Bekannt wurde sie 2014 als eine der ersten Fitness-Influencerinnen in Deutschland. Heute kann sich Sophia Thiel mit dieser Rolle kaum noch identifizieren. Sophia Thiel erscheint pünktlich auf die Minute. Sie trägt einen langen schwarzen Ledermantel und Stiefel mit dicker Plateausohle. Ihre knallroten Locken wippen auf und ab, als sie durch die Tür tritt. Am Tag vor dem Gespräch hat Thiel in ihrer Instagram-Story gezeigt, wie sie sich diese Locken ins Haar dreht. Thiel ist Influencerin, in den sozialen Netzwerken teilt sie Inhalte zu Beauty, Kraftsport oder mentaler Gesundheit. Vor dem Interview fragt sie, ob sie ihren mitgebrachten Energydrink trinken dürfe, holt eine pinkfarbene Dose aus ihrer Handtasche und stellt sie auf den Tisch. Früher hätte sie das nicht gemacht – zu viele unnötige Kalorien, eine Altlast, sagt sie und lacht. Mit t-online spricht sie über ihre Essstörung, ihren Kinderwunsch und die eigene Kindheit, Neujahrsvorsätze und darüber, warum sie oft zu streng zu sich selbst ist. t-online: Frau Thiel, w ie alt waren Sie, als Sie sich das erste Mal unwohl in Ihrem Körper fühlten? Sophia Thiel: Das ging schon im Kindergarten und der Grundschule los. Kommentare von anderen Kindern über meinen dicken Bauch oder darüber, dass ich im Sportunterricht zu langsam sei, bekam ich früh zu spüren. Ich fühlte mich nicht zugehörig. Deshalb lud ich die Jungs zum Armdrücken ein und hatte einen eher groben Umgang mit ihnen. Das ist bis heute so. Meine Love-Language ist Ärgern und Rangeln. Haben Sie deshalb aufgehört, zu essen? Gewicht war für meine Schwester, meine Mutter und mich immer ein Thema. Ich dachte, dass mein Körper nicht gut ist, wie er ist, und verändert werden muss. Ich teilte Lebensmittel in Gut und Schlecht ein und erlaubte mir nur die guten. In der Mädchenschule wurde dieser Gedanke dann verstärkt. Inwiefern? Wir haben in der Schule einen Film über Magersucht geschaut. Aber statt aufzuklären, hat er das Gegenteil bewirkt: Der Film zeigte mir, wie ich dünn werden kann, und ich wollte alles dafür tun, schlank zu sein. Warum wollten Sie das so sehr? Ich wollte dazugehören und habe beobachtet, dass schlankere Menschen besser behandelt werden als mehrgewichtige. Haben Sie Ihren Eltern von diesen Problemen erzählt? Nein, ich habe immer gesagt, mir geht es gut. Als ich auf ungesunde Weise abgenommen habe, indem ich zu wenig aß und übermäßig trainierte, waren meine Eltern positiv überrascht. Als ich mit Anfang 20 ausgezogen bin, waren sie beeindruckt davon, dass ich mit Fitnessvideos auf Social Media Geld verdienen kann. Wie lange hat diese Strategie funktioniert? Bis meine Eltern gesehen haben, dass meine Gewichtsschwankungen aus dem Ruder liefen. Ich nahm von heute auf morgen 20 bis 30 Kilo zu. Als ich sie besuchte, schaute ich in ihre schockierten Gesichter und suchte trotzdem Ausreden für meinen veränderten Körper und meine Essanfälle. Ich erklärte ihnen, ich trainiere zu viel oder hätte zu wenig geschlafen. Im Grunde wollte ich mich selbst überzeugen, dass es mir gut geht. Aber es ging Ihnen nicht gut? Nein, ich kam an einen Punkt, an dem ich permanent müde und zu hart zu mir selbst war. Zusammen mit meinem geringen Selbstwertgefühl fehlte mir irgendwann die Kraft und ich konnte meinen Alltag nicht mehr bestreiten. Ich musste mir eingestehen, dass ich ein tieferliegendes Problem hatte. Und wie ist es heute? Das Älterwerden hilft. Es ist kein Weltuntergang mehr, wenn ich bei einer Festivität zum Essen eingeladen bin. Ich habe keine Angst mehr vor Weihnachten und vor deftigen Gerichten. Durch Therapie habe ich gelernt, dass ich mir das Essen nicht verbieten muss, und das ist ein enormer Fortschritt. Aber sich von einer Essstörung zu lösen, ist zäh. Weil Sie in alte Verhaltensmuster zurückfallen? Ja. Und Social Media erleichtert es mir nicht. Ich habe einen Job, in dem mein Äußeres permanent kommentiert wird. Ich setze mir noch immer gerne Ziele, aber ich versuche, mir heute weniger Druck zu machen. Sie mögen Ziele. Wie ist es mit Neujahrsvorsätzen? Der Jahreswechsel ist für mich immer schwierig. Ich blicke zurück auf meine Misserfolge und werde dann melancholisch. Aber ich bin ein Fan von Neuanfängen. An Montagen nehme ich mir oft vor, neue Pläne durchzuziehen, weil die Woche noch frisch und sauber ist. So geht es mir auch mit jedem neuen Jahr. Auf das Leben bezogen ist diese Denkweise aber utopisch, weil immer etwas Ungeplantes passiert. Was heißt das? Ich setze mir keine Neujahrsvorsätze oder radikalen Ziele mehr. Es ist nicht realistisch und frustrierend, wenn die Messlatte zu hoch ist. Für das neue Jahr habe ich mir deshalb nicht mehr vorgenommen, ein bestimmtes körperliches Ideal zu erreichen oder nie wieder Essanfälle zu haben. Sondern? Ich möchte mich gerne in neuen Bereichen ausprobieren, etwa in Mixed Martial Arts oder Wrestling – einen Kampf im Käfig könnte ich mir vorstellen. Das klingt schmerzhaft. Haben Sie außerdem noch Pläne für 2026? Ich möchte zurück nach Bayern ziehen, weil ich frisch Tante geworden bin und mir die Nähe zu meinen Eltern wichtig ist. Auch meine eigene Familiengründung beschäftigt mich – aber da möchte ich ganz ohne Druck schauen, was die Zukunft bringt. Was würden Sie der kleinen Sophia von damals heute raten? Die kleine Sophia war frech und laut. Sie würde mich wahrscheinlich ordentlich zusammenfalten und sagen, dass ich nicht so viel darauf geben soll, was andere von mir denken. Trotzdem hat sie sich damals nicht getraut, über ihre Gefühle zu sprechen. Ich würde ihr gerne sagen, dass es okay ist, sich helfen zu lassen.