Bis 2029 klafft ein Milliardenloch im Bundeshaushalt. Trotzdem einigt sich die Bundesregierung auf neue Ausgaben bei der Rente. Kann das gut gehen? Die Ansage von Lars Klingbeil war deutlich. "Alle müssen sich bewegen", sagte der SPD-Finanzminister, nachdem er nicht nur den Haushaltsplan für das aktuelle Jahr vorgestellt hatte, sondern auch die Finanzplanung des Bundes bis 2029. Denn darin tut sich ein Abgrund auf. Bis zum Ende der Legislaturperiode fehlen der Bundesregierung 172,7 Milliarden Euro . Ein Loch, das zum einen durch eine künftig wieder wachsende Wirtschaft gefüllt werden soll, zum anderen aber auch, indem jedes Ministerium die eigenen Ausgaben überdenkt. Rente verursacht die größten Kosten im Haushalt Den größten Griff ins Staatssäckel tätigt traditionell das Bundesarbeitsministerium (BMAS). Rund 197,4 Milliarden Euro der insgesamt 520,5 Milliarden Euro sind im Etat für 2026 allein für das Ministerium von SPD-Co-Chefin Bärbel Bas vorgesehen. Das liegt zwar auch daran, dass viele Ausgaben gesetzlich vorgeschrieben sind. Einsparpotenzial soll aber auch dort gefunden werden. Womit man schnell beim größten Einzelposten im gesamten Haushalt ist: dem Bundeszuschuss an die Rentenversicherung . Bürgergeld, Rente , Krankenkassen: Hier könnte es knallen Wirtschaftsweiser warnt: Diese Gruppe treffen die Rentenpläne besonders hart 127,8 Milliarden Euro überweist der Staat der Rentenkasse in diesem Jahr. 2029 sollen es 154,1 Milliarden Euro sein. Der Bundesrechnungshof weist in einem gerade veröffentlichten Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags darauf hin, woher die steigenden Ausgaben unter anderem rühren. Darin heißt es: "Im Gesetzentwurf des BMAS zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zur vollständigen Gleichstellung der Kindererziehungszeiten ist unter anderem vorgesehen, das derzeit gültige Rentenniveau von 48 Prozent bis zum Jahr 2031 beizubehalten. Dieses Vorhaben wird die Ausgaben der Rentenversicherung weiter erhöhen und den Bundeshaushalt zusätzlich belasten." Im Arbeitsministerium bewegt sich also in der Tat etwas. Aber nicht in Richtung Sparen. Den Rest des Kabinetts scheint das nicht zu stören: Am Mittwoch gaben auch die übrigen Ministerinnen und Minister dem Entwurf von Bas zum Rentenniveau und zur Mütterrente ihren Segen – mehrere Wochen früher als ursprünglich angedacht. Bis Ende des Jahres soll dann der Bundestag folgen. Einigkeit in der Koalition, Kritik von Ökonomen Es läuft also erstaunlich glatt innerhalb der Koalition. Dabei halten insbesondere Ökonomen nicht mit Kritik hinter dem Berg. So auch einer der eigenen Berater der Bundesregierung , der Wirtschaftsweise Martin Werding . Mit Blick auf das Haushaltsloch sagte er dem "Tagesspiegel" wenige Tage vor dem Kabinettsbeschluss: "Naheliegend wäre es, Vereinbarungen über neue Ausgaben aus dem Koalitionsvertrag noch einmal auf den Prüfstand zu stellen." Diese stünden ohnehin unter Finanzierungsvorbehalt. Und: "Es ergibt keinen Sinn, eine Debatte über grundlegende Sozialreformen anzustoßen, aber vorher noch diese Zusatzausgaben zu beschließen." Gäbe es weder die Haltelinie für das Rentenniveau noch die nächste Ausbaustufe der Mütterrente , würde der Bundeszuschuss an die Rentenversicherung bis 2029 um 15 Milliarden Euro geringer ausfallen. In den Folgejahren wäre die Einsparung noch größer. Doch ein Verzicht der SPD auf eines ihrer Kernthemen, das feste Rentenniveau von mindestens 48 Prozent , war offensichtlich ausgeschlossen. Die Union hatte ihr zudem schon einen Kompromiss abgerungen, indem die Haltelinie nur bis 2031 verlängert werden soll statt bis 2040. Andersherum trägt die SPD das Herzensthema der CSU mit: die Ausweitung der Mütterrente. Diese erhöht bereits seit 2014 die Rente von Menschen, die vor 1992 geborene Kinder erzogen haben. Das betrifft besonders Mütter, da sie historisch gesehen häufiger die Kindererziehung übernommen haben. Mit der nun geplanten Mütterrente III sollen allen Müttern drei Rentenpunkte pro Kind zuerkannt werden. Für jene, die vor 1992 Kinder geboren haben, gibt es bisher nur 2,5 Rentenpunkte pro Kind. Die CSU argumentiert, man schließe hier eine "Gerechtigkeitslücke". Auch hier hält der Wirtschaftsweise Werding dagegen. "Mit dem Ausbau der Anrechnung von Erziehungszeiten hat der Gesetzgeber seinerzeit nicht eigene politische Ziele verfolgt, sondern ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. Die Begrenzung auf Geburten ab 1992 sollte die damit verbundenen Kosten begrenzen. Wenn man diese Entscheidung im Nachhinein korrigiert, entstehen Kosten, die sich für die Mütterrente I bis III mittlerweile auf 20 Milliarden Euro jährlich summieren", sagte er t-online. Bezahlt werde das ganz überwiegend von den derzeitigen Beitragszahlern sowie teilweise auch von anderen Rentnern, deren Renten seit Einführung der Mütterrente 2014 weniger stark gestiegen sind, als das ohne Mütterrente