Wer als Journalist in Kriegs- und Krisengebiete reist, kann dafür Vorbereitungskurse besuchen. Unser Autor hat es fünf Tage getestet – und hat jetzt ein Gefühl dafür, was permanente Angst bedeutet. Ab jetzt wird es langsam unerträglich. Ich knie auf einem Fliesenboden. Meine ohnehin schon lädierten Knie schmerzen. Allmählich beginnen sie zu zittern. Mein Kopf lehnt gegen eine Wand. Vermutlich kauere ich gerade in der Ecke eines Raumes. Sehen kann ich nichts, mir wurde ein weißer Kissenbezug übergestülpt. Aufstehen geht auch nicht, meine Hände sind mit Kabelbindern auf meinem Rücken gefesselt. Langsam weicht das Gefühl aus meinen Oberschenkeln, der kalte Schweiß rinnt über mein Gesicht. Die feuchte Schwüle im Raum tut ihr Übriges, jetzt laufen auch die Gläser meiner Schutzbrille an. Mit schwacher Stimme frage ich, ob mich jemand auf die Seite drehen könnte – keine Reaktion. Stattdessen höre ich Schüsse, Explosionen oder Geschrei aus der Ferne. "Für wen arbeitest du, wer ist dein Kommandant?", schreit jemand aus der Ferne. Ich bin Opfer einer Geiselnahme und glaube, dass ich bald das Bewusstsein verliere. Nahezu nichts an der Situation ist echt: Die Geräusche kommen aus einem Lautsprecher. Meine Kidnapper sind keine Terroristen. Sie haben einen militärischen Hintergrund, wurden allerdings für diese Übung engagiert. Das "Gefängnis", in dem ich kauere, ist eigentlich ein Häuschen mit Seeblick und Sauna. Harmlos oder nicht? All diese Tatsachen sind mir zu jeder Zeit bewusst. Trotzdem: Wenn meine Entführer mit Platzpatronen aus echten Waffen neben meinem Kopf feuern, zucke ich zusammen. Echt sind auch meine Schmerzen – und die Gedanken daran drücken irgendwann die Gewissheiten beiseite, dass all das doch völlig harmlos ist. Fast eine ganze Woche ging das mir und fünf meiner Kollegen so. Gemeinsam haben wir ein sogenanntes "Heat"-Training absolviert, eine Kurzform für "Hostile Enviroment Awareness Training". Es soll das "Bewusstsein für feindliche Umgebungen" schärfen. Journalisten werden damit auf die Arbeit in Kriegs- und Krisengebieten vorbereitet. Seit Februar 2022 sind laut Reporter ohne Grenzen allein im Ukraine-Krieg 13 Journalistinnen und Journalisten während der Berichterstattung ums Leben gekommen. Wir lernen, wie wir uns in gefährlichen Situationen verhalten sollten. Das kann Leben retten. Doch tatsächlich ist es viel mehr, was wir in diesen fünf Tagen physisch und psychisch hautnah erfahren: Wie sich Krieg anfühlen kann. Ausrüstung immer dabei Die Geiselnahme war der "Höhepunkt" des fünftägigen Trainings. Als sie irgendwann endet, muss mir einer meiner fünf Mitabsolventen auf die Beine helfen. Allein habe ich keinerlei Kraft mehr in den Beinen. Meine Kollegen lagen in dem Raum die ganze Zeit neben mir, genau wie ich gefesselt und ohne Sicht. Wahrgenommen habe ich sie nicht. Zu diesem Zeitpunkt bin ich seit Tagen nahezu ununterbrochen darauf gedrillt worden, dass jederzeit die nächste Eskalation folgen kann. Deshalb ist meine Schutzausrüstung immer in Reichweite: Weste, Helm, Sicherheitsbrille, Gehörschutz, Funkgerät, Gasmaske, medizinisches Notfallset. Ich trage sie morgens beim Frühstück und lege sie nachts direkt neben dem Bett ab, damit ich sie jederzeit wieder anlegen kann. Der Helm ist lediglich aus Kunststoff, die