COP30: Was die UN-Klimakonferenz in Belém jetzt leisten muss

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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser, was waren das für Bilder, damals vor knapp zehn Jahren, als der französische Außenminister mit einem Hammerschlag das Pariser Klimaabkommen besiegelte: Minister und Regierungsbeamte aus 195 Nationen rissen jubelnd die Hände in die Luft, herzten und umarmten sich, manche hatten sogar Tränen in den Augen. "Vive la planète!", brach es vorn auf dem Podium aus Frankreichs damaligem Präsidenten François Hollande heraus – "es lebe der Planet!" Ja, der Planet lebt auch 2025 noch, doch sein Gesundheitszustand lässt sich nicht schönreden: Er ist trotz des historischen Weltklimavertrags von Paris weiterhin schwer krank. Ein Arzt würde der Erde vermutlich eine Mischung aus chronischer Erschöpfung und akuten Entzündungen diagnostizieren, mit Symptomen wie Fieber (Erderwärmung), zu hohem Blutdruck (Überschreiten von Grenzen, etwa bei der Abholzung) und Organschäden (Artensterben, Umweltverschmutzung). Die verordnete Therapie, eine veränderte Lebensweise, hat der Patient jedoch nicht bekommen, weil sich seine acht Milliarden Pflegekräfte nicht ausreichend an die Vorgaben gehalten haben. Wenn heute im brasilianischen Belém, mitten im Amazonasgebiet, die 30. UN-Klimakonferenz beginnt, werden Regierungsvertreter und Wissenschaftler dieser Realität ins Auge sehen müssen. Das "Rettungsseil", wie der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Pariser Klimaabkommen nannte, hat die Weltgemeinschaft nicht ergriffen. Das vereinbarte Ziel, die Erderwärmung langfristig auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird laut aktueller UN-Prognose schon innerhalb der 2030er-Jahre gerissen , bis 2100 steuert die Welt auf ein Plus von 2,8 Grad zu, wenn die Klimapolitik so halbherzig bleibt wie jetzt. Während Gletscher schmelzen, Waldbrände und Hurrikane wüten und ganze Ökosysteme zu kippen drohen, reichen viele Regierungen ihre nationalen Klimapläne nicht einmal fristgerecht ein. Andere wie die USA unter "Klimaleugner" Donald Trump wollen sich gleich ganz vom Pariser Abkommen verabschieden. Statt gegenseitiger Motivation herrscht das Prinzip Ausrede: Wenn die anderen nichts tun, tun wir eben auch nichts. Oder in den Worten von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU): "Es nützt überhaupt nichts, wenn wir allein in Deutschland klimaneutral werden. Selbst wenn wir es am heutigen Tag wären, würde sich morgen auf der Welt nichts ändern." Dass solche Sätze hauptsächlich Klimaschützer empören, aber nicht die breite Masse, liegt daran, dass sich die Prioritäten verschoben haben. In Deutschland und der EU hält laut einer Eurobarometer-Umfrage nur noch etwa jeder Zehnte Klima und Umwelt für die beiden drängendsten Probleme, 2019 war es noch jeder Fünfte. In den meisten Ländern bestimmen Inflation, Wirtschaftskrise, Migration und Kriege die politische Agenda. Rechte Parteien in ganz Europa nutzen die Angst vor Wohlstandsverlust, um die Klimapolitik als Elitenprojekt zu diskreditieren. Hinzu kommen mächtige Lobbyorganisationen der Öl- und Gasindustrie, die die Energiewende ausbremsen wollen. So setzt sich eine gefährliche Gleichgültigkeit, wenn nicht gar Ablehnung, in den Köpfen fest, die unambitionierte Klimaschutzmaßnahmen begünstigt. Es ist ja richtig: Klimaschutz darf nicht überfordern. Maßnahmen wie steigende CO2-Preise oder Modernisierungspflichten müssen sozialpolitisch flankiert werden. Und nicht nur das: Sie müssen auch politisch besser vermittelt werden. Bestes Beispiel, wie man es nicht macht, war das Habeck'sche Heizungsgesetz. Eigentlich mit umfassenden finanziellen Hilfen und Übergangsfristen