Wirtschaftsweise warnen: Regierung verspielt Wachstumschancen

latest news headlines 3 std vor
Flipboard
Die deutsche Wirtschaft wächst wieder leicht. Trotzdem stellen die Wirtschaftsweisen der Bundesregierung nur ein gemischtes Zeugnis aus. Nach zwei Jahren Rezession zeigt die deutsche Wirtschaft erstmals wieder leichtes Wachstum. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte 2025 um 0,2 Prozent steigen, im kommenden Jahr rechnet der Sachverständigenrat Wirtschaft mit einem Plus von 0,9 Prozent. Das geht aus dem Jahresgutachten 2025/26 hervor, das die sogenannten Wirtschaftsweisen am Mittwoch in Berlin vorgestellt haben. Die Ökonominnen und Ökonomen sehen damit erste Anzeichen einer Stabilisierung – zugleich aber strukturelle Schwächen, die das Wachstum weiter bremsen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung besteht aus fünf unabhängigen Expertinnen und Experten. Das Gremium berät die Bundesregierung in wirtschaftspolitischen Fragen und legt jährlich ein Gutachten vor, das Konjunktur, Finanzpolitik und Reformbedarf bewertet. Seine Einschätzungen gelten als wichtiger Kompass für die politische und wirtschaftliche Debatte. Tausende Arbeitsplätze in Gefahr : Deutsche Traditionsbranche in der Krise Schuldenexplosion und Renten-Schock : Ein Deutscher überbringt die Hiobsbotschaft Dem Rat gehören Monika Schnitzer (Vorsitzende), Veronika Grimm , Ulrike Malmendier, Achim Truger und Martin Werding an. Sie werden auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten für fünf Jahre ernannt. Kritik am Sondervermögen In ihrem neuen Gutachten warnen die Wirtschaftsweisen vor einem falschen Umgang mit dem Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK). Ratsvorsitzende Monika Schnitzer erklärt: "Die Chancen, die sich aus dem Sondervermögen ergeben, dürfen nicht verspielt werden". Das milliardenschwere Programm solle eigentlich zusätzliche Investitionen in Zukunftsbereiche ermöglichen – tatsächlich ersetze es aber vielfach bestehende Ausgaben im Bundeshaushalt. "Weniger als die Hälfte der Mittel fließt in tatsächlich zusätzliche Investitionen", heißt es im Bericht. Nur rund 98 Milliarden Euro bis 2030 seien nach Einschätzung des Rats als zusätzliche Ausgaben zu bewerten. Damit bleibe der positive Effekt auf das Wachstum begrenzt. Der Rat fordert, die Vorgaben zur sogenannten Zusätzlichkeit gesetzlich zu verankern und die Kontrolle der Mittelverwendung zu verbessern. Zudem dürfe das Sondervermögen nicht für konsumtive Ausgaben genutzt werden, etwa für die Ausweitung der Mütterrente oder höhere Pendlerpauschalen. Wirtschaft und Sicherheit Die Wirtschaftsweisen verknüpfen ihre Analyse auch mit sicherheitspolitischen Fragen. Angesichts "einer sich ändernden Weltordnung und wachsender Zweifel an der Verlässlichkeit der Sicherheitsgarantien der USA" stehe Europa vor der Aufgabe, seine ökonomische und militärische Resilienz zu stärken. Das deutsche Exportmodell sei unter Druck geraten, die Reaktionen der Bundesregierung seien zwar richtig, aber "stark verbesserungsbedürftig". Der Rat fordert daher eine engere Verzahnung von Wirtschafts- und Verteidigungspolitik auf europäischer Ebene. "Bei der Verteidigungsfähigkeit kann ein gemeinsames europäisches Vorgehen einen deutlichen Mehrwert schaffen", heißt es im Gutachten. Wenn die Zusammenarbeit effizient gestaltet werde, sei sie einzelstaatlichem Handeln klar überlegen. Durch gemeinsame Beschaffung und koordinierte Produktionsstrukturen könnten Abhängigkeiten verringert und die Wettbewerbsfähigkeit Europas erhöht werden. Besorgt zeigen sich die Gutachter zudem über die anhaltenden Abhängigkeiten Europas von Energie-, Rohstoff- und Verteidigungsimporten. Diese gefährdeten sowohl die Preisstabilität als auch die wirtschaftliche Sicherheit. Reformbedarf bei Steuern und in Europa Auch in der Steuerpolitik sehen die Wirtschaftsweisen Nachholbedarf. Die jüngst beschlossene Senkung der Unternehmenssteuern werde zwar Investitionen leicht anregen, reiche aber nicht aus, um die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu stärken. Modellrechnungen des Rats zeigen: Eine neutralere Steuerpolitik würde das Bruttoinlandsprodukt langfristig um rund 1,3 Prozent und die Investitionen um 2,4 Prozent erhöhen. In der europäischen Wirtschaftspolitik drängt der Rat auf eine stärkere Integration des Binnenmarkts. Noch immer behinderten Handelsbarrieren und nationale Vorschriften den grenzüberschreitenden Wettbewerb. Eine tiefere wirtschaftliche Zusammenarbeit könnte laut Gutachten die Produktivität deutlich erhöhen. Vorgeschlagen wird unter anderem ein einheitliches "28. Regime" im Unternehmensrecht, das grenzüberschreitende Gründungen erleichtert. Ungleichheit und Vermögen Auch die ungleiche Vermögensverteilung ist ein Thema. Der Rat empfiehlt ein staatlich gefördertes Vorsorgedepot , das vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen beim Vermögensaufbau unterstützen soll. Zudem plädieren die Wirtschaftsweisen für eine Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer : Betriebsvermögen sollten weniger stark begünstigt werden, um die Besteuerung stärker am Leistungsfähigkeitsprinzip auszurichten. Am Ende zieht der Rat ein klares Fazit: Die deutsche Wirtschaft habe die Talsohle durchschritten, doch die Erholung sei fragil. Ohne gezielte Investitionen, eine verlässliche Finanzpolitik und eine stärkere europäische Zusammenarbeit drohe der Aufschwung zu versanden.
Aus der Quelle lesen