"Lindenstraße": Marie-Luise Marjan über finanzielle Sorgen und den Tod

latest news headlines 8 std vor
Flipboard
35 Jahre lang war sie "Mutter Beimer" in der ARD-Institution "Lindenstraße": Marie-Luise Marjan. Jetzt spricht sie über das Alter, finanzielle Sorgen – und den Tod. Von ihrem Sturz und dem Oberschenkelhalsbruch im Juni 2024 ist nichts zu spüren: Marie-Luise Marjan wirkt im Gespräch mit t-online energiegeladen, lebensfroh und voller Tatendrang. Schnell dreht sich das Gespräch mit dem Schauspielstar um die großen Fragen der Zeit: Um die Bedrohungslagen in Europa und der Welt, darum, wie man für das Alter Vorsorge treffen kann, und um die Frage, warum ein kinderloses Leben nicht zur Einsamkeit führen muss. t-online: Frau Marjan, wir leben in unruhigen Zeiten. Droht unsere Gesellschaft auseinanderzubrechen? Marie-Luise Marjan : Auf den ersten Blick wirkt es so, aber es gibt Hoffnung, daran glaube ich. Ich bin 1940 geboren, also mitten im Krieg. Ich gehöre zu einer Generation, die gelernt hat, mit wenig auszukommen und trotzdem nicht aufzugeben. Nach dem Krieg kam die Armut, dann der Wiederaufbau – wir mussten uns alles erarbeiten. Und genau das hat uns geprägt: Disziplin, Pflichtgefühl, Beharrlichkeit. Ich habe früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich etwas begonnen habe, habe ich es auch zu Ende gebracht. Dieses Durchhaltevermögen, das vermisse ich heute manchmal. Inwiefern? Heute habe ich den Eindruck, viele junge Menschen brechen Dinge ab, sobald es schwierig wird. Es fehlt manchmal an Biss. Man redet schnell von Burn-out, von Überforderung – aber manchmal frage ich mich: Haben wir früher nicht auch gelitten, aber trotzdem haben wir uns durchgekämpft. Ich erinnere mich an Proben, da fiel mir während einer Aufführung ein Balken auf den Kopf. Ich bin kurz in die Knie gegangen – und habe weitergespielt. Sie scheinen bei der Diagnose Burn-out Bedenken zu haben … Das sehe ich kritisch. Nicht jeder, der gestresst ist, hat gleich Burn-out. Wer wirklich nicht mehr denken kann, der braucht Hilfe. Aber ich bezweifle, dass dies auf jeden zutrifft, der behauptet, ausgebrannt zu sein. Wobei es auch vollkommen nachvollziehbar wäre, nach solch einem Arbeitsunfall, wie Sie ihn erlebt haben, eine Pause zu benötigen. Jeder geht anders mit Vorfällen dieser Art um – und ich möchte die Gefahren bei potenziellen Kopfverletzungen gar nicht kleinreden. Es geht mir eher generell um die Frage der Einstellung und dass es heutzutage manchmal den Eindruck macht, kleine Widerstände reichen schon aus zur Selbstaufgabe. Woran liegt das? Vielleicht auch an den Lebensumständen. Wer Krieg erlebt hat, der weiß, was existenzieller Mangel bedeutet – und lernt, was wirklich zählt. Wir waren ständig von Verlust umgeben: Menschen, die starben, Häuser, die zerbombt wurden, Lebensmittel, die es nicht gab. Aber wir haben gelernt, zu teilen, zu improvisieren, zu helfen, zu verzichten. Heute ist vieles selbstverständlich. Und wenn etwas fehlt, ist der Aufschrei groß. Natürlich haben junge Menschen heute andere Herausforderungen – aber krankfeiern kam für uns nicht infrage. Ich habe kaum einen Tag gefehlt in meinen Theaterengagements. Wir hatten ein anderes Verständnis von Verantwortung, eine andere Haltung. Was meinen Sie mit "Haltung"? Haltung