Thomas Gottschalk: TV-Star nimmt Abschied von der großen Bühne

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Thomas Gottschalk hat die Fernsehbühne verlassen. RTL verabschiedete ihn überraschend und würdig, und mit seinem Freund Günther Jauch schrieb er ein letztes Mal Fernsehgeschichte. Er hat ein letztes Mal im deutschen Fernsehen gewettet. Diesmal auf sich selbst. Vom Krebs und den starken Medikamenten gezeichnet hat Thomas Gottschalk alles gewagt, um sich von seinem Publikum zu verabschieden, als er in der RTL-Sendung "Denn sie wissen nicht, was passiert" noch einmal vor den TV-Kameras stand. Seine jüngsten Auftritte waren misslungen. Seine Fans litten mit ihm auf offener Bühne, seine Kritiker überschütteten ihn mit Häme. Gottschalks letztes "Servus" hätte also grandios misslingen können. Doch der Entertainer gewann diese letzte TV-Wette. Haushoch, unter tosendem Applaus und mit großer Würde. Gott sei Dank. Er verließ Fernsehdeutschland über die große Showtreppe. Ein letztes Mal erklomm er sie – ganz plötzlich – als die Show noch nicht einmal halb beendet war. An der obersten Stufe holte ihn seine Frau Karina ab – in einem sehr liebevollen Moment. Der Weg zu Gottschalks Goodbye war kein leichter Der Weg zum Goodbye war kein leichter. Gottschalk ging ihn nicht allein. RTL hatte ihm mit Barbara Schöneberger, Günther Jauch, Mike Krüger, Giovanni Zarrella und Jörg Pilawa gleich fünf absolute Profis als Stützen an die Seite gestellt. Und der ewige Wettkönig brauchte sie auch. Denn natürlich war es traurig zu sehen, wie aufgeregt Gottschalks Co-Stars im wahrsten Sinne des Wortes um ihn herum moderieren mussten, um seine offenkundige Schwäche zu überspielen. Ja, es war augenscheinlich, dass Gottschalk körperlich und geistig nicht der Alte ist. Wie könnte er auch? Ja, mitunter sagte er minutenlang überhaupt nichts. Wenn er sprach, dann langsam, hoch konzentriert, aber unsicher. Meist begleitete er das hektische Treiben nur tapfer lächelnd. Und ja, sein Lächeln während der Ratespiele wirkte gefroren, fast gequält. Kein einfacher Moment war das Interview, das sein Freund Günther Jauch mit ihm über seine schwere Krebserkrankung führte. Es kam unerwartet, fast aus heiterem Himmel. Es war ein harter Bruch in der Sendung. Von einer Sekunde auf die andere verwandelte sich "Denn sie wissen nicht, was passiert", dieser gut gelaunte Kindergeburtstag für Fernsehboomer, in einen ernsthaften Talk wie bei "Stern TV", das Jauch lange moderiert hat. Kurz wollte man innerlich seufzen: "Oh, bitte nicht!" Als Gottschalk Jauch freimütig erzählte, in welch intimer Körperregion das epitheloide Angiosarkom gewachsen ist , wollte man innerlich seufzen: "Oh, bitte nicht!" Für eine Sekunde drohte Gottschalks Abschied zu kippen. Der Grat zwischen Transparenz und Bloßstellung ist schmal. Aber Gottschalk und Jauch sind ein eingespieltes Team. Offenbar war es ihr Ziel, jeden Dampf aus der gesundheitlichen Gerüchteküche abziehen zu lassen. Und das gelang bravourös. Das kurze Interview schaffte den Spagat. Jauch stellte Fragen nach Gottschalks Gesundheitszustand, die viele in Deutschland bewegten, ohne den kranken Thomas vorzuführen. Gottschalk wahrte seine Würde. Es war ihm anzumerken, dass er seine Antworten gut vorbereitet hatte. Dieser Moment erlaubte nicht die Spontaneität, für die er berühmt ist. Er musste "sitzen". Das schien auch Gottschalk zu spüren. Er wirkte in diesen Minuten besonders angestrengt. Seine Augen vermieden den Blickkontakt zu Jauch, klammerten sich an die Studiodecke. Riesig schien die Mühe zu sein, dieses kurze Gespräch gut zu Ende zu bringen. Es war erst kurz nach 22 Uhr, die Sendung dauert normalerweise bis weit nach Mitternacht. Vor dem müden Showmaster lag also noch quälend viel Sendezeit. Scheinbar. Gottschalk und RTL vollbringen ein Meisterstück Denn genau in diesem Moment vollbrachten Gottschalk und RTL ein Meisterstück. Fast beiläufig schilderte er, dass sein "Brainfog", sein von Krankheit und Medikamenten leicht benebelter Geist, zu später Stunde immer schlimmer werde. Mit diesem Satz moderierte er elegant an, was die Zuschauer fast wie ein Schock treffen sollte. Kurz darauf stand er auf, schüttelte seinen Mitstreitern die Hand, bestieg lächelnd die Showtreppe und weg war er. Kurz und schmerzlos. Applaus und Konfetti, aber keine langen Ovationen. Keine Blumen. Kein Abschiedsmonolog. Keine großen letzten Worte: "Das sieht man nicht oft im deutschen Fernsehen: Ein Mann geht in Rente . Er geht tatsächlich", witzelte Gottschalk noch. Dann entschwand er. Gemeinsam mit Jauch und unter der klugen Regie von RTL schaffte er einen letzten Fernsehmoment für die Ewigkeit. "Vorhang zu und alle Fragen offen", so zitierte sein verstorbener Duz-Freund Marcel Reich-Ranicki gerne Bertolt Brecht. Und in der Tat herrschte kurz Verwirrung: War's das jetzt wirklich? Es war doch erst kurz nach zehn? Ja, das war's. Der große Thomas Gottschalk hatte die TV-Bühne verlassen. Sein letzter Auftritt war ein gesundheitliches Wagnis, ein großes Risiko. Er hat hoch gepokert und alles gewonnen: einen Abschied in Würde, mit einer letzten großen Überraschung. Ein Lebewohl, das sich nicht länger zog, als es unbedingt musste. Ohne Misstöne. Den einzigen Texthänger hatte nicht Gottschalk, sondern sein Weggefährte Mike Krüger beim Abschiedssong "Mein Gott, Thomas". Ohne Gottschalk endet die Show bemüht und unerheblich Wie groß die Lücke ist, die Thomas Gottschalk in der Glotze hinterlässt, bewies RTL mit dem weiteren Verlauf der Sendung. Noch zwei Stunden rieselte "Denn sie wissen nicht, was passiert" weiter, nachdem ihr Aushängeschild gegangen war. Die Show wirkte bemüht ohne ihn. Ein wenig vergeblich. Unerheblich. Darüber, wer sie künftig moderiert, gibt es nur Gerüchte. Die große Samstagabend-Unterhaltung im TV liegt im Sterben, glauben viele schon lange. Manche sind sich sicher, dass das lineare Fernsehen ihr ins Grab folgen wird. Seinem vielleicht letzten echten Zeremonienmeister kann das ab sofort egal sein.
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