Vor zweieinhalb Jahren liefen die Corona-Schutzmaßnahmen aus. Waren sie gerechtfertigt oder übertrieben? Das sagt ein Experte. Der Bundestag startet erstmals die umfassende Aufarbeitung der Corona-Pandemie. Die Kommission soll ohne Schuldzuweisungen mögliche Fehler analysieren. Neben 14 Abgeordneten sollen der Kommission 14 Sachverständige angehören. Die Union schickt fünf Abgeordnete, AfD und SPD schicken je drei, die Grünen zwei, die Linke stellt einen Abgeordneten. Bei den Experten soll auf eine Beteiligung der Länder und Kommunen und eine ausgewogene Vertretung von Wissenschaftsdisziplinen und Gesellschaftsbereichen geachtet werden. Das Parlament hatte die Einsetzung vor der Sommerpause mit breiter Mehrheit beschlossen. Das Gremium mit Abgeordneten und Experten soll Mitte 2027 einen Bericht vorlegen. Kann eine sachliche Analyse gelingen? t-online fragte den Virologen Jonas Schmidt-Chanasit nach seiner Einschätzung. Herr Schmidt-Chanasit, was versprechen Sie sich von dieser Kommission? Jonas Schmidt-Chanasit: Die Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die Strukturen für künftige Krisen zu verbessern. Es geht darum, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft in ein besseres Verhältnis zu bringen, damit in einer nächsten Pandemie nicht wieder ad hoc improvisiert wird, sondern auf vorhandene Pläne, evidenzbasierte Expertise und transparente Entscheidungsprozesse zurückgegriffen werden kann. In der Kommission sitzt kein Virologe. Wie ist das zu deuten oder wie verstehen Sie das? Fast alle Virologen waren während der Pandemie Berater der Regierungen und damit direkt in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Sie sind somit nicht nur Beobachter, sondern Akteure gewesen. Für eine unabhängige Aufarbeitung wäre das problematisch, weil Interessenkonflikte bestehen können. Die Aufgabe der Kommission ist es, die politischen, gesellschaftlichen und institutionellen Mechanismen aufzuarbeiten. Dafür braucht es vor allem Distanz und interdisziplinäre Perspektiven. Aus Ihrer Sicht: Welche Konsequenzen muss die Politik fürchten? Die Politik muss sich darauf einstellen, dass Versäumnisse klar benannt werden, wie etwa die Nichtbeachtung vorhandener Pandemiepläne, intransparente Entscheidungswege oder eine fehlgeleitete Kommunikation, zum Beispiel über Impfstoffe. Konsequenz muss sein, dass verbindliche Strukturen geschaffen werden, die künftige Regierungen binden: unabhängige wissenschaftliche Beratungsgremien, transparente Abwägungsprozesse und eine klare Gewaltenteilung auch in Krisenzeiten. Was war der größte Fehler in dieser Zeit? Es gab mehrere gravierende Fehler, aber am folgenreichsten war wohl die fehlerhafte Risikobewertung: Trotz früh vorliegender Daten zur Altersabhängigkeit des Sterberisikos wurden alle Bevölkerungsgruppen über einen Kamm geschoren. Das führte zu pauschalen Lockdowns, Schulschließungen und massiven Kollateralschäden, während der gezielte Schutz vulnerabler Gruppen vernachlässigt wurde. Herr Schmidt-Chanasit, wir danken Ihnen für Ihre Einschätzung.