bedeutet für mich: mit Bedacht handeln und Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen. In einer Gemeinschaft – ob Familie, Theaterensemble oder Gesellschaft – funktioniert das Miteinander nur, wenn sich alle ihrer Rolle bewusst sind. Ich habe 22 Jahre lang Theater gespielt, 35 Jahre lang eine Serie gedreht. Das geht nur mit Haltung – gegenüber sich selbst, dem Beruf, den Kolleginnen und Kollegen. Und das gilt auch außerhalb der Bühne. Wie ist Ihre Haltung zur Bundeswehr: Befürworten Sie eine Rückkehr zum Wehrdienst? Ich würde mir wünschen, dass junge Menschen sich freiwillig engagieren – sei es im sozialen Dienst oder im Militär. Ein verpflichtendes Jahr fände ich gut, bei dem jeder selbst entscheidet, wie er sich einbringt. Wir brauchen beides: Menschen im sozialen Bereich genauso wie solche, die unser Land verteidigen können. Sie engagieren sich seit Jahrzehnten für Unicef, die Malteser und Plan International. Was treibt Sie an? Seit 1990 bin ich Patin bei Plan und habe im Laufe der Jahre Patenschaften für sieben Kinder in Indien , Sri Lanka , Vietnam , Paraguay, Haiti, Mosambik und Nepal übernommen. Mir geht es um Gleichgewicht – im Leben wie in der Welt. Niemand flieht freiwillig, niemand verlässt seine Heimat, wenn er dort sicher leben kann. Deshalb ist es so wichtig, dass Menschen Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und sauberem Wasser haben. Alles Dinge, die in Deutschland selbstverständlich sind … Ja, wir haben viel erreicht. Unsere soziale Absicherung ist stark, vielleicht manchmal sogar zu stark. Wie bitte? Ich weiß, das klingt provokant, aber ich habe viele Menschen erlebt, die das System auch ausnutzen. Gleichzeitig gibt es aber auch Alte, die am Existenzminimum leben müssen – das ist doch eine Schieflage! Jeder Mensch sollte so viel haben, dass er im Alter würdevoll leben kann. Wenn ich Sie zu Beginn des Gesprächs richtig verstanden habe, müsste das doch aber auch in der Eigenverantwortung der Menschen liegen, fürs Alter vorzusorgen. Nicht allen ist das in dem Maße möglich wie mir. Ich wünsche mir Gerechtigkeit: Diejenigen, die mehr als 50 Jahre lang hart gearbeitet haben, sollten im Ruhestand nicht unter Altersarmut leiden. Wie haben Sie finanziell vorgesorgt? Mein Adoptivvater hat mich früh ermahnt: "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not." Ich hatte nie Schulden, habe nie über meine Verhältnisse gelebt. Durch meine Theaterzeit und die Lindenstraße habe ich gut vorgesorgt, unter anderem durch die Frankfurter Pensionskasse. Mir geht es gut – aber nicht, weil ich luxuriös lebe, sondern weil ich verantwortungsvoll mit Geld umgehe. Ich brauche keine Tasche für 2.000 Euro – die billige trägt denselben Inhalt. Sie haben einmal gesagt: "Hätte ich die Lindenstraße in den USA gedreht, wäre ich Millionärin." War das ernst gemeint? (lacht) Ja, in Amerika hätte ich wahrscheinlich die ganze Straße kaufen können. Aber Geld ist nicht alles. Ich habe einen Beruf, der mich seit über 60 Jahren erfüllt. Ich war nie abhängig, immer frei in meinen Entscheidungen. Das war mir wichtiger als Reichtum. Sie haben während Ihrer Karriere 43 "Kinder" im Fernsehen gehabt. Wie war das für Sie – ohne eigene Kinder? Oft habe ich mich gefragt, ob ich eine Familie gründen sollte. Mit 35 dachte ich: