Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser, oftmals befasst sich der Tagesanbruch ja mit der großen Politik – seien es Donald Trumps neueste Ukraine-Friedenspläne, der Zwist der schwarz-roten Koalition oder die Renten-Misere. Heute aber möchte ich von diesem Muster einmal abweichen und auf ein Problem zu sprechen kommen, das Ihnen womöglich deutlich näher liegt. Und das dennoch in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend ausgespart wird. Wer in Deutschland unterwegs ist, lernt schnell: Der wahre Luxus ist nicht etwa schnelles WLAN, sondern eine saubere, zugängliche Toilette. An der Autobahnraststätte? Im Regelfall ein Euro Eintritt, und die Sauberkeit ist bestenfalls Mittelmaß. Das bemerken dieser Tage viele Reisende, die mit dem Auto unterwegs sind. Bahnhöfe? Defekte Türen, muffiger Geruch. Wenn es überhaupt eine Möglichkeit gibt, seine Notdurft zu verrichten. An kleinen Bahnhöfen auf dem Land sucht man Toiletten meist vergebens. Innenstädte? Toiletten nur für Café-Kunden oder Besucher des Einkaufszentrums. Hin und wieder findet man noch welche in Betonklötzen, die aber etwas kosten, oder mobile Toiletten. Deren Sauberkeit lässt jedoch ebenfalls zu wünschen übrig. Natürlich kann man das als Petitesse betrachten. Bis man selbst in der Situation ist, dringend eine zu brauchen. Das Dilemma mit den öffentlichen Toiletten ist mehr als nur ein hygienisches Ärgernis. Es steht stellvertretend für Deutschlands viel grundlegendere Infrastrukturprobleme: mangelnde Investitionen, fehlgeleitete Privatisierung auf Kosten der Nutzer und ein geringes öffentliches Verantwortungsbewusstsein. Wer es nicht schafft, das scheinbar Kleine – nämlich den Toilettengang – sauber zu regeln, scheitert am Ende auch an den großen Baustellen. Überspitzt gefragt: Wie soll dann der große Wurf bei Schienen, Straßen, Netzen oder Energie gelingen? So wird aus dem stillen Örtchen ein lautes Signal: Unsere öffentliche Infrastruktur ist in einem so schlechten Zustand, dass man ihn nicht mehr übersehen kann. Dabei kann es auch anders laufen, wenn Sie mir diesen Kalauer erlauben. In den Niederlanden arbeiten viele Städte aktiv daran, das Angebot an öffentlichen Toiletten auszubauen. Amsterdam hat zuletzt Millionen Euro für zusätzliche, barrierefreie Anlagen bereitgestellt. Dort gibt es zudem soziale Initiativen, um Obdachlosen Zugang zu Toiletten zu ermöglichen. In Skandinavien sind öffentliche Toiletten meist kostenlos und flächendeckend verfügbar – an Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen. Verantwortlich sind im Regelfall die Kommunen oder lokale Betreiber, die über den städtischen Haushalt finanziert werden. Kommunen in Norwegen setzen etwa auf ein Modell aus öffentlicher Hand und privaten Partnerschaften, die aber strenge Vorgaben erfüllen müssen. Japan hebt das Toilettenthema auf eine ganz andere Ebene: Hightech-Toiletten mit beheizten Sitzen, automatischer Spülung, Duftspendern und Musik sind Standard. Wer den Oscar-nominierten Film "Perfect Days" von Wim Wenders gesehen hat, weiß das. Die meisten Anlagen sind kostenlos, manche werden durch Steuermittel und kommunale Förderung unterstützt, andere von privaten Unternehmen betrieben. Toiletten werden fast zu kleinen Wellness-Oasen. Warum nicht bei uns? An den Autobahnen fing das Problem wohl mit der schlecht umgesetzten Privatisierung der Raststätten an. Das Unternehmen Tank & Rast entstand 1994 aus bundeseigenen Gesellschaften. Vier Jahre später verkaufte der Bund das Unternehmen für damals 1,2 Milliarden D-Mark an private Investoren. Tank & Rast besitzt eine 30-jährige Erlaubnis und kontrolliert damit rund 90 Prozent der Autobahnraststätten bis mindestens 2045. Wenn sich nichts ändert, auch darüber hinaus. Das Unternehmen zahlt dem Staat eine vergleichsweise geringe Gebühr – maximal drei Prozent des Umsatzes. Die Linke will Tank & Rast beziehungsweise ihre Tochterfirma Sanifair nun entmachten: keine Bons, kostenlose Toiletten, langfristig sogar Verstaatlichung der Raststätten. Die Privatisierung von Tank & Rast im Jahr 1998 habe sich als "Griff ins Klo" erwiesen, klagt die Linke – und spart einen billigen Wortwitz nicht aus. Profitieren würden nur windige Finanzinvestoren, die "extreme