In den sozialen Medien fluten neue Influencer und "Stars" die Kanäle. Jetzt erhält dieser Trend auch Einzug in die Filmbranche. Was genau steckt dahinter? Sie winkt in die Kamera und zeigt ihr breitestes Grinsen: Tilly Norwood. In dem dazugehörigen Werbevideo kommen zwei Männer zu Wort. Der eine sagt: "Ich bin bereits verliebt." Und der andere meint, er habe schon "girl-next-door-vibes" – Norwood sei also das hübsche Mädchen von nebenan. Aber wer ist diese Tilly Norwood? Sie ist eine Erfindung, eine Künstliche Intelligenz (KI). Eine Talentagentur hat sie entworfen. Auf ihrer Webseite schreibt die Firma mit dem Namen Xicoia: "Die Unterhaltungsbranche steht vor einer neuen Ära, in der Künstliche Intelligenz eine zentrale Rolle spielt." Man habe deshalb ein "KI-Talentstudio" ins Leben gerufen, welches "hyperreale digitale Stars erschaffen soll". Laut Angaben des Unternehmens sollen diese digitalen Persönlichkeiten nicht nur Avatare sein, sondern private Hintergrundgeschichten bieten und "in Echtzeit mit ihrem Publikum interagieren". Die KI-Schauspielerin wurde am Montag beim Industrietreffen des Züricher Film Festivals vorgestellt. Die Unternehmerin Eline Van der Velden, die hinter dem Vorstoß steckt, hat dem Magazin "Broadcast International" gesagt: "Wir wollen, dass Tilly die nächste Scarlett Johansson oder Natalie Portman wird." Seitdem steht die Branche auf den Barrikaden. Hollywoodstar Emily Blunt reagierte auf diese Ansage etwa mit dem Konter: "Aber wir haben doch schon Scarlett Johansson." Blunt verstehe nicht, warum ein KI-Klon gebraucht werde. Sie stehe dieser Entwicklung kritisch gegenüber. "Bitte, Agenturen, tut das nicht" Im Interview mit dem US-Magazin "Variety" erklärt die 42-Jährige, als sie die Aufnahmen der KI-Schauspielerin Tilly Norwood vorgespielt bekommt: "Das ist KI ? Meine Güte, wir sind verloren. Das ist sehr, sehr beunruhigend." Sie ringt nach Worten: "Ich weiß gar nicht, wie ich das beantworten soll, außer zu sagen, wie erschreckend das ist." Dann richtet sie einen Appell an die Filmbranche: "Bitte, Agenturen, tut das nicht. Bitte hören Sie auf. Hören Sie auf, unsere menschlichen Verbindungen zu kappen." Doch wird diese Entwicklung noch zu stoppen sein? Schließlich fluten solche KI-generierten "Schönheiten" bereits zuhauf die sozialen Medien: Dort beklagen Influencer wachsende Konkurrenz – ähnlich also, wie es Emily Blunt jetzt für ihre Branche tut. Und Tilly Norwood? Die KI hat seit rund fünf Monaten einen eigenen Instagram-Account. Dort folgen ihr fast 40.000 Menschen. Sie wird dort als Superheldin inszeniert – oder eben als das "hübsche Mädchen von nebenan", Kaffee-trinkend, shoppend oder im unaufgeräumten Homeoffice arbeitend. Die Kritik nehmen sich die Macher offenbar zu Herzen. Im neuesten Posting auf dem Social-Media-Account ist eine lange Textnachricht zu lesen: "An diejenigen, die ihre Wut über die Schaffung unserer KI-Figur Tilly Norwood zum Ausdruck gebracht haben: Sie ist kein Ersatz für einen Menschen, sondern ein kreatives Werk – ein Kunstwerk", schreibt Schöpferin Eline Van der Velden. "So wie Animation, Puppenspiel oder CGI" Sie sehe in Norwood nur ein neues Werkzeug für Film und Fernsehen. "So wie Animation, Puppenspiel oder CGI neue Möglichkeiten eröffnet haben, ohne der Schauspielerei etwas wegzunehmen, bietet KI eine weitere Möglichkeit, Geschichten zu erfinden und zu entwickeln." Warum Eline Van der Velden dann zunächst ausgerechnet einen Vergleich mit realen Schauspielpersönlichkeiten, wie Scarlett Johansson gezogen hat, bleibt allerdings unklar. Jetzt rudert die Unternehmerin zurück. Sie wolle KI als eigenständiges Genre betrachten, anstatt sie direkt mit menschlichen Schauspielern zu vergleichen. "Jede Kunstform hat ihren Platz und kann für das geschätzt werden, was sie auf einzigartige Weise beiträgt", so Van der Velden.