Filterzigarette am Ende? Was die EU wirklich plant

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Ein EU-Ratspapier entfacht eine Debatte über die Zukunft der Filterzigarette. Die Tabakindustrie schlägt Alarm, die EU-Kommission beschwichtigt. Was steckt dahinter? Es sind drastische Worte, mit denen Jan Mücke seinem Ärger Luft macht. Mücke, früher FDP-Staatssekretär im CSU-geführten Verkehrsministerium unter Peter Ramsauer und mittlerweile Cheflobbyist der Tabakbranche in Deutschland, ist sauer. Als "Vorschlag aus dem Brüsseler Irrenhaus" bezeichnete er in einer Mitteilung einen Plan, der aktuell in der belgischen Hauptstadt kursiert. In einem internen Papier des Rates der Europäischen Union, das t-online vorliegt, plant die EU, sich bei einer WHO-Konferenz im November für ein Verbot von Zigarettenfiltern auszusprechen. Die "Bild" hatte zuerst darüber berichtet. Der Rat wird oft als "Staatenkammer" der EU bezeichnet, weil er die Mitgliedstaaten vertritt. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat, der die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten umfasst. Mit Ausnahmen: EU-Staaten stimmen für Ausstieg aus russischem Gas Reisen: Hund bei Flugreise verloren – Entschädigung wie bei Gepäck Gleich vorweg: Das Dokument ist keine Gesetzesinitiative, sondern lediglich die mögliche Verhandlungsposition der EU-Mitgliedstaaten gegenüber der Weltgesundheitsorganisation. Dennoch fürchtet die Tabakbranche weitreichende Folgen für Raucher in der EU. Denn: Ein Verbot von Zigarettenfiltern würde 98 Prozent des Zigaretten-Geschäftes de facto zum Erliegen bringen, argumentiert Mücke, die Branche wäre dann quasi tot. "Massive Bedrohung" "Der aktuelle Plan ist eine massive Bedrohung für die deutsche Zigarettenindustrie", sagt Mücke t-online. "Offenbar hat die Politik aus der Alkoholprohibition in den USA vor 100 Jahren schlicht nichts gelernt." Analog zu damals befürchtet der Doppelchef des Deutschen Zigarettenverbands und des Bundesverbands der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse, dass die deutschen Raucherinnen und Raucher im Fall eines Verbots auf den Schwarzmarkt zurückgreifen. Immerhin geht es laut Statistikamt um knapp 19 Millionen Menschen, die gelegentlich oder regelmäßig zum tödlichen Glimmstängel greifen. Deutschland entginge dann rund zwölf Milliarden Euro an Steuereinnahmen, rechnet Mücke vor. "So wahnsinnig kann doch niemand sein", sagt er. Tabakatlas: Jeder siebte Todesfall geht auf das Rauchen zurück Lesen Sie auch : So schnell erholt sich der Körper nach dem Rauchstopp Zigarettenfilter tragen zur Umweltverschmutzung bei Seine Wut speist sich aus einer Empfehlung einer WHO-Expertengruppe zur Regulierung von Tabakprodukten. Diese kommt zu dem Schluss, dass Zigarettenfilter keinen nachweisbaren schützenden Effekt für die Gesundheit haben, zugleich aber maßgeblich zur Umweltverschmutzung beitragen. In einem 32-seitigen Schreiben der WHO-Expertengruppe werden auch andere mögliche Maßnahmen angeführt, etwa ein "Einfrieren des Tabakangebots für Marken" oder gar ein "Ende des kommerziellen Verkaufs von Tabakprodukten", jeweils mit Erklärungen, Vorteilen und möglichen Problemen bei der Umsetzung. Filter bestehen überwiegend aus Celluloseacetat, einem Kunststoff, der in der Umwelt nur sehr langsam abgebaut wird. Nach Angaben der WHO zählen weggeworfene Zigarettenfilter weltweit zu den häufigsten Verschmutzungen in Gewässern, mit Folgen für Mensch und Tier. