"Tagesschau"-Star Julia-Niharika Sen: "Das ist wirklich blanker Unsinn!"

latest news headlines 8 std vor
Flipboard
Sie ist das Gesicht der 20-Uhr-"Tagesschau" – und bleibt auch im Live-Stress souverän. Im t-online-Interview erzählt Julia-Niharika Sen von verbrannten Fingern, gefährlichen Kameras und Espresso-Meditationen hinter den Kulissen. Eigentlich wollte Julia-Niharika Sen Lehrerin werden, stand während des Studiums aber schon vor der Kamera – als Model. Damals aus ganz pragmatischen Gründen: um Geld zu verdienen und Zeit für ihre Kinder und das Studium zu haben. Heute sind die Kinder erwachsen und die gebürtige Kielerin ist fester Bestandteil des Sprecherteams der "Tagesschau". Ihre Karriere in der 20-Uhr-Ausgabe begann vergleichsweise spät – im Alter von 53 Jahren. Regelmäßig übernimmt Julia-Niharika Sen auch die Moderation der "Tagesthemen" und vertritt Jessy Wellmer und Ingo Zamperoni . Im Interview mit t-online spricht die profilierte Fernsehjournalistin über ihr persönliches Ritual vor jeder Sendung, eine Panne, die niemand mitbekam, und räumt mit den hartnäckigen Vorurteilen über ihre Kleiderwahl auf. t-online: Haben Sie ein bestimmtes Ritual vor jeder Sendung? Julia-Niharika Sen: Eigentlich nicht. Aber vor der 20-Uhr-Ausgabe setze ich oft auf die Kombi Espresso und Express-Fokussierung. Den Koffein-Kick brauche ich, um auch abends auf Betriebstemperatur zu kommen – ich habe einen eher niedrigen Blutdruck. Und wenn ich noch 30 Sekunden Zeit habe, mache ich eine Art Express-Meditation – kurz Durchatmen und den Stress vergessen. Was bekommen die Zuschauerinnen und Zuschauer von Ihnen während der Sendung gar nicht mit? Über einen Knopf im Ohr erfahren wir aus der Regie, wenn zum Beispiel kurzfristig Neuerungen in die Sendung aufgenommen werden: Wenn sich die Nachrichtenlage noch einmal geändert hat und dadurch ein Satz im Text ausgetauscht wird, eine Formulierung neu ist oder etwa durch den Tod einer bekannten Person – wie zuletzt beim Papst – eine ganz neue Meldung in die Sendung kommt. All das müssen wir Sprecherinnen und Sprecher uns dann während der laufenden Livesendung anschauen und möglichst sicher präsentieren. Das klingt stressig. Ja, es kommen immer mal kurzfristig Namen oder Orte dazu, die wir auch nicht immer in unserer Aussprache-Datenbank im Studiocomputer finden. Da müssen wir dann fragen, ob jemand aus der Redaktion die korrekte Aussprache noch kurzfristig herausfinden kann. Aber das funktioniert auch nur während eines Beitrags, wenn Sie nicht gerade eine Meldung vorlesen? Während wir lesen, geht das natürlich nicht. Aber es gibt eine sogenannte "Räuspertaste". Damit können wir aus dem Studio zum Beispiel während einer Live-Schalte unbemerkt für die Zuschauerinnen und Zuschauer Rückfragen in die Regie oder an die Redaktion stellen. Welche Besonderheiten gibt es im Studio? Eine Besonderheit, die mich am Anfang total überrascht hat, ist das "Eigenleben" der Studiokameras. Die werden von der Regie aus ferngesteuert. Wir haben alle größten Respekt vor diesen High-Tech-Kameras. Denn man muss da ganz schön aufpassen. Welche Erfahrungen haben Sie damit schon gemacht? Mir passiert es immer wieder, dass ich aus Versehen zu nah an eine Kamera herankomme und sie damit kurzzeitig außer Gefecht setze. Das heißt, sie kann sich erst mal nicht mehr bewegen. Bei meinem Casting damals für "Tagesschau 24" hieß es: "Es kann im schlimmsten Fall passieren, dass die Kameras auf dich zurasen. Dann bitte auf den Boden werfen." Das klang nach Loriot. Ich dachte, das sei ein Scherz. Es hieß, die Kameras könnten einen im schlimmsten Fall einfach "umhauen". Das ist mir zum Glück aber noch nie passiert. Haben Sie eine Lieblingsposition bei der 20-Uhr-Ausgabe der "Tagesschau"? Meine Lieblingsposition ist neben dem Tisch – die neue "offenere" Einstellung, bei der wir uns auch etwas bewegen können. Da fühle ich mich – im Gegensatz zur klassischen Einstellung hinter dem Tisch – etwas lebendiger. Das ist ein wenig mehr wie bei einer moderierten Nachrichtensendung – also etwa den "Tagesthemen". Sie wirkt auf viele auch "nahbarer" und weniger distanziert. Inwiefern? Der Tisch wirkte offenbar auf viele wie eine statische Barriere. Um das aufzuheben, gibt es seit einigen Monaten diese Einstellung mit großen Bildern im Hintergrund. Früher