Leipziger Weihnachtsmarkt: So geht es den Standbetreibern mit den Kosten

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Vor der diesjährigen Weihnachtsmarktsaison gab es viel Unsicherheit: Wie steht es um die Sicherheit? Wie teuer wird es? Lohnt es sich überhaupt für die Budenbetreiber? Ein Besuch in Leipzig. Ein älteres Ehepaar schlendert über den Leipziger Weihnachtsmarkt – er in einem beigefarbenen Mantel, sie trägt eine braune Steppjacke. Die Temperaturen sind mild, es ist Vormittag. Langsam füllt sich die Innenstadt, doch Schlangen bilden sich noch nirgends. Da weckt eine Tafel die Aufmerksamkeit des Mannes. Er nimmt die Hände aus den Manteltaschen und richtet seine Brille. Interessiert studiert er das Angebot, schließlich wendet sich an seine Frau: "8,50 Euro für ein Flammlachsbrötchen? Das wird auch jedes Jahr teurer." Seine Frau nickt zustimmend. Beide wenden sich ab. Kein Flammlachsbrötchen heute für die beiden. Experten warnen: Diese Bedrohung betrifft alle Weihnachtsmärkte Weihnachtsmarkt anders: Das sind die skurrilsten Weihnachtsmärkte weltweit So wie dem Ehepaar scheint es vielen Menschen in Deutschland zu gehen. Insbesondere in den sozialen Medien häufen sich Beschwerden über die Preise auf den Weihnachtsmärkten. Viele berichten, vor allem für Familien sei ein Besuch kaum noch zu finanzieren. Tatsächlich sind Strom und Lebensmittel in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden. Seit 2022 stiegen die Preise aufgrund der Auswirkungen des Ukraine-Kriegs insgesamt um über 19 Prozent, das spiegelt sich auch auf den 3.250 deutschen Weihnachtsmärkten wider, zumal die Strompreise hier deutlich höher sind als im stationären Handel. Schließlich können die Händler nicht zwischen verschiedenen Anbietern wählen. Hinzu kommt, dass nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt von Magdeburg im vergangenen Jahr die Sicherheitsanforderungen vielerorts erhöht wurden und auch hier die Kosten entsprechend gestiegen sind. Preise steigen nicht immer Wenn alles mehr kostet, bleibt vielen Händlern nichts anderes übrig, als die Preissteigerungen an die Kunden weiterzugeben, auch in Leipzig . Vom Frust der Menschen ist hier allerdings nur wenig zu spüren. Die Stimmung sei gut, berichten viele Standbetreiber, die Besucherzahlen seien stabil. Auch die Kauflaune sei vielerorts weiter groß. Und doch plagen manche Händler auch Sorgen. Für Stefanie Kobelt läuft bisher alles zufriedenstellend. Sie leitet das finnische Dorf, eine Art Mini-Weihnachsmarkt auf dem großen Leipziger Weihnachtsmarkt. Auf einem eigenen kleinen Gelände werden dort an mehreren Ständen Flammlachs und der skandinavische Beerenglühwein Glögi angeboten, während in einer 200 Jahre alten finnischen Blockhütte nordische Spezialitäten verkauft werden. Die Angebotstafel, die das Ehepaar zuvor kopfschüttelnd zurückgelassen hat, gehört zu dem finnischen Dorf. Doch der Mann hat sich getäuscht: Das Flammlachsbrötchen ist nicht teurer geworden. Es koste genau so viel wie im vergangenen Jahr, sagt Kobelt. Zwar seien die Kosten insgesamt gestiegen, man versuche aber, möglichst wenig davon auf die Kunden umzulegen. "Es ist ein Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und der Attraktivität für Kunden." Kobelt steht in schwarzer Jacke und weinrotem Schal an einem Stehtisch im finnischen Dorf und trinkt einen Kinder-Glögi. Sie könne den Menschen keinen Vorwurf machen und korrigiere sie auch nicht, wenn jemand fälschlicherweise behaupte, gewisse Produkte seien teuer geworden. Kundschaft kommt langsam wieder zurück Im finnischen Dorf habe man versucht, den gestiegenen Energiekosten zuletzt vor allem durch effizientere Stromnutzung entgegenzuwirken. Die Weihnachtsbaumbeleuchtung brennt trotz positiver Rückmeldungen nicht mehr die ganze Nacht, die Leuchtschilder wurden auf LED-Glühbirnen umgerüstet und Stromgeräte werden ausgeschaltet, wenn weniger Andrang da ist. Dennoch stellt Kobelt fest: "Die Energielasten sind weiterhin enorm." Nachdem die Kundschaft in den ersten Jahren nach der Corona-Pause wegen der massiven Inflation eher verhalten zurückkehrte, geht es seit einigen Jahren wieder bergauf. 