Platten in meiner Weste nicht kugelsicher. Allerdings sind sie ähnlich schwer wie die einer echten. Ich soll mich daran gewöhnen, die Schutzkleidung immer zu tragen. In den ersten Tagen klage ich über Rückenschmerzen . Wegen der Weste kann ich meinen Oberkörper kaum bewegen, die Platten stechen in meinen Rücken, wenn ich ihn nicht völlig ruhig halte. Am Ende nehme ich die rund 10 Kilogramm schwere Schutzmontur fast nicht mehr wahr. "Er hat überlebt" Wirklich helfen können dagegen die medizinischen Utensilien, die ich in diesen Tagen mit mir herumtragen muss. Für welche Art von Verletzung das Notfallset gedacht ist, zeigen die Ausbilder in verschiedenen Videos: US-Soldaten stoppen darin mit einem speziellen Gurt die Blutzufuhr in beiden Beinen eines Kameraden – unmittelbar, nachdem sie ihm in Afghanistan von einer Sprengfalle abgerissen wurden. Der Mann ist extrem schwer verletzt und kaum noch bei Bewusstsein. Auch sein Gesicht wurde getroffen, unter dem Blut ist es kaum mehr als solches erkennbar. Die Aufnahmen sind schwer zu ertragen. "Er hat überlebt", sagt uns ein Ausbilder – und ich staune darüber, wie abgeklärt er über die schrecklichen Bilder spricht. Die Soldaten hätten genau gewusst, was sie in dieser Ausnahmesituation tun mussten, um ihren Kameraden zu versorgen, führt er weiter aus. Tiefe Wunden im Oberkörper werden mit speziellen Pflastern abgeklebt. Zur Not tut es auch Panzerband, wird uns empfohlen. Wunden in der Leisten- und Achselregion werden mit Verbänden gestopft. Kopfverletzungen? Zwei Möglichkeiten: Entweder ist die Wunde zu vernachlässigen oder so gravierend, dass jegliche Hilfe ohnehin zu spät käme. In der Ukraine würde man heute stundenlang auf Sanitäter warten, berichten unsere Ausbilder. Viele Soldaten wären größtenteils auf sich allein gestellt. "Linkes Bein!" Auf die Theorie folgt immer die Praxis: Ab jetzt binde ich mehrmals täglich Arme und Beine ab und drehe so fest zu, bis ich keinen Puls mehr spüre. "Linkes Bein!", "rechter Arm!" schreien unsere Ausbilder von morgens bis abends – und sechs erwachsene Menschen werfen sich sofort auf den Boden und greifen nach ihrem Gurt. Die Bewegungen brennen sich in mein Gedächtnis ein – und führen zu einer Menge blauer Flecken. Ständig heißt es rennen, auf den Boden werfen, Menschen tragen. An einem zerschossenen Auto schneide ich mir die Hand auf und bemerke es erst, als mir beim Laufen das Blut den Arm hinunterrinnt. "Jetzt kannst du immer sagen, du wurdest verletzt – in Falludscha", scherzt einer der Betreuer. Die Anlage wurde nach der immer wieder schwer umkämpften Stadt im Irak benannt. Die vielen Übungen tun körperlich weh, sie schärfen aber noch viel mehr meine Wahrnehmung: Kriegsgebiet bedeutet immer Ausnahmezustand, nicht unbedingt in der Realität, aber immer im Kopf. Wer immer mit dem Schlimmsten rechnet, ist am besten vorbereitet. Tot im Minenfeld Das Resultat ist eine mehr oder weniger ernste Paranoia. Sie fächert sich mit jedem Tag weiter auf: Nach der medizinischen Einweisung rechne ich jederzeit damit, Verwundete zu verarzten. Ich lerne, wie ein Auto auf Sprengfallen überprüft wird – und plötzlich will die gesamte Gruppe ohne Überprüfung nicht mehr in den Wagen zur Unterkunft einsteigen. Eben noch werde ich über die Gefahren von Drohnen