haben wir sie nur für die Wetter-Anmoderation genutzt, jetzt starten wir so auch häufiger direkt in die Sendung. Nicht die einzige Neuerung in der Sendung. Wir haben generell eine modernere und nahbarere Ansprechhaltung. Wir verzichten mittlerweile auf das eher förmliche "Meine Damen und Herren" in der Begrüßung und arbeiten daran, dass die Texte etwas moderativer sind. Außerdem haben sich die Schalten zu unseren Korrespondentinnen und Korrespondenten verändert. Statt einer einzigen Frage, kommt jetzt – je nach Nachrichtenlage – auch mal eine Nachfrage dazu. Wie gefällt Ihnen all das? Die Modernisierung gefällt offenbar nicht nur uns in der "Tagesschau"-Redaktion, sondern auch vielen, die uns zuschauen. Denn wir waren mit der 20-Uhr-Ausgabe der "Tagesschau" auch im vergangenen Jahr wieder die erfolgreichste Nachrichtensendung Deutschlands. Braucht es bei all den Neuerungen dann aber noch die etwas altmodisch wirkenden Moderationskarten? Auf jeden Fall. Wir lernen die Texte ja nicht auswendig und es kommt auch schon mal vor, dass der Teleprompter, von dem wir die Texte ablesen, ausfällt oder nicht richtig funktioniert. Dann sind die Karten das wichtigste Back-up. Was geht Ihnen bei solchen technischen Pannen in einer Livesendung durch den Kopf? Einfach ausblenden und weitermachen. Man muss allerdings ganz schön die Nerven behalten, um das, was gerade schiefgeht, zu ignorieren. Das können laute Störgeräusche auf dem Knopf im Ohr sein, falsche Texte oder aber Filmbeiträge, die einfach nicht kommen. Welche Panne während einer Sendung haben wir nicht mitbekommen? Ich habe mir vor einigen Monaten direkt vor der 20-Uhr-Ausgabe die Hand aus Versehen an einem heißen Eisen in der Maske verbrannt. Während der Sendung habe ich dann immer wieder während der Filmbeiträge meine Hand in die Schublade unter dem Tisch gelegt und meine Finger an einem Eispad gekühlt. Ich hatte starke Schmerzen und dachte nur: "Hoffentlich schaffe ich es bis zur letzten Meldung, ohne dass man mir die Schmerzen anmerkt." Welche Nachricht haben Sie bis heute nicht vergessen? Ich hatte Gänsehaut, als ich am 24. Februar 2022 die Nachricht über den russischen Angriff auf die Ukraine in der 20-Uhr-Ausgabe der "Tagesschau" vorgelesen habe. Da wusste ich sofort: Das ist ein so historischer Moment, dessen ungeheuerliche Folgen wir in dem Moment schon dunkel erahnen konnten. Wie schwer fällt es Ihnen, dabei keine Emotionen zu zeigen? Je mehr eine Nachricht mich bewegt, desto mehr versuche ich, meine Gefühle auszublenden. Es soll ja eben nicht passieren, dass unsere Emotionen bei der Präsentation der Texte spürbar sind. Im Fall des russischen Angriffskrieges hat man mir aber sicherlich angemerkt, wie angefasst ich war. Ich konnte das, was da gerade geschah, kaum glauben. Mit welchem Vorurteil würden Sie gerne mal aufräumen? Es geht sehr häufig um das Thema Kleidung. Die gehört uns nicht, sondern dem NDR . Wir nehmen nichts davon mit nach Hause und werden auch nicht von Firmen gesponsert. Welche Vorurteile begegnen Ihnen noch? Wir werden immer wieder gefragt, ob wir mit der Farbe unserer Kleidung eine Botschaft senden. Die Antwort ist ein klares Nein. Ich habe einfach ein totales Faible für Rot- und Violetttöne und fühle mich darin besonders wohl. Mehr aber auch nicht. Gibt es denn auch No-Gos bei der Kleidungswahl? Wir versuchen uns der Nachrichtenlage entsprechend zu kleiden. Vor allem bei Trauerfällen sind dunkle oder gedeckte Farben angemessen. Und sonst gilt: Jeder entscheidet selbst. Als vor Kurzem der Koalitionsvertrag präsentiert wurde, dachte ich allerdings: Heute bloß kein schwarz-rotes Outfit. Komplett rot wirkte in Wahlkampfzeiten zum Beispiel auch nicht immer gut. Genau wie komplett grün, gelb oder blau. Aber würden wir uns tatsächlich stark danach richten, bliebe farblich nicht viel übrig ... Unsere Farbwahl ist aber wie gesagt kein Hinweis auf eine mögliche Sympathie zu irgendeiner Partei. Auch wenn es immer mal wieder Menschen gibt, die das offenbar denken. Was entgegnen Sie dann? Das ist wirklich blanker Unsinn! Julia-Niharika Sen ist demnächst in einem Talk-Format live auf der Bühne zu erleben: "Wahnsinn trifft Methode: Den Letzten beißen die Hunde" am 5. Mai 2025 im Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg .
Aus der Quelle lesen