Der Amerikaner Cyrus Nemati hat in Deutschland eines der wohl verrücktesten Spiele überhaupt entwickelt. Im Interview mit t-online spricht der Wahldeutsche über "Vampire Therapist", das kürzlich den Deutschen Computerspielpreis für die "Beste Story" gewann. Ein über 200 Jahre alter Cowboy-Vampir therapiert andere Vampire – und zwar direkt über einem Fetisch-Nachtclub in Leipzig . Was wie der Fiebertraum eines Drehbuchautors klingt, ist tatsächlich ein preisgekröntes Computerspiel. "Vampire Therapist" von Little Bat Games gewann beim Deutschen Computerspielpreis 2025 die Auszeichnung für die "Beste Story" und 40.000 Euro Preisgeld. Entwickelt hat dieses ungewöhnliche Erzählspiel der Amerikaner Cyrus Nemati, der seit einigen Jahren in Deutschland lebt. Das Besondere: Sein Spiel vermittelt echte Konzepte aus der kognitiven Verhaltenstherapie, während Spieler den jahrhundertealten Vampiren bei ihren psychischen Problemen helfen. t-online sprach mit dem 43-Jährigen über seine verrückte Spielidee, die Herausforderungen als Solo-Entwickler und seine Faszination für Leipzig. t-online: Herr Nemati, wie kommt man dazu, sich eine so absurde Geschichte mit Vampiren, einem Cowboy und Psychoanalyse auszudenken? Cyrus Nemati: (lacht) Zum Glück reichte schon das Leben hier als Inspiration. Die Idee entstand vor drei Jahren bei einem Gespräch mit Kollegen. Wir sprachen über Vampire, weil sie zyklisch alle zehn Jahre wieder populär werden. Dann dachte ich an diese Szene aus "Twilight", wo Edward Cullen Klavier spielt – angeblich perfekt, weil er 200 Jahre Übung hatte. Aber als Pianist dachte ich: Das ist schlechte Fahrstuhlmusik. Doch warum sollte er gut sein, nur weil er alt ist? Das brachte mich auf eine Idee: Vampire könnten sich unter Druck setzen, Krebs zu heilen oder zum Mars zu fliegen, nur weil sie unsterblich sind. Um zu viel Druck und andere systematische Denkfehler geht es auch in dem Spiel, denn "Vampire Therapist" vermittelt echte Therapie-Konzepte. Wie viel Forschung steckt dahinter? Das war ein intensiv recherchiertes Spiel. Ich habe eine kleine Bibliothek nur dafür aufgebaut. Ziel war nicht, Leute zu qualifizierten Therapeuten zu machen, sondern um Bewusstsein zu schaffen. Ich habe selbst viel Therapie gemacht und kenne diese Begriffe – aber man vergisst sie schnell wieder. Durch das aktive Anwenden der kognitiven Verzerrungen im Spiel werden sie verinnerlicht. Die Spieler lernen, diese Denkmuster bei sich selbst zu erkennen. Versuchen Sie, den Spieler zu befähigen, sich selbst zu helfen? Es geht eher um die Wahrnehmung. Am Ende des Spiels sind Sie kein qualifizierter Therapeut, aber Sie haben ein Bewusstsein entwickelt. In der Therapie hört man diese Begriffe wie "Sollte-Sätze" oder "das Positive disqualifizieren" – aber nach der Sitzung ist es wieder weg. Durch das Anwenden im Spiel wird es verinnerlicht und die Leute erinnern sich daran. Es ist ein guter erster Schritt, um zu erkennen, wo wir verzerrte Gedanken haben. Seien Sie ehrlich: Sind Sie selbst auch ein Vampir? (lacht) Ich würde den Druck zumindest noch viel mehr spüren – ich mache das jetzt schon ständig. Ich bin 43 und erst vor einem Jahrzehnt in die Spielebranche eingestiegen. Ich wollte schon immer Synchronsprecher werden, also hatte ich das Gefühl, spät dran zu sein. Ich stelle mir den Druck vor, den ich hätte, wenn ich ewig leben würde – das wäre noch viel schlimmer. Sie leben in Berlin . Warum haben Sie Leipzig als Setting gewählt? Berlin fand ich zu modern für einen Vampir. Leipzig ist älter und hat diese faszinierende Mischung aus Architektur – es gibt ein Gebäude, das aussieht wie Barad-dûr, der Dunkle Turm aus "Herr der Ringe", aber innen befindet sich gotische Architektur. Außerdem ist es eine richtige Gothic-Stadt. Das Spiel spielt über einem Goth-Club, weil Goths freiwillig ihr Blut an Vampire geben würden. Leipzig war am Ende die perfekte Wahl. Haben Sie die Leipziger Goth-Szene für die Recherche zum Spiel erkundet? Ja. Ich bin mehrmals dort hingefahren, habe Fotos der Architektur gemacht und mir sogar ein Goth-Kostüm gekauft, um in den Ganzjahres-Goth-Club zu gehen. Leider war ich am falschen Tag da, der Club war wegen einer privaten Veranstaltung geschlossen. Ich bin selbst kein Goth, aber ich wollte die Atmosphäre richtig einfangen – und irgendwann werde ich das sicher