäuser. Und in jedem wohnt nur eine Dame. Es gäbe also viel Raum für junge Menschen. Aber es ist immer die Barriere da, jemand Fremden ins Haus zu nehmen." Doch ohne fremde Hilfe geht es oft nicht ab einem gewissen Alter. Denn gleichzeitig wünscht sich - laut einer von Statista veröffentlichten Umfrage - die Mehrheit der Deutschen, in den eigenen vier Wänden alt zu werden. Gratis Wohnen gegen Hilfe - ist das also ein Modell, das großflächig Schule machen kann? Welche steuerrechtlichen Hürden es gibt Die Stadt Rosenheim unterstützt das Projekt "Wohnen für Hilfe" und stellt Räume zur Verfügung. In den Verträgen zwischen Senioren und Studenten sind die gegenseitigen Leistungen genau geregelt: Eine Stunde Arbeit für einen Quadratmeter Wohnraum gratis. Die Vertragspartner zahlen für die Leistungen bislang keine Steuern. Doch ist das Modell steuerrechtlich überhaupt möglich? Die Unklarheit halte viele Senioren ab, davon Gebrauch zu machen, so Ilse Ilgenfritz. Sie fordert deshalb: "Die Politik sollte im Einkommenssteuergesetz explizit festlegen, dass Wohnen für Hilfe steuerfrei ist." Auch der Freistaat unterstützt das Modell, 2019 habe man den damaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz von der SPD zur steuerlichen Freistellung aufgefordert. Auf Nachfrage teilte das bayerische Finanzministerium Anfang März 2023 gegenüber Kontrovers mit: "Die notwendigen Stellschrauben hierfür liegen beim Bund, weshalb Bayern nicht im Alleingang tätig werden kann." Mindestlohn und Lohnsteuer - viele offene Fragen Das Bundesfinanzministerium geht grundsätzlich davon aus, dass sowohl die Hilfe, als auch der Wohnraum zu versteuern seien, verweist aber auf Länder, die für die Anwendung der Steuergesetze zuständig seien: "Wenden Sie sich daher mit Ihren Fragen bitte an die jeweiligen Landesfinanzbehörden". Johanna Hey ist Steuerrechtsprofessorin an der Universität zu Köln. Auch sie befürwortet das Modell "Hilfe gegen Wohnen", sieht aber zwei grundsätzliche Probleme, die viele, die das Modell selbst nutzen, gar nicht kennen. Denn laut ihrer Ansicht ergeben sich sowohl für Vermieter als auch den Helfer Steuerpflichten, da Leistungen ausgetauscht werden. "Die Wohnungseigentümer müssen die Mieteinkünfte vor dem Finanzamt erklären und die Helfer müssen grundsätzlich Lohnsteuer bezahlen. Außerdem gilt für dieses Modell der Mindestlohn. Und der darf nicht in Sachleistungen abgegolten werden", erläutert die Steuerexpertin. Aktuell könne das Modell bedauerlicherweise nicht funktionieren. Auch sie plädiert deshalb für eine Gesetzesänderung. Wenn man "Wohnen gegen Hilfe" grundsätzlich von der Steuer befreit, wären die Einnahme-Verluste für den Staat ohnehin gering. "Die Vermieter haben häufig die Möglichkeit, steuerliche Begünstigungen für haushaltsnahe Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Und die meisten Studierenden, die einen Arbeitslohn beziehen würden, sind nicht steuerpflichtig, weil sie weniger als das Existenzminimum verdienen", erklärt die Steuerexpertin. Alt-Jung-Tandems, die sich zusammentun und damit das Pflegesystem entlasten, sind ein Erfolgsmodell. Jetzt ist der Bund gefragt, die steuerrechtlichen Probleme aus dem Weg zu räumen. Autorinnen: Gabriele Knetsch, Lena Walbrunn Aus der Kontrovers-Sendung vom 15.3.2023 Hier geht‘s zu unserer BR24-Website: http://www.BR24.de BR24-Facebook: http://www.facebook.com/BR24 BR24-Twitter: http://twitter.com/BR24 Kontrovers im Internet: http://www.br.de/kontrovers Weitere Beiträge von Kontrovers finden Sie auch in der ARD Mediathek: https://1.ard.de/Kontrovers
Generationen unterstützen sich gegenseitig: Gratis Wohnen für Hilfe im Haushalt | Kontrovers | BR24
Katja und Eva wohnen unter einem Dach. Sie sind weder verwandt noch verschwägert. Zwischen den WG-Partnerinnen liegen mehr als 50 Jahre Altersunterschied. Das Alt-Jung-Tandem hilft sich gegenseitig: Gratis Wohnen im großen Haus von Eva im Tausch gegen Hilfe im Haushalt durch Katja. Doch dem Modell fehlt ein klarer gesetzlicher Rahmen und die Bundesregierung hat nicht vor das zu ändern. Ein Reihenhaus in einer oberbayerischen Gemeinde. Hier lebt Eva im Erdgeschoss. Über der 87-jährigen Rentnerin wohnt Katja. Sie ist vor vier Jahren eingezogen, damals noch als Studentin: "Eine Wohnung ganz allein für mich hätte ich mir nicht leisten können. Da waren die