Beim Bezahlen blinkt plötzlich eine Trinkgeldfrage auf. Warum viele Gäste darauf inzwischen genervt reagieren, zeigt eine aktuelle Umfrage. Viele Restaurants und Imbissstuben zeigen bei der Kartenzahlung auf dem Lesegerät inzwischen Vorschläge für bestimmte Trinkgeldbeträge an – und stoßen damit bei vielen Gästen auf Ablehnung. Bei einer Mitte Dezember von YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur durchgeführten Umfrage unter insgesamt 2.060 Personen gab mehr als die Hälfte der Befragten an, solche digitalen Auswahlfelder fürs Trinkgeld "schlecht" oder "eher schlecht" zu finden. Knapp ein Drittel hält die Auswahloptionen hingegen für "gut" oder "eher gut". Mehr als 20 Prozent geben weniger Trinkgeld Mehr als jeder fünfte Befragte antwortete, aufgrund der Auswahlfelder im Display inzwischen weniger Trinkgeld zu geben. Lediglich sechs Prozent lassen hingegen seither mehr Geld für die Bedienung zurück. Fast 30 Prozent sind dem Phänomen bisher offenbar nicht begegnet: Sie gaben an, die Funktion nicht zu kennen. Trinkgeld-Tricks und Kartenzoff: Warum Gäste Restaurants meiden Trinkgeldkultur im Wandel: Vorsicht vor den neuen Trinkgeldregeln Grundsätzlich hat sich beim Geben von Trinkgeld das Verhalten der Kunden in den vergangenen Jahren wenig geändert, so die Ergebnisse der Umfrage. Mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Befragten gab an, heute genau so viel Trinkgeld zu zahlen wie vor fünf Jahren. Jeder Fünfte gibt demzufolge weniger, 16 Prozent geben mehr. Wer extra zahlt, gibt in der Regel zwischen sechs und zehn Prozent der Rechnungssumme – mehr als die Hälfte der Befragten handhabt es so. Jeder Zehnte gibt sogar mehr, zwischen elf und 15 Prozent. Höher fällt das Trinkgeld indes nur selten aus. Vom US-Touchscreen nach Deutschland Die Idee, Trinkgeld direkt über ein Display abzufragen, ist kein deutsches Phänomen. Ihren Ursprung hat sie in den USA . Schon in den frühen 2010er-Jahren hielten in amerikanischen Cafés, Bars und Restaurants tabletbasierte Kassensysteme Einzug, häufig auf iPads. Anbieter wie Square oder TouchBistro kombinierten Kartenzahlung und Kasse auf einem Bildschirm – inklusive gut sichtbarer Trinkgeldvorschläge per Fingertipp. Studien und Branchenberichte aus den USA zeigen, dass diese Art der Abfrage das Trinkgeld im Durchschnitt erhöht. In Deutschland tauchten die digitalen Trinkgeldoptionen erst vor einigen Jahren auf – vor allem während der Corona-Pandemie, als viele Verbraucher von Bargeld auf Kartenzahlungen umstellten. Zahlungsgewohnheiten haben sich geändert Die Integration von Trinkgeldoptionen in moderne Kartenterminals sei Ausdruck dieser Entwicklung, sagt Jürgen Benad, Geschäftsführer vom Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. "Immer mehr Menschen sind bargeldlos unterwegs und bezahlen mit Karte oder Smartphone", so Benad. Das erleichtere es Gästen, auch ohne Bargeld Trinkgeld zu geben, etwa über vordefinierte Auswahlmöglichkeiten. Während Trinkgeld in den USA allerdings Teil des Lohnsystems ist, trifft die digitale Abfrage hierzulande auf eine andere Kultur: weniger Pflichtgefühl, mehr Freiwilligkeit – und damit auch mehr Irritation, sobald ein Display scheinbar eine Erwartung formuliert. Die dunkle Seite des Touchscreen-Trinkgelds Für viele Gastronomiebetriebe ist der digitale Trinkgeld-Button schnell eingerichtet. Für Gäste fühlt sich der Bezahlmoment jedoch oft ganz anders an. Anstatt frei zu entscheiden, empfinden viele die Abfrage als irritierend oder sogar drängend – vor allem, wenn es scheinbar keinen Ausweg gibt, das Trinkgeld abzulehnen, weil der Button "Kein Trinkgeld" klein, unscheinbar oder erst auf den zweiten Blick zu finden ist. Kritik entzündet sich hauptsächlich an den voreingestellten Prozenten. Manche Kartenterminals zeigen 10, 15 oder 20 Prozent an – Werte, die über der in Deutschland üblichen Trinkgeldpraxis liegen. Traditionell wird hier aufgerundet oder ein Betrag nach Gefühl gegeben, meist im Bereich von fünf bis zehn Prozent. Internationale Analysen zeigen, dass genau diese Gestaltung manipulativ wirkt: Hohe Voreinstellungen und auffällige Buttons lenken die Entscheidungen der Gäste, ohne sie offen vorzuschreiben. Dieses sogenannte Nudging (zu Deutsch: Anstupsen) führt dazu, dass Menschen mehr Trinkgeld zahlen, als sie es ohne digitale Aufforderung getan hätten. Gewerkschaft bei digitalen Auswahloptionen ebenfalls skeptisch Nicht nur die Kunden, auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sieht die digitale Aufforderung zur Trinkgeldabgabe skeptisch. Durch den digitalen Prozess sei den Gästen nicht immer klar, was mit der Trinkgeldzahlung passiere und ob diese tatsächlich auch bei den Beschäftigten ankomme, teilte NGG-Referatsleiter Mark Baumeister auf dpa-Anfrage mit. Das könne dazu führen, dass Kunden eher negativ auf die Auswahlmöglichkeiten reagierten und gar kein Trinkgeld gäben. Zudem warnt Baumeister vor einer weiteren Entwicklung: "Immer öfter schildern Beschäftigte, dass ihr Arbeitgeber mit Verweis auf Trinkgeld höhere (tarifliche) Löhne vorenthält." Die digitale Auswahlmöglichkeit habe also Einfluss auf die eigentliche Bezahlung der Bedienungen. Vor allem in der Systemgastronomie, also etwa bei den großen Fast-Food-Ketten, sei die Zahlung von Trinkgeld unüblich. "Grundsätzlich widerspricht so eine Zahlungsmethode der gelebten deutschen Praxis, als Dank für eine Dienstleistung Trinkgeld in bar zu geben oder aufzurunden", hieß es von der NGG weiter. 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