Seit Wochen schaut die Republik gebannt auf die CDU. Der einstige "Kanzlerwahlverein", der der Parteispitze quasi blind folgte, streitet. Öffentlich. Das liegt auch an Social Media. Die netten Jahre sind vorbei. Diese bittere Erfahrung machen aktuell zwei Männer – und scheinen noch nicht so recht verstanden zu haben, wie sie damit umgehen sollten. Die Rede ist von CDU-Chef und Bundeskanzler Friedrich Merz . Und vom Fraktionschef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn . Jahrzehntelang lief es doch so: Es gab ein wichtiges politisches Thema, es gab Diskussionen, es gab eine Ansage – und dann war es auch wieder gut. Wer vorher kurz mal angedacht hatte, auszuscheren in puncto Disziplin, zog nach einem "Basta!" von oben den Kopf schnell wieder ein, hob brav die Hand und stimmte mit seiner Fraktion. So war es zumindest, sehr grob zusammengefasst – aber das hier ist ja auch keine Doktorarbeit – gute Sitte in den Unionsparteien. Sich öffentlich angehen, dem Wähler demonstrieren, dass nicht immer alles bombensicher ist in einer Welt, die wir doch alle gern schwarz-weißer hätten – das hatten die n Spinner von den Grünen sich quasi ins Parteiprogramm geschrieben. Und das hat die SPD viele Parteivorsitzende binnen weniger Jahre und noch mehr Verluste bei den Wählern gekostet. "So was machen wir in der Union nicht" – das gehörte zu den ungeschriebenen Gesetzen dieser Republik. Mehrheiten müssen organisiert werden Nun ist es nicht mehr zu leugnen: Diese Zeiten sind vorbei. In einer einzigartigen Mischung aus orientierungsloser, ignoranter und fast schon bewundernswert optimistischer Selbstgefälligkeit haben CDU und CSU diesen und andere Zeitenwechsel verschlafen. So wie Friedrich Merz offensichtlich meint, Mehrheiten zu organisieren, sei was für Anfänger oder einfache Kärrnerarbeiter, so verfing ja auch in seiner Partei nachhaltig der Irrglaube, das Internet sei was für Kinder. Jetzt sind die Mitglieder der Jungen Gruppe in der Unionsfraktion keine Kinder mehr; gemessen am Durchschnittsalter im Bundestag aber wohl schon. Und sie sind alle sozialisiert mit den sozialen Medien. Und dort auch aktiv. Auch deshalb erleben CDU und CSU derzeit, was sich gemessen an "normalen" Zeiten für die Altvorderen anfühlen muss wie Chaos. Sie stehen unter gehörigem Druck Erstens nämlich stehen Bundestagsabgeordnete inzwischen so klar mit ihrem Gesicht, ihrem Namen, ihrer Person für die Politik ihrer Partei wie nie zuvor. Und natürlich auch im Feuer. Auch wenn man das übliche Gepöbel und destruktive Kanalisieren von Frustration abzieht – der Wähler ist allen auf die Pelle gerückt und will sehr genau wissen, wer warum wofür steht. Und wen er warum wofür wählen soll. Oder eben nicht. Das macht nicht nur Eindruck auf politisch Tätige, sondern das macht auch ganz enormen Druck. Und auch das gehört zur Wahrheit: Es schafft nicht nur eine Bühne zur eigenen Profilierung, sondern auch ein Sprungbrett hinein in die etablierten Medien. Wer sich exponiert und offen gegen die Parteilinie schießt, hat die Einladung in die nächste Talkshow quasi schon in der Tasche. Zweitens sitzt der Union die AfD im Nacken. Ich singe hier jetzt nicht zum wiederholten Male das Lied namens "Die wussten sehr viel früher als alle anderen, wie wichtig Social Media ist und wie das Ganze funktioniert" – aber selbstverständlich geht ein beachtlicher Teil des AfD-Erfolgs auf die arrogante Medien-Inkompetenz der anderen Parteien zurück. Dass manch einer auch aus den Reihen der Union da sehr viel kritischer mit den Inhalten der eigenen Partei wird, ist logisch. Und wichtig. Demokratisch sogar. Dann hat man ein riesiges Problem Nur stellt sich dann eben auch die Frage, wie man mit einer solchen Gemengelage umgeht. Kennt man weder die Mechanismen der sozialen Netzwerke noch das Prinzip "eigenständige und nicht blindlings folgende Abgeordnete", dann hat man ein großes Problem. Greift dann auch noch der typische politische Reflex, sehr schwierige, aber drängende Themenfelder lieber totzuschweigen und immer wieder zu verschieben, statt sie wirklich anzupacken und zu reformieren, dann hat man ein Riesenproblem. Denn dann müsste man dem Wahlvolk Unangenehmes mitteilen oder gar zumuten. Das will keine Partei, die bei Sinnen ist. All das fällt nun CDU und CSU auf die Füße. Für Fans von Genugtuung wären dies nun goldene Zeiten. Gäbe es einen internationalen Club der "Wir haben es Euch ja immer schon gesagt"-Anhänger – er würde sich vor Anmeldungen kaum retten können. Nur gibt es den nicht, und die Zeiten sind viel zu ernst, um golden sein zu können. Es geht um was. Wollen wir hoffen, dass sich endlich eine Lernkurve abzeichnet. Sowohl bei denen, die führen wollen und müssen, als auch bei denen, die den Grat zwischen Profilierung und staatspolitischer Verantwortung, den Unterschied zwischen algorithmischer und echter Realität, noch immer ausloten.