Optionen Studentenwohnheim, WG oder dieses Modell." Dieses Modell bedeutet, dass Katja zwölf Stunden im Monat im Haushalt hilft. Dafür wohnt sie mietfrei. Die Hauseigentümerin kann so in ihrer vertrauten Umgebung bleiben, obwohl sie z.B. den Boden nicht mehr selbst wischen kann. Vermittlerin: "Barriere, jemand Fremden ins Haus zu nehmen" "Wohnen für Hilfe" – so heißt ein Projekt in Rosenheim. Ilse Ilgenfritz ist eine der ehrenamtlichen Vermittlerinnen. Sie versucht Studenten, die nur wenig Geld für Miete ausgeben können, mit Senioren, die zwar über genügend Wohnraum verfügen, aber Hilfe brauchen, zusammenzubringen. Gegenüber BR24 erklärt Ilgenfritz auf einem Streifzug durch die Stadt: "Das ist eine typische Straße hier. Es gibt sehr viele, große Einfamilienhäuser. Und in jedem wohnt nur eine Dame. Es gäbe also viel Raum für junge Menschen. Aber es ist immer die Barriere da, jemand Fremden ins Haus zu nehmen." Doch ohne fremde Hilfe geht es oft nicht ab einem gewissen Alter. Denn gleichzeitig wünscht sich - laut einer von Statista veröffentlichten Umfrage - die Mehrheit der Deutschen, in den eigenen vier Wänden alt zu werden. Gratis Wohnen gegen Hilfe - ist das also ein Modell, das großflächig Schule machen kann? Welche steuerrechtlichen Hürden es gibt Die Stadt Rosenheim unterstützt das Projekt "Wohnen für Hilfe" und stellt Räume zur Verfügung. In den Verträgen zwischen Senioren und Studenten sind die gegenseitigen Leistungen genau geregelt: Eine Stunde Arbeit für einen Quadratmeter Wohnraum gratis. Die Vertragspartner zahlen für die Leistungen bislang keine Steuern. Doch ist das Modell steuerrechtlich überhaupt möglich? Die Unklarheit halte viele Senioren ab, davon Gebrauch zu machen, so Ilse Ilgenfritz. Sie fordert deshalb: "Die Politik sollte im Einkommenssteuergesetz explizit festlegen, dass Wohnen für Hilfe steuerfrei ist." Auch der Freistaat unterstützt das Modell, 2019 habe man den damaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz von der SPD zur steuerlichen Freistellung aufgefordert. Auf Nachfrage teilte das bayerische Finanzministerium Anfang März 2023 gegenüber Kontrovers mit: "Die notwendigen Stellschrauben hierfür liegen beim Bund, weshalb Bayern nicht im Alleingang tätig werden kann." Mindestlohn und Lohnsteuer - viele offene Fragen Das Bundesfinanzministerium geht grundsätzlich davon aus, dass sowohl die Hilfe, als auch der Wohnraum zu versteuern seien, verweist aber auf Länder, die für die Anwendung der Steuergesetze zuständig seien: "Wenden Sie sich daher mit Ihren Fragen bitte an die jeweiligen Landesfinanzbehörden". Johanna Hey ist Steuerrechtsprofessorin an der Universität zu Köln. Auch sie befürwortet das Modell "Hilfe gegen Wohnen", sieht aber zwei grundsätzliche Probleme, die viele, die das Modell selbst nutzen, gar nicht kennen. Denn laut ihrer Ansicht ergeben sich sowohl für Vermieter als auch den Helfer Steuerpflichten, da Leistungen ausgetauscht werden. "Die Wohnungseigentümer müssen die Mieteinkünfte vor dem Finanzamt erklären und die Helfer müssen grundsätzlich Lohnsteuer bezahlen. Außerdem gilt für dieses Modell der Mindestlohn. Und der darf nicht in Sachleistungen abgegolten werden", erläutert die Steuerexpertin. Aktuell könne das Modell bedauerlicherweise nicht funktionieren. Auch sie plädiert deshalb für eine Gesetzesänderung. Wenn man "Wohnen gegen Hilfe" grundsätzlich von der Steuer befreit, wären die Einnahme-Verluste für den Staat ohnehin gering. "Die Vermieter haben häufig die Möglichkeit, steuerliche Begünstigungen für haushaltsnahe Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Und die meisten Studierenden, die einen Arbeitslohn beziehen würden, sind nicht steuerpflichtig, weil sie weniger als das Existenzminimum verdienen", erklärt die Steuerexpertin. Alt-Jung-Tandems, die sich zusammentun und damit das Pflegesystem entlasten, sind ein Erfolgsmodell. Jetzt ist der Bund gefragt, die steuerrechtlichen Probleme aus dem Weg zu räumen. Autorinnen: Gabriele Knetsch, Lena Walbrunn Aus der Kontrovers-Sendung vom 15.3.2023 Hier geht‘s zu unserer BR24-Website: http://www.BR24.de BR24-Facebook: http://www.facebook.com/BR24 BR24-Twitter: http://twitter.com/BR24 Kontrovers im Internet: http://www.br.de/kontrovers Weitere Beiträge von Kontrovers finden Sie auch in der ARD Mediathek: https://1.ard.de/Kontrovers