Duisburg sucht neuen Umgang mit der Loveparade-Katastrophe

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Es begann als ausgelassenes Festival und endete in einer Tragödie: Vor 15 Jahren kam es bei der Loveparade in Duisburg zu einem tödlichen Gedränge. Nun tut sich etwas am Unglücksort von damals. Kerzen brennen, daneben stehen Bilder der vielen Toten, Autos brausen laut durch den Tunnel: Ein besinnlicher Ort ist die Gedenkstätte für die Opfer der Loveparade-Katastrophe in Duisburg nicht. Aber es ist der Ort, an dem das tödliche Gedränge seinen Lauf nahm. Genau hier wurden vor 15 Jahren am 24. Juli 2010 Hunderte Menschen verletzt, 21 Menschen starben in der Massenpanik. Alle waren junge Leute, die bei dem Techno-Festival ausgelassen feiern und tanzen wollten. Dieses Jahr markiert 15 Jahre nach der Katastrophe einen Wendepunkt im Erinnern. Bald sollen Bagger anrollen und auf dem Festivalgelände, das seit dem Unglück brachliegt, ein modernes Stadtquartier errichtet werden. Auch die traditionell gewordene Gedenkveranstaltung mit der Nacht der 1.000 Lichter wird es in der bisherigen Form zum letzten Mal geben. Die Opfer-Stiftung "Duisburg 24.7.2010" löst sich auf. All die Jahre hat sie den teils traumatisierten Opfern und Hinterbliebenen beigestanden, bei Behördengängen oder der Suche von Therapieplätzen unterstützt. Der Bedarf bei den Betroffenen sei zuletzt stark zurückgegangen, sagen die Verantwortlichen. Die Erinnerung wandelt sich 15 Jahre nach der Katastrophe 15 Jahre nach der Katastrophe wandelt sich die Erinnerung - und auch die Trauer. "Wenn man Kinder verliert, wird man nie darüber hinwegkommen", sagt Jürgen Widera, der als Ombudsmann und im Vorstand der Stiftung jahrelang für die Interessen der Opfer und ihrer Familien gekämpft hat. Aber nach 15 Jahren habe sich die Trauer gewandelt. Das sei auch gut und wichtig so. "Es ist gefährlich, wenn Trauer sich nicht nach einer gewissen Zeit weiterentwickelt, sondern man in ihr stecken bleibt", sagt der Theologe. Eine Mutter habe neulich ganz bewusst wieder etwas Buntes zum Anziehen gekauft. Fast 15 Jahre lang hatte sie nur schwarze und weiße Kleidung getragen - aber Trauerbewältigung dürfe auch wieder zu einer Lebensbejahung führen. Zum 15. Jahrestag erwartet die Stiftung noch einmal viele der Angehörigen an der Unglücksstelle. Sie werden Kerzen anzünden, die Namen ihrer Kinder vorlesen und versuchen, sich gegenseitig Trost zu geben. Familien der Opfer reisen sogar aus Australien und China an. Gerade für sie sei es wichtig, wieder an dem Ort zu sein, an dem das Leben ihrer Kinder viel zu früh endete. Ein ausgelassenes Techno-Fest endet in der Katastrophe Es war eine ausgelassene riesige Party, die damals Hunderttausende junge Leute nach Duisburg zog. Sie tanzten und feierten ausgelassen zu wummernden Techno-Beats. Der eigentliche Unglücksort war eine breite Rampe, die gleichzeitig Ein- und Ausgang zum Festivalgelände war. Am Nachmittag wurde das Gedränge dort immer größer. Aus mehreren Richtungen strömten Besucher unkontrolliert auf die Rampe. Die Ermittler sprechen später davon, dass zwischen 16.30 Uhr und 17.15 Uhr mehr als 10.000 Menschen auf der Rampe und im Tunnel gewesen seien - das waren mindestens sieben Menschen pro Quadratmeter. In der Masse entstanden Wellenbewegungen, Panik brach aus, mehr als 500 Menschen erlitten Quetschungen und Brüche. Viele wurden traumatisiert. 21 junge Menschen im Alter von 17 bis 38 Jahren verloren ihr Leben. Vergebliche Suche nach den Verantwortlichen Das Geschehen haben Ermittler und Sachverständige minuziös nachgezeichnet. Doch eine Frage wird für immer unbeantwortet bleiben: Wer trägt die Schuld für die Katastrophe? Vor Gericht gab es ein Mammutverfahren. 184 Sitzungstage lang wurden Zeugen und Sachverständige angehört, Unterlagen erörtert und Verantwortlichkeiten geklärt. Am Ende wird das Verfahren ohne Urteil eingestellt. Es habe für die Katastrophe weder eine einzige Ursache noch einen einzigen Schuldigen gegeben, sagt der Vorsitzende Richter. "Es war eine Katastrophe ohne Bösewicht." Vielmehr habe eine "Vielzahl von Umständen" zu dem tödlichen Gedränge geführt. So sei etwa der Veranstaltungsort für das Konzept und die Besuchermengen nicht geeignet gewesen. Als Konsequenz aus der Loveparade-Katastrophe wurden etwa die Vorschriften für Großveranstaltungen verschärft. Das sei wichtig für viele Hinterbliebene, sagt Jürgen Thiesbonenkamp, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung. Es vermittele vielen das Gefühl, dass der Tod ihrer Kinder zumindest nicht ganz umsonst gewesen sei, sondern eher Lehren daraus gezogen wurden. Festivalgelände soll zu modernem Stadtquartier werden Ab dem nächsten Jahr wird die Stadt Duisburg die Verantwortung für das Gedenken übernehmen. In welcher Form dann an die Katastrophe und die Opfer erinnert werden soll, ist im Moment noch unklar. Nach dem 15. Jahrestag werde man beginnen, Ideen zu entwickeln und mit allen Beteiligten gute Lösungen zu finden, sagte eine Stadtsprecherin. Auch auf dem damaligen Festivalgelände, einer Brachfläche südlich des Hauptbahnhofs, tut sich inzwischen etwas: Dort, wo früher der Güterbahnhof war, will die Stadt ein modernes und nachhaltiges Quartier errichten. Bis zu 5.000 Menschen sollen dort wohnen und rund 8.000 einen Arbeitsplatz finden. Im Jahr 2032 könnte das neue Stadtviertel fertig sein. Die Unglücksstelle von damals soll dabei nicht aus dem Stadtbild verschwinden - im Gegenteil. Die Rampe, die ein Investor zwischenzeitlich umgebaut und deutlich schmaler gestaltet hatte, soll wieder in ihren damaligen Zustand versetzt werden. Dann soll sie wieder ein Teil einer ruhigen Parkanlage sein.
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