ausgestattet, kam es bei den Bürgern als übergriffige Zumutung an. Dabei wäre es für die meisten Haushalte rein rational sogar von Vorteil gewesen, auf Wärmepumpen umzurüsten. Nur handeln Menschen eben nicht wie Rechenmaschinen. Sie müssen motiviert werden, aus ihren Gewohnheiten auszubrechen. Sie brauchen jemanden, der ihnen das Vertrauen gibt, dass das, was sie kurzfristig als Einschnitt erleben, ihr Leben auf Dauer verbessert. Diesen Willen zur Motivation sucht man an der Spitze der Bundesregierung bisher vergebens. Kanzler Merz müsste sich erst mal selbst motivieren, Klimaschutz für wichtig zu halten. Statt eine "Da kann man leider nichts machen"-Mentalität an den Tag zu legen, könnte er das jüngste, immerhin halbwegs ehrgeizige Klimaziel der EU, die Treibhausgasemissionen bis 2040 um mindestens 90 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, mit Stolz vor sich hertragen. Die Bundesregierung könnte als Vertreter der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt vorangehen, statt sich kleiner zu machen, als sie ist, und zeigen, dass ökologischer Umbau und ökonomischer Erfolg kein Widerspruch sein müssen. Wie es gehen kann, zeigt gerade die zweitstärkste Volkswirtschaft der Welt: China hat die Klimatransformation längst als Marktchance erkannt und investiert stark in erneuerbare Energien, Elektromobilität, Batteriespeicher und Wasserstofftechnologien. Zwar ist das Land noch immer der mit Abstand größte CO2-Emittent der Welt, doch der Ausstoß dürfte bereits in den kommenden Jahren anfangen zu sinken. Es bewegt sich also durchaus etwas in der Welt, das sollte bei aller berechtigten Sorge nicht vergessen werden. Sicher, niemand tut genug, aber hätte es das Pariser Klimaabkommen gar nicht gegeben, müsste der Planet noch früher auf die Intensivstation verlegt werden. Vor dem Weltklimavertrag lautete die Prognose nämlich noch 4 bis 5 Grad Erderwärmung – statt der aktuellen 2,8 Grad. Und würden alle ihre bereits gemachten Versprechen halten, käme man immerhin noch bei 1,8 Grad raus. Das Beste, was die Klimakonferenz in Belém hervorbringen könnte, ist daher nicht in erster Linie ein weiteres Maßnahmenpaket, sondern eine neue Dynamik. Eine gemeinsame Zuversicht, das Ruder noch ein Stück weiter herumreißen zu können – selbst wenn sich wichtige Steuermänner wie die USA vorerst entziehen. Der politische Wind kann sich auch dort wieder drehen. Bis dahin sollte der Rest der Nationen versuchen, frische Kraft aus dem zu ziehen, was man schon verhindern konnte. Niemand erwartet neue historische Beschlüsse und Jubelorgien wie damals in Paris, aber zumindest etwas mehr Ehrgeiz und Entschlossenheit wären schön. Kreative Ideen wie die von Gastgeber Brasilien für einen Tropenwald-Fonds, der die Abholzung der Regenwälder bremsen soll, sind ein guter Anfang. Und sie zeigen: Noch hat man nicht aufgegeben. Dringliche Mahnung Kein Datum ist für die deutsche Geschichte so bedeutend wie der 9. November: Die erste deutsche Republik wurde an diesem Tag im Jahr 1918 ausgerufen. Fünf Jahre später versuchte Adolf Hitler zum ersten Mal, politische Macht zu erlangen. Am 9. November 1938 riefen die Nationalsozialisten dazu auf, jüdische Geschäfte und Synagogen zu zerstören. Mit der Reichspogromnacht erreichte die Judenverfolgung eine neue Dimension. Der 9. November ist aber auch der Tag des Mauerfalls 1989, der den Weg zur deutschen Einheit ebnete. Anlässlich dieses geschichtsträchtigen Datums hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gestern alle demokratischen Kräfte zur Verantwortung im Umgang mit dem Rechtsextremismus aufgerufen – auch jene links der Mitte. Wer jede unbequeme Äußerung pauschal als rechtsextrem diffamiere, rüttle selbst an der Brandmauer gegen rechts, warnte