Roland Kaiser mahnt: "In Deutschland ist etwas ins Wanken geraten"

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Manche verfallen mit 73 Jahren in Starrsinn, andere erfinden sich neu: Roland Kaiser erklärt im Interview, warum er gerade jetzt eine besondere Verantwortung spürt. Seit mehr als 50 Jahren steht Roland Kaiser auf der Bühne. Mit Liedern wie "Santa Maria", "Joana" oder "Amore Amore" hat er für einige der größten Hits im deutschen Schlager gesorgt und verbindet Generationen miteinander. Dafür wurde er am Donnerstag bei der Bambi-Verleihung mit dem Preis für sein Lebenswerk geehrt. Das Gespräch mit t-online beginnt Roland Kaiser mit einem Scherz. Als der Interviewer ihm vorrechnet, wie lange der letzte Kontakt bereits zurückliegt, entgegnet er: "Das hätte meine Oma auch gesagt: 'Hach, wie die Zeit vergeht, mein Junge!'. Der Sänger lacht seinen bebenden Bariton ins Telefon, wirkt bestens gelaunt – und spricht anschließend über die großen Themen unserer Zeit. t-online: Herr Kaiser, hat sich Ihre Haltung zur Musik über die Jahre verändert? Roland Kaiser: Ja, im Laufe der Zeit wurde es mir immer wichtiger, auch gesellschaftlich relevante Themen anzusprechen. Ich möchte Denkanstöße geben. Musik als Lehrveranstaltung? Nein, nicht belehrend, das widerstrebt mir. Vielmehr möchte ich dazu anregen, über bestimmte Dinge nachzudenken. Wenn auch nur ein einziger Mensch nach einem Lied sagt: "Ja, das stimmt, so habe ich es noch gar nicht gesehen" – dann reicht mir das schon. Spüren Sie in diesen politisch aufgeheizten Zeiten eine neue Verantwortung als Künstler? Ich habe in den letzten Jahren bei meinen Konzerten beobachtet, dass das Publikum auch diese nachdenklicheren Stücke begeistert aufnimmt – genauso wie die Klassiker. Das zeigt mir: Die Menschen sehnen sich nach Orientierung, Halt, vielleicht sogar Trost. Musik kann da ein Mittel sein, um positive Werte wie Anstand, Achtung und Menschlichkeit zu vermitteln. Themen, die in vielen Ihrer Musikstücke auftauchen. Sie sind mir sehr wichtig – und ich habe das Gefühl, in Deutschland ist gerade in dieser Hinsicht etwas ins Wanken geraten. Werte, die wir über Jahrzehnte verteidigt haben, gehen verloren. Feuerwehrmänner werden bei ihrer Arbeit attackiert, Menschen mit anderer Haltung auf offener Straße bespuckt: Wir dürfen niemals zulassen, dass dies in unserer Mitte akzeptiert wird. Woher kommt Ihrer Meinung nach die zunehmende gesellschaftliche Gereiztheit? Ein Teil davon hängt sicher mit der politischen Kommunikation zusammen – da wird Streit oft als Stärke verkauft. Es wird zu einem "Schlagabtausch" in die Talkshow geladen, Medien gründen "Streitressorts": Dadurch wird ein Klima des Gegeneinanders erschaffen, das wie ein Aufputschmittel in die Gesellschaft sickert. Und der andere Teil? Viele Menschen sind auch schlicht überfordert mit der Komplexität des Alltags. Die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen führen zu Verunsicherungen – und diese entladen sich manchmal in Aggression. Bleibt die Verantwortung des Einzelnen, den Wertekompass an nachfolgende Generationen weiterzutragen. Ist Ihnen das bei Ihren Kindern gelungen? Ich habe das große Glück, ein enges Verhältnis zu meinen Kindern zu haben. Wir arbeiten sogar gemeinsam. Werte wie Respekt, Menschlichkeit, Verantwortung – das sind Dinge, die meine Frau und ich unseren Kindern vorgelebt haben. Ich habe das wiederum von meiner Mutter mitbekommen. Dieses "Handel