4,17 Milliarden Euro Umsatz machten die deutschen Weihnachtsmärkte laut dem Deutschen Schaustellerverband im vergangenen Jahr, das entspricht einem Plus von 45 Prozent zum Vorjahr. Auch Kobelt merkt den Aufschwung: "Die Leute haben wieder Lust auf Weihnachtsmarkt." Das ist für das finnische Dorf eine gute Nachricht, aber auch elementar wichtig. Denn die Betreiber des finnischen Weihnachtsdorfes stehen unter besonderem Druck. Für sie ist der Weihnachtsmarkt neben einem kleinen Onlineshop die einzige Einnahmequelle für das gesamte Jahr. Der einmonatige Betrieb von vier Standorten in ganz Deutschland muss neben dem laufenden Geschäft auch fünf Festangestellte sowie Lager- und Logistik für das gesamte Jahr finanzieren. Crêpehändler zeigt sich mit Weihnachtsmarkt zufrieden Ganz anders ist die Situation bei Daniel Seiferth. Der bärtige Leipziger steht in blauer Fleecejacke hinter der Theke seines großen, grünen Crêpestandes mit rot-weißem Dach. Alle Stände auf dem Marktplatz sind in dieser Optik gehalten. Rund um ihn herum bereiten vier Mitarbeiterinnen Crêpes und Galettes vor, eine Kundin bestellt gerade die "Süße Ziege" mit Ziegenkäse und Honig. Seit 2001 verkauft er Crêpes, seit über zehn Jahren ist er selbstständig. Seiferth ist mit seinen Crêpes das ganze Jahr über auf verschiedenen Veranstaltungen unterwegs, von Volksfesten über Konzerte bis zu Festivals. Der Leipziger Weihnachtsmarkt ist für ihn ein gutes Geschäft, sogar das beste im ganzen Jahr. Sogar den Strompreis empfindet er als nicht zu hoch, im Vergleich zu dem, was er bei Festivals für Strom zahlt, sogar als "noch moderat". "Deswegen ist die Gewinnmarge hier deutlich größer, auch wenn wir die Crêpes günstiger anbieten können." Zwar habe er höhere Preise als die Konkurrenz, das liege aber insbesondere an den höheren Produktionskosten. Schließlich stelle man nahezu alles selbst her, vom Apfelmus bis zum Salzkaramell. "Das glättet sich ohnehin über den Markt hinweg", meint Seiferth. Kaum jemand entschiede sich wegen 50 Cent Preisunterschied gegen seinen Stand. Zudem hofft er, dass sich die Qualität auszahlt und die Kunden deshalb wiederkommen. Gemeinnütziger Verein ohne Druck auf dem Weihnachtsmarkt Ein paar Gehminuten entfernt schließt Eric Buchmann gerade den Glühweinstand der Hieronymus-Lotter-Gesellschaft auf. Hier geht es immer ein paar Stunden später los, denn der gemeinnützige Verein hat einen ganz anderen Anspruch. Alle Erlöse gehen in die Förderung des Stadtgeschichtlichen Museums. Diejenigen, die hinter dem Tresen stehen, sind Vereinsmitglieder, sie werden nicht bezahlt. Und weil der Stand zusätzlich noch auf Vereinsgelände in der Innenstadt steht, wird auch keine Standgebühr fällig. Dementsprechend ist der Glühwein hier noch günstiger. "Unsere Existenz hängt nicht an dem Umsatz wie bei anderen Ständen", verdeutlicht der Vorsitzende Buchmann. In diesem Jahr stellt er bisher zwar etwas weniger Kundschaft fest, Buchmann sieht es aber gelassen: "Es ist schade, wenn wir 3.000 oder 4.000 Euro weniger einnehmen, aber nicht dramatisch." Keramikhändlerin wünscht sich mehr Unterstützung Ein paar Meter weiter im Inneren des Marktes befindet sich der Stand von Gabriela Roth-Budig. Sie steht hinter einer Theke voller Keramik: Tassen, Teller, Schüsseln, Kannen, Kerzenständer – oft mit Punkten verziert, manches mit Krone. Alles stammt aus ihrer eigenen Werkstatt, den Stand betreibt sie allein. Als Ein-Frau-Unternehmen abseits der Gastronomie hat sie einen deutlich schwereren Stand. "Man muss einen langen Atem haben", betont die Künstlerin. Eine Weihnachtsmarktbesucherin nähert sich in dem Moment und mustert argwöhnisch eine schiefe Tasse: "Ist das absichtlich so?", fragt sie. Roth-Budig bejaht und erklärt ihr die Technik dahinter: Sie modelliere zunächst eine normale Tasse, die sie dann absichtlich verforme. Die Besucherin zeigt sich skeptisch. Das sehe ja nicht perfekt aus. Roth-Budig sagt, die Produkte erfreuen sich hoher Nachfrage. "Die Welt strebt doch nach ein bisschen Nicht-Perfektion." Die potenzielle Kundin scheint allerdings nicht überzeugt. Seit über 