Gewinne" erzielen. Klingt nett, allerdings ist fraglich, ob eine Vollverstaatlichung tatsächlich umsetzbar ist. Eine pragmatischere Lösung wäre, das Quasi-Monopol von Tank & Rast aufzubrechen und mehr Wettbewerb zuzulassen – mit klaren Sauberkeitsstandards und ohne Preisabzocke. Und selbst ein solcher Schritt dürfte extrem hohe rechtliche Hürden haben. Auch abseits der Autobahnen ist das Problem gegenwärtig. So legen Kommunen das Thema entweder in die Hand privater Betreiber – Sanifair, Rail & Fresh, Wall und Co. – oder: verzichten auf genügend saubere Toiletten, weil das Geld schlicht fehlt. Und öffentliche Toiletten oft nicht die erste Priorität sind. Das liegt nicht zuletzt wohl daran, dass das Thema nicht sehr sexy ist. Und daher auch nicht auf dem medialen und politischen Radar landet. Selbst ich habe bei der Recherche für diesen Text gemerkt, wie schwer das Thema Toiletten zu fassen ist. Verbände, die sonst zu jedem Problem Stellung nehmen, reagieren ausweichend oder wollen sich gar nicht äußern. Offenbar ist es ein gesellschaftliches Tabu, über etwas zu sprechen, das uns alle betrifft, aber über das kaum jemand offen reden will. Immerhin sieht der Paritätische Wohlfahrtsverband das Problem. Sein Hauptgeschäftsführer Joachim Rock sagte mir: "Alle müssen mal – und müssen unabhängig vom Geldbeutel die Möglichkeiten dazu finden. Ein flächendeckendes Netz an frei nutzbaren Toiletten fehlt in Deutschland – für alle Bürger, aber besonders auch für die, die keine Wohnungen haben." Es könne nicht sein, "dass die bestehenden Angebote weitestgehend privat sind und Geld kosten", so Rock weiter. Er fordert: "Wir brauchen einen Ausbau der Infrastruktur für das große und kleine Geschäft, übrigens auch barrierefrei." Bis dahin sind die Leidtragenden ältere Menschen, Familien mit Kindern, Menschen mit Behinderung, Wohnungslose. Für sie wird der Toilettenbesuch schnell zum Kraftakt oder zur sozialen Barriere. Männer lösen das Problem derweil im Notfall am nächsten Baum – was weder legal noch sonderlich ansehnlich, geschweige denn hygienisch ist. Für Frauen ist es hingegen vollends ein gesellschaftliches Tabu, und selbst viele Männer tun es aus besagten Gründen nur ungern. Das Klo-Problem ist also nicht lächerlich – es ist ein sichtbares Zeichen, dass Deutschland nicht (mehr) verlässlich liefert, wenn es um die Grundversorgung geht. Die Bundesregierung will ein Infrastruktur-Sondervermögen auflegen, mit insgesamt 500 Milliarden Euro. Rund 100 Milliarden Euro davon sollen an die Länder fließen – für Straßen, Schienen, Netze. Ob für die kleinen Dinge, die den Alltag erträglich machen, etwas übrigbleibt, darauf lässt sich nur hoffen. Denn eine gute Toiletteninfrastruktur ist nicht zuletzt ein Wirtschaftsfaktor. Städte, die saubere, kostenlose Anlagen bieten, sind für Touristen und Einheimische attraktiver. Auch Michael Reink, Bereichsleiter Standort- und Verkehrspolitik beim Handelsverband Deutschland, weiß das. Er sagte mir: "In unserer immer älter werdenden Gesellschaft hält das Fehlen von öffentlichen Toiletten immer mehr Kundinnen und Kunden vom Bummel durch die Innenstädte ab." Die öffentliche Toilette werde immer mehr zu einem "Standortfaktor". "Die Versorgung mit öffentlichen Toiletten wird seit Jahren zunehmend schlechter. Da ist die öffentliche Hand dringend zum Gegensteuern aufgefordert", so Reink. "Diese Herausforderung wird in den kommenden Jahren immer weiter wachsen. Im eigenen Interesse müssen die Kommunen hier sehr rasch ihrem Versorgungsauftrag wieder besser gerecht werden." Städte, Bahnhöfe und Raststätten müssen so geplant werden, dass Toiletten keine Notlösungen sind, sondern selbstverständlich dazugehören. Sie sind kein Luxus, sondern Teil der Grundversorgung. Daher müssen jährlich auch Hunderte Millionen Euro dort hineinfließen. Punkt. Das klingt banal, die Wahrheit ist aber: Infrastruktur ist kein Nebenschauplatz. Sie ist vielmehr die Grundlage wirtschaftlicher Stärke und gesellschaftlichen Zusammenhalts. Die Politik muss Infrastruktur daher endlich als das begreifen, was sie ist: eine Daueraufgabe. Nicht nur in Wahljahren, nicht nur bei Prestigeprojekten, sondern im Alltag. Wenn Sie so möchten: Der Stolz einer Gesellschaft zeigt sich nicht