jetzt oder nie. Aber der Beruf war immer stärker. Und: Der richtige Partner war nicht da zur Familiengründung. Ich wollte kein halbes Glück. Also wurde ich eben Mutter im Fernsehen. Und habe diese Rolle mit Herz gespielt – im Studio genauso wie im Umgang mit den Kinderdarstellern hinter der Kamera. Bereuen Sie diese Entscheidung heute, also nur beruflich die Mama gespielt, aber privat keine Kinder bekommen zu haben? Nein, ich bereue das nicht. Ich habe mir das Bild einer perfekten Familie viel zu sehr idealisiert: Ja, ich habe mir Kinder gewünscht – aber dann auch nur, weil es in meiner Traumvorstellung ausschließlich aus Harmonie und Sonnenschein bestand. Ich fühle mich heute weder einsam ohne eigene Kinder noch unvollständig: Ich habe ein erfülltes Leben. Apropos Traumvorstellung: Stimmt es, dass Sie großer Fan von Dieter Nuhr sind? Ja, das bin ich. Manche werfen ihm vor, er befeuere mit seiner Comedy rechtspopulistische Narrative, mache sich bevorzugt über das Gendern oder die Grünen lustig. Was entgegnen Sie diesen Kritikern? Satire darf das. Sie soll der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Und das tut Nuhr – mit Charme, Witz und Intelligenz. Natürlich kann man sagen: "Der gefällt mir nicht." Aber es ist nicht Sinn von Satire, zu gefallen – sie soll ja unbequem sein und auch wunde Punkte treffen. Themen wie Gendersternchen dürfen ruhig auch kritisch beäugt werden. Schauen Sie eigentlich noch täglich Nachrichten? Ja, manchmal verstehe ich die Welt nicht mehr – dieses Hin und Her, dieses ständige Gezanke, das Nicht-Zuhören. Da kommt man sich vor, wie in einem schlecht gespielten Film. Ich würde mir wünschen, dass hinter verschlossenen Türen Lösungen erarbeitet werden und nicht in der Öffentlichkeit halbgare Probleme diskutiert werden. Macht Ihnen das Angst? Angst ist ein schlechter Ratgeber, wir dürfen uns nicht lähmen lassen. Wir alle sitzen im selben Boot und müssen gemeinsam steuern. Sie selbst haben zuletzt erlebt, wie fragil die eigene Gesundheit ist. Sie haben einen Oberschenkelhalsbruch hinter sich. Wie war Ihre Erfahrung mit dem Gesundheitssystem? Fünfeinhalb Wochen war ich im Krankenhaus, dann drei Wochen Reha. Das Personal war überlastet, gestresst – und trotzdem bemüht. Ich bin dankbar, aber ich sehe, dass es nicht reicht. Wir brauchen dringend mehr Pflegekräfte, bessere Bezahlung und mehr Anerkennung. Wie ist Ihre Haltung zum Tod. Was bedeutet er für Sie? Der Tod gehört zum Leben. In Indien habe ich gesehen, wie Menschen in Weiß feiern, wenn jemand stirbt. Das hat mich überzeugt. Wir sollten uns nicht fürchten, sondern den Tod als Abschluss eines erfüllten Lebens sehen. Ich wünsche mir, friedlich einzuschlafen – mit dem Satz auf den Lippen: "Ich liebe dich!" Und was soll danach passieren: Sollen die Menschen feiern bei Ihrer Beerdigung? Vielleicht? Es soll Musik gespielt werden, die Freunde sollen fröhlich sein und das Leben feiern. Es ist wichtig, sich mit einem Lächeln an verlorene Menschen zu erinnern. Geht Ihnen das auch so? Es hat mich tief getroffen, als mein langjähriger Partner im März 2021 gestorben ist. Aber ich möchte nicht jammern: Ich denke oft an ihn und letztlich ist er nach 39 Jahren in Gedanken immer bei mir. Das ist tröstlich. Liebe endet nicht mit dem Tod.
Aus der Quelle lesen