20 Jahren hat Roth-Budig einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt. Jedes Jahr überlege sie sich wieder, ob sie zurückkomme. "Meistens ist dann die letzte Woche doch gut, weshalb ich mich immer wieder dafür entschieden habe." Zudem gehe es ihr um treue Stammkundschaft. Es sei ihr ein Anliegen, "den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern". Dabei fühlt sie sich insbesondere von der Stadt im Stich gelassen. Denn neben Roth-Budigs Stand hat das Marktamt die sogenannten "Kreativen Hütten" platziert, in denen wöchentlich wechselnde Künstler und Handwerker ihre Produkte anbieten können – und das ganz ohne Standgebühr. Roth-Budig bezahlt dagegen jedes Jahr ihren Anteil, obwohl sie ebenfalls lokales Handwerk verkauft. Sie empfindet den Umgang der Stadt als "demütigend" und wünscht sich einen "kleinen Zuschuss" von der Stadt. Schließlich komme auch sie aus Leipzig und habe ihren Werkstand in der Stadt. Daher sei es auch im Sinne der Verwaltung, die "Vielfalt zu fördern". Stadt will Sicherheitskosten umlegen Dort ist man hingegen stolz auf dieses Angebot. Marktamtsleiter Walter Ebert sitzt wenige Hundert Meter vom Markt entfernt in einem verwinkelten Hinterhaus eines kleinen Hofes. Er betont, die kreativen Hütten und die Lesewerkstatt, bei der regelmäßig Weihnachtsgeschichten vorgelesen werden, seien Angebote, die den Weihnachtsmarkt besonders machten. Es sei ein großer Aufwand, solche Attraktionen weiterhin anzubieten. Schließlich sind auch für die Stadt die Kosten deutlich gestiegen. Denn nach dem Anschlag von Magdeburg gerieten die Sicherheits- und Zufahrtskonzepte der Weihnachtsmärkte plötzlich verstärkt in den Fokus. Überall wurde nachgerüstet, auch in Leipzig. Mit externen Gutachtern sei der gesamte Aufbau geprüft worden, schließlich wurde ein gänzlich neues Konzept erstellt. Dazu wurden neue Barrieren angeschafft, Posten an den Zufahrten kontrollieren genau, wer auf den Markt darf. "Seit diesem Jahr wird alles noch viel strenger umgesetzt, Ausnahmen sind nicht mehr möglich", betont Ebert. Laut MDR kosten allein die neuen Zufahrtssperren in Leipzig in diesem Jahr 1,4 Millionen Euro. Dazu kommen durch mehr eingesetztes Sicherheitspersonal auch deutlich höhere laufende Kosten. Finanziert wurde das bisher aus dem Haushalt der Stadt. Das Weitergeben der Kosten an die Standbetreiber ist eigentlich nicht möglich, schließlich gibt es eine feste Marktsatzung. Doch das will Ebert ändern: "Wir prüfen aktuell, wie wir die Händler beteiligen können." Gespaltene Meinung zu den Plänen der Stadt Ein paar Hundert Meter weiter auf dem Marktplatz sorgt diese Ankündigung für gemischte Reaktionen. Keramikhändlerin Roth-Budig ist noch enttäuschter als ohnehin schon: "Die haben doch keine Ahnung! Dann steigen wir alle aus", warnt sie. Sie werde mit dem Stand ohnehin nicht reich. Crêpeverkäufer Seiferth hat dagegen Verständnis für die Stadt. "Ich wäre damit fein." Schließlich gebe es mehr als 300 Stände, er rechne nicht mit signifikanten Auswirkungen auf die Standgebühr. Letztlich komme es auch den Betreibern zugute, wenn der Markt geschützt sei und die Menschen sich sicher fühlen. Ähnlich geht es Kobelt im finnischen Dorf. Auch sie hat Verständnis für das Marktamt und betont die gute Zusammenarbeit. Sie rechnet bereits damit, in die Sicherheitskosten einbezogen zu werden. Das Sicherheitskonzept gehe auf, sagt sie. Das finnische Dorf befindet sich am Augustusplatz am östlichen Rand des Weihnachtsmarktes, die Tram fährt direkt vor dem Eingang vorbei, die Zufahrtssperre geht regelmäßig auf. Trotz der "exponierten Lage" habe man keinerlei Einschränkungen zu spüren bekommen – außer in einem Fall: Der Lieferwagen mit dem Glögi kam morgens erst nach Marktbeginn an, Kobelt wollte ihm kurzerhand die Zufahrt ermöglichen. Doch das Sicherheitspersonal blieb im Gegensatz zu den Vorjahren hart. Ohne eine zuvor beantragte schriftliche Erlaubnis kommt kein Fahrzeug auf den Weihnachtsmarkt. Also mussten Kobelt und ihre Kollegen 1.000 Liter Glühwein über den Weihnachtsmarkt ziehen. Not macht flexibel.
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