nachholen. Warum haben Sie sich dazu entschieden, größtenteils allein zu entwickeln? Ein Spiel wie dieses braucht viel Glauben und Durchhaltewillen. Ein größeres Team kostet Geld, das ich nicht hatte. Ich wurde vom Medienboard Brandenburg gefördert, aber für mehr als eine Handvoll Mitarbeiter hatte ich kein Geld. Mir ist es aber wichtig, dass sich jeder Einzelne von ihnen einbringt und das Spiel mitgestaltet. Bei größeren Studios haben die Mitarbeiter oft keine Möglichkeit, sich künstlerisch sinnvoll einzubringen, das hat mich krank gemacht. Welche sind die größten Herausforderungen als Solo-Entwickler? Ich arbeite nicht gerne allein. Mein Büro ist eigentlich eine schalldichte Kabine für die Sprachaufnahmen – klein, klaustrophobisch und im Sommer viel zu heiß. Mir fehlt es, einfach den Kopf zu drehen und zu fragen: "Hey, was denkst du über diesen Witz?" Außerdem ist Zeitmanagement schwierig, wenn man nur sich selbst gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Wie sieht Ihr durchschnittlicher Arbeitstag aus? Ich stehe um zehn oder elf auf. Zuerst gehe ich in ein Café für den Papierkram – die kennen mich alle dort, ich habe sogar einen als Künstler angestellt. Dann gehe ich nach Hause für technische Arbeit oder Programmierung. Wenn ich schreibe, bleibe ich im Café, weil ich nicht gerne zu Hause schreibe. Abends mache ich meist Implementierungsarbeit – heute nehme ich Sprachaufnahmen auf. Haben Sie irgendwann einen Moment erreicht, an dem Sie alles einfach hinschmeißen wollten? Nein, so schlimm war es nie. Ein paar Wochen vor der Veröffentlichung des Spiels hatte ich den überwältigenden Drang, an einem völlig anderen Spiel zu arbeiten. Ich wollte nicht aufhören, sondern einfach etwas Simpleres machen, das nicht so viel Gewicht hat. Die Mühe hat sich gelohnt, "Vampire Therapist" wurde beim Deutschen Computerspielpreis für die "Beste Story" ausgezeichnet. Wie sehr freut Sie das? Das ist unglaublich. Die Anerkennung der deutschen Spielindustrie – sowohl beim DCP als auch beim DEP (Deutscher Entwicklerpreis, Anm. d. Red.) – ist eine enorme Ehre und gibt mir das Gefühl, ein willkommener Einwanderer zu sein. Die Reaktionen der Spieler waren ja schon überwältigend – sie sehen sich selbst im Spiel und lernen tatsächlich etwas über sich. Obwohl man im Spiel nicht verlieren kann – es wäre schlecht, Patienten scheitern zu lassen –, ist es trotzdem eine Herausforderung. Dieses Erfolgserlebnis fühlt sich für die Spieler richtig gut an. Der Preis bestätigt, dass unser Ansatz funktioniert. Wofür verwenden Sie das Preisgeld von 40.000 Euro? Wir wollen unsere Animationsmöglichkeiten verbessern. "Vampire Therapist" hat eine hohe visuelle Qualität, ist aber etwas statisch. Im nächsten Spiel wollen wir die Dinge viel lebendiger machen. Sie haben große Pläne und neue Ideen für die Zukunft. Wie viel hing vom Erfolg dieses Spiels ab? Alles. Ich bin ein kleines Studio, habe ein Jahr lang kein Geld verdient und alles auf diese eine Karte gesetzt. Aber basierend auf den Reaktionen habe ich Vertrauen, dass es funktioniert. Es ist brutal, in so einer Branche zu arbeiten, in der monatlich über 1.000 Spiele auf der Plattform Steam veröffentlicht werden. Und die Empfehlungen, die den Spielern angezeigt werden, werden von Unternehmen dominiert, die Ressourcen haben, um die Algorithmus-Welle zu reiten. Little Bat Games wird nicht versuchen, mit Firmen zu konkurrieren, die viel Content produzieren. Wir setzen darauf, langsam ein Publikum aufzubauen und es zu behalten. Für "Vampire Therapist" gibt es bereits eine Erweiterung namens "Couples Therapy". Was kommt als Nächstes – wieder ein Vampirspiel? Ich kann nicht viel über das nächste Spiel verraten, aber es spielt in derselben Welt wie "Vampire Therapist" – und auch mit wiederkehrenden Charakteren. Wir arbeiten mit Top-Historikern von Oxford, Cambridge und anderen Universitäten zusammen und tauchen tief in eine bestimmte Geschichtsepoche ein. Thematisch geht es aber um die ungerechte Verteilung von Vermögen, die heutzutage vorherrscht. Ich bin kein großer Vampir-Fan. Ich bin weniger von den Kreaturen fasziniert als von ihrer Geschichte und warum sie in so vielen Kulturen auftauchen. Ich kenne mich gut genug aus, um mich über Vampire lustig zu machen – das reichte für das Spiel. Herr Nemati, vielen Dank für das Gespräch.