nur an ihren Opernhäusern – sondern auch an ihrem stillen Örtchen. Gefährliche US-Hauptstadt? Ganz ohne die große Weltpolitik komme ich leider doch nicht aus. Denn glaubt man dem US-Präsidenten Donald Trump , geht es in der amerikanischen Hauptstadt Washington, D.C., sehr gefährlich zu. So gefährlich gar, dass Trump nun sogar die Nationalgarde einsetzen will. Die Polizei der Stadt solle unter Bundeskontrolle gestellt werden, kündigte Trump an. Zunächst sollen 800 Nationalgardisten eingesetzt werden, bei Bedarf wolle er noch mehr Einsatzkräfte mobilisieren. Ziel sei es, die öffentliche Sicherheit wiederherzustellen. Belege für Trumps Behauptungen, dass die Situation "außer Kontrolle" sei, gibt es nicht – ein Blick auf die Kriminalitätsstatistik zeigt einen Rückgang der gemeldeten Delikte. Unser US-Korrespondent Bastian Brauns bestätigt: Es lebt sich eigentlich recht gut dort. Er meint, der Schritt Trumps ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Relevanter dürfte indes die Ankündigung Trumps sein, dass er nach dem Treffen mit Kremlautokrat Wladimir Putin in Alaska – bei dem über die Zukunft der Ukraine verhandelt wird – mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sprechen will. Dieser müsse dann einen Deal mit Putin schließen, das sei nicht seine Aufgabe, so Trump. Zum Glück, mag man da angesichts seiner erratischen Ukraine-Politik sagen. Mein Kollege Patrick Diekmann hat analysiert, welche Folgen ein US-Deal für die Ukraine hätte. Was steht heute an? Grund zum Feiern: Die vielseitig-charismatische Iris Berben vollendet ihr 75. Lebensjahr. Neben ihrer erfolgreichen Schauspielkarriere engagiert sich Berben seit Jahrzehnten im Kampf gegen Antisemitismus und für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Mein Kollege Steven Sowa hat 2023 ein kluges Interview mit ihr geführt. Vieles ist leider immer noch aktuell. Grund zur Besorgnis: Börsianer bewerten die Konjunkturaussichten für Deutschland nach dem US-Zolldeal mit der EU offenbar skeptischer. Das ZEW-Konjunkturbarometer wird im August voraussichtlich auf 40,0 Punkte sinken – nach 52,7 Punkten im Juli. Nach zwei Jahren Rezession rechnen Experten für 2025 allenfalls mit einem kleinen Wachstum. Um 11 Uhr wird das Barometer veröffentlicht. Grund zur Skepsis: Michael "Bully" Herbigs Klamaukkomödie "Das Kanu des Manitu" feiert heute Abend Weltpremiere. Am 14. August kommt sie dann bundesweit in die Kinos. Der Film ist die Fortsetzung der Komödie "Der Schuh des Manitu", die 2001 startete und einer der erfolgreichsten deutschen Kinofilme wurde. Ohne den neuen Streifen gesehen zu haben, wage ich zu behaupten: Manche Filme wären besser ohne Fortsetzung geblieben. Ich bezweifle, dass dieser Humor heute noch zieht – oder überhaupt noch passend ist. Was hören? Ich empfehle nicht oft Musik – doch diese Coverversion eines großen Liedes des noch größeren Wolf Biermann geht mir seit einigen Tagen nicht aus dem Kopf. Das historische Bild Automogul Henry Ford machte die USA mobil. Mehr lesen Sie hier. Was lesen? Temperaturen über 44 Grad, höchste amtliche Warnungen, Waldbrände: Die Hitzewelle in Europa spitzt sich weiter zu. Und dieses Wetter kann sich noch eine Woche lang halten, schreibt meine Kollegin Ellen Ivits. Für ihr Treffen zur Ukraine haben sich Donald Trump und Wladimir Putin Alaska ausgesucht. Dort hat Russland einst einen "Deal" gemacht, der sich historisch als ziemlich schlecht erwiesen hat, wie mein Kollege Marc von Lüpke berichtet. Der Kurswechsel in der Israelpolitik hat Teile der Union gegen Friedrich Merz aufgebracht. Der Kanzler versucht, den Schaden zu begrenzen, doch das funktioniert nicht ganz, berichtet unser Chefreporter Johannes Bebermeier. Zum Schluss Die Erwartungen an das Treffen in Alaska sind jedenfalls hoch ... Morgen schreibt mein Kollege David Schafbuch für Sie. Ich wünsche Ihnen einen klaren Tag. Ihr Mauritius Kloft Ressortleiter Politik & Wirtschaft X: @Inselkloft Gefällt Ihnen der Tagesanbruch? Dann leiten Sie diesen Newsletter an Ihre Freunde weiter. Haben Sie diesen Newsletter von einem Freund erhalten? Hier können Sie ihn kostenlos abonnieren. Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an
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