als Mensch" – das zieht sich durch. Und lernen Sie auch selbst noch von der jungen Generation? Absolut. Gerade beim Thema Sprache. Die Sprache verändert sich – und ich finde, das ist etwas Gutes. Ich sage mittlerweile ganz selbstverständlich "Kolleginnen und Kollegen". Das ist ein Zeichen von Respekt. Ich habe die Veränderung verstanden und akzeptiert. Das gehört dazu, wenn man nicht den Anschluss verlieren will. Aber Formen wie die Sprechpause – also das sogenannte gesprochene Gendersternchen – gehen Ihnen dann doch zu weit? Mir persönlich geht das nicht leicht über die Lippen und für meine Songtexte halte ich das auch nicht für sehr praktikabel – aber ich verstehe, worum es geht. Es ist ein Instrument der Aufmerksamkeit. Es geht darum, andere Sichtbarkeiten zu schaffen. Sprache prägt unser Denken. Und wenn wir mit unserer Sprache sensibler umgehen, dann kann das auch zu mehr Rücksicht im Miteinander führen. Der "Stern" nannte Sie mal "Softpornograph des Schlagers". Gefiel Ihnen das? Nicht wirklich, aber ich kann ja nichts für die Zuschreibungen der Medien. Sie scheinen eine schelmische Freude am Zweideutigen zu haben. Viele Ihrer Texte strotzen vor erotischen Andeutungen. Es gehört nun mal zum Leben dazu. Sex und Zweisamkeit, Liebe und Anziehungskraft sind lebensnahe, für die Musik sehr dankbare Themen. Wie viel von dem, was Sie da singen, stammt aus Ihrer eigenen Erfahrung? (lacht) Nun ja, sagen wir: Ich verfüge über eine lebhafte Fantasie. Natürlich fließen da auch eigene Erfahrungen ein. Aber der Grat ist schmal – es darf nie in den Kitsch abrutschen. Wenn man das richtige Maß trifft, dann wird aus einem Lied mehr als nur ein schöner Reim. Gab es für Ihre freizügigen Texte auch mal Kritik? Es gibt immer jemanden, der Anstoß nimmt. Giovanni Zarrella hat mal erzählt, dass es Bedenken gab, mich in seiner Show auftreten zu lassen – wegen des Liedes "Du, deine Freundin und ich". Aber ich sehe bei meinen Konzerten, dass gerade solche Songs beim Publikum große Freude auslösen. Sie selbst haben solche Diskussionen mit Fernsehsendern wegen Ihrer anzüglichen Texte also nie führen müssen? Nein, das ist mir bisher nicht untergekommen. Aber ich würde mich darauf freuen und mich der Diskussion gerne stellen, denn letztlich ist es doch so: Wenn man in seiner eigenen Sprache singt, besteht immer die Gefahr, dass man verstanden wird. Haben Sie den Eindruck, dass das Fernsehen heute zu vorsichtig geworden ist? Ich glaube, die enorme Präsenz der sozialen Medien hat viele verunsichert. Man überlegt sich heute dreimal, was man sagt. Ich persönlich bin da raus – ich lese weder Facebook noch andere Portale. Das interessiert mich einfach nicht. Ich möchte mich nicht von der Meinung anderer abhängig machen. Schlager ist nach wie vor das erfolgreichste Musikformat in Deutschland – wird aber oft belächelt. Wie erklären Sie sich das? Ich denke, das liegt am Schubladendenken. Manche Medien kreieren ein Bild, das mit der Realität wenig zu tun hat. Dabei kennen die Menschen auf der Straße die Lieder, singen mit, verbinden damit Erinnerungen. Schlager spricht Gefühle an – und das ist doch etwas sehr Wertvolles. Und welches Stadtbild gefällt Ihnen am besten? (lacht) Mir gefallen Städte, die bunt sind – im besten Sinne. Wo viele unterschiedliche Kulturen zusammenleben, wo Vielfalt den Ton angibt. Das empfinde ich als besonders lebenswert und schön.
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