Achtung und Anteilnahme schlagen dem Unternehmer Wolfgang Grupp entgegen, weil er freimütig über seinen Selbstmordversuch schreibt. Aber warum ist es eigentlich so schwer, dem Leben nach dem Job Sinn abzugewinnen? Seien Sie skeptisch, wenn Ihnen ein Freund oder ein Bekannter fast schwärmerisch davon erzählt, was er alles machen wird, wenn er erst einmal in Rente ist – dank dieser neu gewonnenen Freiheit, dieser Selbstbestimmung. Kann man sich vornehmen, ist aber höchstens die halbe Wahrheit, wie sich im Alltag alsbald herausstellt. Es sind fast immer gemischte Gefühle, die Menschen am Ende ihres Berufslebens durchströmen. Was soll ich jetzt tun? Wie viele gute Jahre habe ich eigentlich noch? Und wie fülle ich die Lücke, wenn ich nicht mehr wie gewohnt morgens um 7 Uhr aufstehe, frühstücke, das Auto aus der Garage hole oder Bus oder S-Bahn besteige und dann wie jeden Tag mein Büro betrete? Die Altersdepression der Trigema-Legende Es ist dieses nagende Gefühl der Endlichkeit, das sich im Leben nach dem Beruf zwangsläufig ausbreitet und ausgehalten sein will. Natürlich wissen wir ein Leben lang, dass am Ende der Tod auf uns wartet. Aber mit 65, 68 oder gar 83 dringt die Tatsache der Sterblichkeit mit ganz anderer Wucht in unser Gemüt ein und kann allerlei auslösen – Unruhe und Schlaflosigkeit, Melancholie und womöglich auch Depression. Von diesen Gefühlsstürmen hat Wolfgang Grupp im Brief an seine Angestellten geschrieben. Zum Eingeständnis der Verzweiflung, in der er Hand an sich legte, gehört viel Mut. Niemand hätte ihm Schweigen über die Tatsache und die Beweggründe für den Selbstmordversuch verdenken können. Aber der Patriarch, der er immer war, fühlte sich wohl dazu aufgerufen, der Öffentlichkeit zu erklären, was ihn in die Ausweglosigkeit getrieben hatte. In der Reaktion auf den Freimut, auch im Netz, mischen sich Achtung und Anteilnahme für Wolfgang Grupp. In einem Land, das antikapitalistische Neigungen hat, ist das aller Ehren wert. Die Nachricht : Wolfgang Grupp versuchte, sich das Leben zu nehmen Der letzte Patriarch : Trigema-Legende Wolfgang Grupp im Porträt Trigema-Chef : So sorgte Wolfgang Grupp für seine Erben vor Denn Grupp ist ja nicht irgendwer, sondern ein süddeutscher Vorzeige-Unternehmer mit hohem Bekanntheitsgrad. Er war Mr. Trigema, er war der Mann in der Werbung im Dialog mit dem (animierten) Affen kurz vor der "Tagesschau". Makellos gewandet, die Krawatte als Statement, erzählte er in Talkshows stolz, dass seine Firma in Deutschland, und nicht etwa in Asien, Ware fertigen lässt. Wer den Inbegriff eines deutschen Mittelständlers sucht, der das Soziale an der Marktwirtschaft verkörpert, wurde bei Wolfgang Grupp fündig. Vor zwei Jahren übergab der Patriarch die Firma an Sohn und Tochter. Da war er 81 und wahrscheinlich dazu entschlossen, endlich loszulassen, zurückzutreten, den Kindern nicht reinzureden. Aber die Generation, der Grupp angehört, im Krieg geboren, definiert sich noch fast ausschließlich durch das Tun, nicht durch das Sein. Ihr fällt es vermutlich besonders schwer, einen Sinn im späten Leben zu finden. Allem haftet dieses merkwürdige Gefühl an Die großen Fragen, die sich im Alter stellen, sind für alle gleich. Es ist egal, ob man Unternehmer oder Journalist, Handwerker oder Buchhalter war oder auch Millionen-Erbe. Niemand nimmt uns die Antworten ab. Wir müssen sie selbst in uns finden. Gerhard Spörl: Alle Kolumnen finden Sie hier Auf unser Gemüt kommt es an – überwiegt die Angst oder die Zuversicht? Von der verbliebenen Kraft hängt einiges ab – was traue ich mir noch zu, was geht nicht mehr? Allem, was wir tun, haftet dieses merkwürdige "noch einmal" an – noch einmal im Mittelmeer segeln, noch einmal von Hütte zu Hütte hoch oben in den Bergen wandern, noch einmal dies oder jenes. Es gibt ganze Bibliotheken mit Büchern, die das Glück des Alterns preisen. Vergessen Sie es. Ein Glück ist das späte Leben nur im Vergleich zur Alternative, dem Tod. Aus meinem kleinen Erfahrungskosmos kann ich Ihnen sagen, dass die einen weitermachen, solange es geht, und das ist nun mal eine Sache der Gesundheit. Die anderen brauchen länger dazu, den Schock über das Nicht-mehr-gebraucht-werden abzuschütteln, und manchen gelingt das gar nicht. Ein Trauerspiel, das zu Tränen rührt So erging es einem Freund, drei Jahre jünger als Wolfgang Grupp, also auch die Generation der Kriegskinder. Der Job war das eigentliche Leben. Das Leben danach aber war ohne Belang. Altersdepression stellte sich ein, gefolgt vom allmählichen körperlichen Verfall, schließlich Demenz . Ein Trauerspiel über wenige Jahre, das mich heute noch zu Tränen rührt. Ein hochbetagter Freund, 91, ist das Gegenbeispiel. Er fliegt noch immer kreuz und quer durch die Welt, kocht regelmäßig köstliche Drei-Gänge-Menüs für Freunde und führt unbarmherzig Tagebuch über die Gemeinheit des Alterns. Bewundernswert. Und ich? Ich gehöre auch zu denen, die weitermachen, solange es geht. Wie lange? Keine Ahnung. Schreiben macht mich glücklich. Also schreibe ich, zum Beispiel diese Kolumne und dazu Bücher. Zurück zu Wolfgang Grupp. Er scheint froh darüber zu sein, dass sein Lebenstrieb stärker war, als er dachte. Der Respekt, der ihm öffentlich gezollt wird, kann ihn vielleicht über Untiefen hinweg tragen und noch ein paar gute Jahre bescheren. Zu wünschen ist es ihm.