und Minen gebrieft, schon höre ich ein lautes Surren von draußen. "Drohnenangriff!", brüllt es in den Raum – und wieder heißt es: Rennen, Deckung suchen, Verwundete versorgen. Die Übung endet für mich früher als geplant. "Du bist tot!", schallt es mir entgegen. Ich habe ein Minenfeld übersehen, trotz Warnschildern. Das Team hat dank mir noch mehr Probleme, die Verletzten tragen sich nicht von selbst aus der Gefahrenzone. Ein Kollege möchte stattdessen mich aus der vermeintlich verminten Wiese ziehen – und stirbt als nächster. Ich weiß: alles nur eine Übung. Aber nach Lachen ist mir zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zumute. Das Verhalten der Ausbilder facht die Grundparanoia weiter an: War das wirklich am heutigen Tag die letzte Übung? "Genießt eure letzte Nacht", ruft uns einer von ihnen mit einem verräterischen Grinsen zu – und ich denke nur noch daran, was sie sich als Nächstes ausgedacht haben. Granate beim Mittagessen Treffen wir uns nach dem Mittagessen tatsächlich nur zu einer Besprechung? War es klug, einem unserer Ausbilder die Karte zu einem unserer Zimmer zu leihen? Eben hatte man uns doch ein Gerät gezeigt, das solche Schlüsselkarten einfach kopieren kann. Kann es sein, dass sie mitten in der Nacht plötzlich vor uns stehen? Der Gedanke raubt manchen von uns den Schlaf. Ich blicke mehrmals in der Nacht nervös in Richtung meines Funkgeräts. Tatsächlich ist unsere Grundskepsis gewollt – und häufig berechtigt: Mehrfach befinden wir uns aus heiterem Himmel in der nächsten Katastrophenübung. Eigentlich sollte ich gerade etwas über den Umgang mit Kompass und Landkarten lernen. Plötzlich knallt es aus dem Gebüsch heraus – und der Betreuer liegt mit Kunstblut überströmt vor unseren Füßen. Per Funk wird der Angriff eines Scharfschützen gemeldet. Die Gruppe sucht Deckung hinter einer Mauer, fordert Unterstützung an. Parallel folgen die ersten Hilfsmaßnahmen, bis der Verletzte gemeinsam weggetragen wird. Hin und wieder fliegt mir auch die Attrappe einer Granate entgegen. Drei bis fünf Sekunden bleiben dann noch, um das Weite zu suchen. Völlig egal, ob man gerade in ein Auto eingestiegen ist oder das Mittagessen begonnen hat. "Weißt du, was das ist?" Nach fünf Tagen ist die Erleichterung groß, als das Training endet. Auf der Heimfahrt fällt der Druck langsam ab. Wenige Stunden zuvor lag ich noch am Boden und wurde von meinen vermeintlichen Entführern verhört. Sie hatten mir die Spitze ihres Gewehrs in die Schulter gebohrt. "Weißt du, was das ist?", fragten sie mich, als ich den Stich spürte. Ich bejahte im ruhigen Ton. Klare Ansprache, nicht provozieren, heißt die Empfehlung der Ausbilder. Wer sich zu stark oder zu schwach gibt, fällt auf – und riskiert im Ernstfall, als Erster gefoltert zu werden. Einige Tage später sind die blauen Flecken verheilt. Das ungute Gefühl, das ich bei einem lauten Knall habe, klingt dagegen nicht so schnell ab. Die ersten Einkäufe, die vielen Geräusche und Eindrücke auf einer belebten Straße, sie fühlen sich nach dieser Woche anders an. Hinweis der Redaktion: Die Namen der beteiligten Ausbilder sind der Redaktion bekannt. Da sie zum Teil noch aktiv im Militär tätig sind, hat t-online entschieden, ihre Identität nicht zu veröffentlichen und keine konkreten Ortsangaben zu machen.