Steinmeier im Schloss Bellevue. Es sei gefährlich, wenn Themen wie Migration und Sicherheit nicht besprochen werden könnten, weil sofort ein Rassismusvorwurf im Raume stehe. Ohne die AfD namentlich zu nennen, machte der Bundespräsident deutlich, dass sich verfassungsfeindliche Parteien nicht sicher fühlen dürften. Ein Parteiverbot sei zwar die "Ultima Ratio", bleibe aber ein legitimes Instrument der wehrhaften Demokratie. Steinmeier rief die Parteien der Mitte auf, eine eigene, überzeugende Erzählung zu finden. "Der waghalsige Versuch jedenfalls, Antidemokraten zu zähmen, indem man ihnen Macht gewährt, er ist nicht nur in Weimar gescheitert", warnte der Bundespräsident. Zugleich zeichnete er ein düsteres Bild der aktuellen Lage: Demokratie und Freiheit seien so bedroht wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr – von außen durch Russland, von innen durch erstarkende rechtsextreme Kräfte. Dennoch schloss Steinmeier mit einem Appell zur Zuversicht: "Wir müssen handeln. Wir können handeln. Demokratie kann sich wehren." Was bringt der Tag? Prozessbeginn in Magdeburg: Vor dem Landgericht beginnt heute das Verfahren gegen den Attentäter vom Magdeburger Weihnachtsmarkt. Taleb al-Abdulmohsen soll am 20. Dezember 2024 mit einem Auto in die Menschenmenge gerast sein – sechs Menschen starben, mehr als 300 wurden verletzt oder traumatisiert. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Mord in 338 Fällen vor. Weitere Verhandlungstage sind bis März angesetzt. Einem Bericht des "Stern" zufolge könnte al-Abdulmohsen aussagen. Vorbereitung auf den nächsten Supertaifun: Gerade erst hat der Taifun "Kalmaegi" auf den Philippinen Hunderte Menschen in den Tod gerissen, nun zieht ein neuer und noch stärkerer Wirbelsturm auf den Inselstaat zu. Erwartet wurde, dass der Sturm spätestens am frühen Montagmorgen (Ortszeit) auf Land trifft. Die Behörden riefen mehr als 1,1 Millionen Menschen auf, ihre Häuser zu verlassen. Treffen im Weißen Haus: US-Präsident Donald Trump empfängt Syriens Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa . Bei dem Besuch soll al-Scharaa laut Medienberichten eine Erklärung unterzeichnen, mit der Syrien der US-geführten Koalition im Kampf gegen die Terrormiliz IS beitritt. Das historische Bild 1918 setzt sich Kaiser Wilhelm II. eiligst in die Niederlande ab. Mehr zu unserem historischen Bild lesen Sie hier. Lesetipps Der Austragungsort der Klimakonferenz im Amazonasgebiet soll die Dringlichkeit des Klimaschutzes unterstreichen. Doch damit droht der Gipfel selbst zum Klimaskandal zu werden, schreibt meine Kollegin Ellen Ivits. Das Trio Starmer, Macron und Merz ist daheim restlos unbeliebt. Ihre Verdienste in der internationalen Arena nützen ihnen nichts. Unser Kolumnist Gerhard Spörl fragt sich: warum eigentlich? Herzkrankheiten entstehen oft schleichend und bleiben lange unbemerkt. Welche Warnsignale viele Menschen übersehen, erklärt meine Kollegin Melanie Rannow. Der "Herbst der Reformen" soll Deutschland modernisieren. Welche Fortschritte Union und SPD machen und wo es noch hakt, habe ich Ihnen in einem Überblick zu Rente, Bürgergeld und Steuern zusammengefasst. Zum Schluss Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Start in die Woche! Morgen schreibt wieder Florian Harms für Sie. Herzliche Grüße Christine Holthoff Finanzredakteurin E-Mail: [email protected] Gefällt Ihnen der Tagesanbruch? Dann leiten Sie diesen Newsletter an Ihre Freunde weiter. Haben Sie diesen Newsletter von einem Freund erhalten? Hier können Sie ihn kostenlos abonnieren. Alle bisherigen Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier . Alle Nachrichten von t-online lesen Sie hier . Mit Material von dpa.
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