Die früheren Tugenden sind dem deutschen Fußball abhandengekommen - findet zumindest Matthias Sammer. Auch die sportliche Bewertung der Heim-EM sieht er kritisch. Matthias Sammer zeigt sich besorgt über die Entwicklung im deutschen Fußball. "Der deutsche Fußball hat seine grundsätzliche Identität und damit wesentliche Stärke verloren", sagte der 57-Jährige dem "Kicker". Veränderungen wie Ballbesitzfußball, raumorientierte Spielweise und taktische Flexibilität durch den Einfluss ausländischer Trainer seien gut und notwendig. Aber die Balance zwischen Innovation und Tradition sei nicht geglückt. Der Veränderung sei ein höherer Stellenwert zuerkannt worden als den traditionellen Stärken. "Diese wurden fälschlicherweise als Rumpelfußball, Fußball von gestern und oldschool abgetan. Bewusst provokativ stelle ich mir die Frage: Wofür steht der deutsche Fußball heute eigentlich?", sagte Sammer. "Wir sind schockverliebt in Taktik und Ballbesitz, haben mit deren Übernahme einiges verbessert, aber Wesentliches verloren." "Wir verkaufen also Durchschnitt als außergewöhnlich" Der frühere Nationalspieler, Trainer sowie Sportdirektor sieht den Trend kritisch. "Wir Deutschen sind, wie man an unserer Fußballgeschichte sieht, immer mannschaftlich geschlossen, robust und kompakt aufgetreten. Als Mannschaft waren wir eine Maschine. Heute sind wir maximal noch ein Maschinchen", befand "Europas Fußballer des Jahres" von 1996. "Im Schönreden sind wir noch immer stärker als in der kritischen Analyse. Der deutsche Fußball muss wieder lernen, Durchschnitt nicht als Weltklasse zu verkaufen." Bestes Beispiel dafür sei das unglückliche Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der Heim-Europameisterschaft im Vorjahr gegen den späteren Gewinner Spanien, meinte Sammer. "Das Viertelfinale bei der EM 2024 wurde in der Öffentlichkeit verkauft wie ein Titel", sagte er: "Das Unangenehme sprechen wir aber nicht mehr an." Der Berater von Borussia Dortmund forderte: "Das Beste muss unser Maßstab sein."