der Fall gewesen wäre. Die neue Mütterrente III soll zwar über Steuermittel finanziert werden, um Beitragszahler nicht noch weiter zu belasten – ein Punkt, den die SPD der Union abgerungen hat. Werding würde das Vorhaben dennoch lieber ganz gestoppt wissen. Und macht auf einen Punkt aufmerksam, der in der Diskussion häufig übersehen wird. Mütterrente könnte übers Ziel hinausschießen "Angesichts der gerade beginnenden Phase extremer, demografisch bedingter Anspannung der Rentenfinanzen muss man fragen, ob das Anliegen ausreichende Priorität hat, eine Ungleichheit zu beseitigen, die auch noch kleiner ist, als sie aussieht", sagte er t-online. Gemeint ist, dass Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, von der sogenannten Rente nach Mindestentgeltpunkten profitieren können. Diese sei seinerzeit gezielt bis Ende 1991 verlängert und dann auf Auslauf gestellt worden. Diese spezielle Rente brachte allen, die im Schnitt weniger als 75 Prozent des Durchschnittsentgelts aller Versicherten bezogen und mindestens 35 Jahre lang Pflichtbeiträge in die Rentenkasse gezahlt hatten, zusätzliche Rentenpunkte ein. Es wurde dann so getan, als hätten diese Geringverdiener anderthalbmal so viel Gehalt bezogen, wie sie es in Wahrheit taten. Das bringt insbesondere Müttern, die länger in Teilzeit gearbeitet haben, eine höhere Rente. "Wäre eine Art Schadensbegrenzung" Laut Werding werden diese älteren Mütter dann in vielen Fällen sogar bessergestellt als jüngere Mütter, sobald die Mütterrente III eingeführt wird. Eine Überkompensation also, die nur korrigiert werden könne, indem man die höhere Mütterrente mit dem Vorteil der Mindestentgeltpunkte verrechne. Das ist im Gesetzentwurf aber nicht vorgesehen. "Sie dort noch einzufügen, etwa vor der zweiten Lesung im Bundestag, wäre eine Art Schadensbegrenzung", so Werding. "Ich sehe aktuell aber nicht, dass eine der Regierungsfraktionen das in Erwägung zieht, geschweige denn, dass es in der Koalition konsensfähig wäre." Doch wie schnell ein Thema hochkochen kann, zeigte gerade erst die Debatte um eine längere Lebensarbeitszeit, angestoßen von CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche. "Wir müssen mehr und länger arbeiten", sagte sie Ende Juli der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Dabei wies sie auch den Vorschlag nicht zurück, das Renteneintrittsalter künftig an die steigende Lebenserwartung zu koppeln, wie es Länder wie Dänemark oder die Niederlande bereits praktizieren. Kommt Bewegung in die Diskussion ums Rentenalter? Zwar haben CDU , CSU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht weiter zu erhöhen und stattdessen auf freiwillige Anreize wie die Aktivrente zu setzen, doch selbst die federführende Ministerin Bas zeigte sich zuletzt offen für ein höheres Renteneintrittsalter . Zwar erteilte sie am Mittwoch einer pauschalen weiteren Anhebung eine Absage, ließ aber gleichzeitig einen Türspalt für Diskussionen offen: "Wer das fordert, der muss auch gleichzeitig sagen: Was ist mit den Leuten, die das nicht bis dahin schaffen, die trotzdem lange gearbeitet haben?", sagte Bas im ZDF-"Morgenmagazin". Selbst die Linken-Chefin Ines Schwerdtner kann sich inzwischen ein leicht späteres Renteneintrittsalter vorstellen. "Wenn es um eine moderate Erhöhung geht, können wir darüber sprechen", sagte sie ebenfalls im ZDF-"Morgenmagazin". Arbeitsministerin Bas verweist zudem stets auf die für Anfang 2026 angekündigte Rentenkommission, die sich mit grundlegenden Reformen auseinandersetzen soll und der sie nicht vorgreifen wolle. Um dann im Nachgang doch durchblicken zu lassen, welche Richtung sie bevorzugen würde. So gebe es "zahlreiche Vorschläge, etwa zur Frage, wer wie viel in die Rentenversicherung einzahlt", sagte sie im ZDF . Bröckelt auch der Widerstand der Union? Damit spielt Bas auf den vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung vorgeschlagenen Boomer-Soli an, der reiche Rentner stärker zur Kasse bitten würde . Auch ihre eigene Forderung, zusätzlich Beamte und Selbstständige in die Rentenkasse einzahlen zu lassen, fällt in diese Kategorie. Damit war sie zwar schon kurz nach Amtsantritt auf Widerstand bei der Union gestoßen , doch auch dort gibt sich so mancher inzwischen milder. So sagte der CDU-Haushaltspolitiker und Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg am Mittwoch: "Ich finde alles diskutabel und würde jetzt von vornherein nicht gleich sagen: Das geht schon mal gar nicht und das geht auch nicht. Der Vorschlag von Frau Bas ist mindestens einer, den man diskutieren kann. Ob er wirklich zur Lösung beiträgt, ist eine andere Frage." Könnte der Deal am Ende womöglich lauten: höheres Renteneintrittsalter und Beamte und Selbstständige in die Rentenkasse? Wenn der von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ausgerufene "Herbst der Sozialreformen" beginnt, haben die Koalitionäre jedenfalls ausreichend Diskussionsstoff.