Ein Automobilverband sieht 190.000 Arbeitsplätze in der Branche in Gefahr. Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar macht der Industrie schwere Vorwürfe. Zu teuer, zu rückwärtsgewandt, zu wenig konkurrenzfähig: Bei VW herrscht angesichts der schlechten Aussichten des Unternehmens Katastrophenstimmung. Es könnte erstmals zu Werksschließungen kommen. Mit dem größten deutschen Automobilkonzern blicken hunderttausende Mitarbeiter und die gesamte Branche besorgt in eine Zukunft, auf die sie schlecht vorbereitet zu sein scheinen. "Deutschland in der Autokrise: Fährt eine Industrie gegen die Wand?", wollte "Hart-aber-fair"-Moderator Louis Klamroth also am Montagabend in der ARD von seinen Talkgästen wissen. Die Gäste Andreas Audretsch (Bündnis 90/Die Grünen), Fraktionsvize Frank Schäffler (FDP), Mitglied im Haushaltsausschuss Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist Ragnhild Sørensen, Sprecherin des Vereins Changing Cities Aleksandar Zec, Gebrauchtwagenhändler Angesichts der jüngsten Hiobsbotschaften überwog in der Talkrunde die Skepsis. Statt nach Lösungen wurde zunächst nach Schuldigen gesucht. Dass die VW-Belegschaft im Ungewissen gelassen werde, sei inakzeptabel, kritisierte der Grünen-Politiker Andreas Audretsch. Man dürfe die Fehler des Managements und der Politik nicht auf ihrem Rücken austragen. Wiederholt stellte sich der designierte Wahlkampfleiter der Grünen an die Seite der Gewerkschaft IG Metall und der VW-Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo. Wie diese forderte Audretsch eine Zukunftsgarantie für alle Beschäftigten und Standorte. Automobil-Verband sieht 190.000 Arbeitsplätze in Gefahr Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, bezeichnete diese Position als unehrlich. Die Transformation in Richtung der E-Mobilität werde Stellen kosten. Bis 2035 könnten nach Berechnungen des Verbands rund 190.000 Arbeitsplätze wegfallen. Ob an deren Stelle neue Positionen träten, hänge von den Standortbedingungen ab. "Ich finde, da dürfen wir uns nicht länger wegducken. Wir sind zu teuer in den Energiekosten, wir sind zu teuer in den Bürokratiekosten, in den Arbeitskosten", kritisierte Müller. Wenn man diese Fragen nicht in den Griff bekomme, werde die Autoindustrie ihre Wege gehen, aber nicht mehr mit Wachstum und Wertschöpfung und Arbeitsplätzen in Deutschland. Der FDP-Politiker Frank Schäffler machte sowohl die Volkswagen-Führung als auch die Politik für die Probleme verantwortlich. Bei VW seien große Managementfehler begangen worden, darunter die einseitige Orientierung auf die Elektromobilität. Der EU warf der Liberale in diesem Zusammenhang vor, mit dem faktischen Verbrennerverbot ab 2035 die falschen Anreize gesetzt zu haben. "Wir konzentrieren uns auf europäischer Ebene nur auf Elektro, und das führt letztendlich zu dieser Zwangstransformation unserer Wirtschaft", sagte Schäffler. Er sei sich angesichts der Tatsache, dass beispielsweise lateinamerikanische Staaten und die USA andere Wege einschlügen, nicht sicher, ob das zielführend sei. "Wer sich am Ende da durchsetzt, weiß ich nicht", erklärte Schäffler und plädierte für größere Technologieoffenheit im Hinblick auf Wasserstoff, LNG und sogenannte E-Fuels. Yogeshwar: E-Autos sind günstiger und effektiver Der Fernsehmoderator Ranga Yogeshwar warnte in diesem Zusammenhang davor, weiter mit Nebelbomben zu werfen. Die E-Fuels bezeichnete der Wissenschaftsjournalist als "eine nette Konstruktion, die gebraucht werde, um sich nicht umstellen zu müssen. "Wir drücken die Pausentaste der Entwicklung und bleiben beim Alten. Das wird nicht helfen", mahnte Yogeshwar an, der nebenbei erwähnte, dass er privat ein E-Auto aus deutscher Produktion fahre. Insgesamt seien E-Autos um ein Vielfaches effektiver und einfacher als mit E-Fuels oder Wasserstoff betriebene Fahrzeuge und deshalb nicht aufzuhalten, "Wir werden Autos haben, die deutlich günstiger sind als Verbrenner", so Yogeshwar. Er machte der Politik und der Autoindustrie hierzulande schwere Vorwürfe. Deutschland halte viel zu lange an alten Ideen fest, anstatt schnell und vor allem kostengünstig zu transformieren. "Ich glaube, der Ernst der Situation ist vielen überhaupt nicht bewusst", so der WDR-Journalist mit Blick auf den Technologievorsprung, den Länder wie China bereits haben. Den Deutschen diagnostizierte der Sohn eines indischen Ingenieurs und einer luxemburgischen Künstlerin ein außergewöhnlich emotionales, irrationales Verhältnis zum Automobil. Wenn drei Männer in Deutschland zusammenstünden, gehe es nach drei Minuten mit Sicherheit um Autos, bei drei Indern vielleicht um Magen-Darm-Krankheiten. Klimaziele nur mit weniger Autos erreichbar Auch in ihrem Heimatland Dänemark werde nach drei Minuten über Autos gesprochen, hielt Ragnhild Sørensen dem aus eigener Erfahrung entgegen. Der Unterschied sei, dass man sich dort irgendwann entschlossen habe, einen anderen Weg einzuschlagen. Die Sprecherin des Vereins Changing Cities lenkte den Blick weg von der Lage der deutschen Automobilindustrie und hin zu Mobilitätskonzepten, die auf weniger Autos setzen und alle Verkehrsmittel gleichberechtigt zu behandeln versuchen. Angesichts der Pariser Klimaziele gelte es, sich ehrlich zu machen. "Wir werden es nicht hinkriegen mit der Anzahl von Autos, die wir heute haben", erklärte die NGO-Vertreterin. Um die Menge zu reduzieren, müsse man das Autofahren erschweren. "Die Leute werden nicht automatisch und von alleine die Autos einfach stehen lassen", gab die Verkehrswende-Aktivistin zu bedenken. Für die deutschen Autohersteller und ihre Beschäftigten würde eine solche Abkehr vom Automobil auf dem Heimatmarkt allerdings ein zusätzliches Problem bedeuten.