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nehmen diese Einschätzungen "zur Kenntnis", heißt es in dem Entwurf des Ratsdokuments. Dort wird zugleich festgehalten, ein Verbot der Herstellung, Einfuhr und des Verkaufs von Filterzigaretten könne ein "wichtiger Schritt" sein. Ein Verbot alternativer Produkte wie E-Zigaretten wird als "zusätzliche Regulierungsoption" erwähnt. Am Dienstag könnte das Papier finalisiert werden Es sind scharfe Formulierungen, an denen sich die Tabakindustrie stößt. Das Entwurfspapier ist indes noch nicht fertig ausgearbeitet. Es enthält zahlreiche Fettungen; manche Absätze sind halb oder ganz gestrichen. Nach Informationen von t-online tagt die Ratsarbeitsgruppe "Public Health", die sich mit dem Papier befasst, am Dienstag. Womöglich wird sie dort das Papier finalisieren. Gegen Ende des Dokuments ist dann auch zu lesen: Man nehme eine Empfehlung der WHO zur Kenntnis, "wonach neben Filtern auch ein Verbot von Einwegkunststoffen in allen Tabakprodukten und von Kunststoffen in Verpackungen eine Regelungsoption darstellt". Das klingt schon deutlich weniger nach einem Totalverbot von Filterzigaretten. Rauchstopp: Wie Sie die ersten zehn Tage besser überstehen Ohnehin handelt es sich nicht um einen Gesetzesvorschlag der EU. Das EU-Ratspapier zielt vielmehr darauf ab, eine gemeinsame Linie für die 11. Vertragsstaatenkonferenz der WHO-Tabakrahmenkonvention (COP11) zu entwickeln, die vom 17. bis zum 22. November in Genf stattfindet. Dort werden zwar keine bindenden Gesetze beschlossen, wohl aber politische Leitlinien, die den Rahmen für spätere Regulierungen auf EU-Ebene vorgeben können. Ein mögliches Filterverbot könnte daher frühestens im Rahmen der nächsten Überarbeitung der europäischen Tabakproduktrichtlinie zur Debatte stehen, die für die kommenden Jahre erwartet wird. Auch Schockbilder gingen auf WHO-Empfehlung zurück Für die Tabakbranche bedeutet der Entwurf jedoch mehr als nur Symbolik. Immerhin kam es in der Vergangenheit bereits vor, dass Leitlinien der WHO den Ausgangspunkt für spätere Gesetzgebung in der Europäischen Union bildeten. Ein Beispiel dafür sind die Warn- bzw. Schockbilder auf Zigarettenpackungen: Auch sie wurden nicht direkt von der EU entwickelt, sondern gehen auf die WHO-Tabakrahmenkonvention und die Konferenz der WHO-Vertragsstaaten zurück. Die EU setzte die dort empfohlenen Maßnahmen in der Tabakproduktrichtlinie von 2014 um – sie gelten seit 2016 in allen Mitgliedstaaten verpflichtend. Aus Sicht der Industrie ist daher nicht entscheidend, dass aktuell noch kein explizites Verbot von Filterzigaretten angestrebt wird. Entscheidend ist, dass die EU sich auf internationaler Ebene zu einem Ziel bekennen könnte, das in ein paar Jahren in eine europäische und letztlich nationale Gesetzgebung überführt werden könnte. EU-Kommission "plant nicht, Filterzigaretten zu verbieten" Die Europäische Kommission weist dennoch den Eindruck zurück, es gebe konkrete Pläne für ein Verbot von Filterzigaretten. "Um es ganz klar zu sagen: Die Europäische Kommission plant nicht, Filterzigaretten zu verbieten", teilte ein Sprecher der Behörde mit. Sie allein kann EU-Gesetze vorschlagen. Ein Gesetzesvorschlag braucht danach in der Regel auch die Zustimmung des Europaparlaments und der EU-Staaten. Jan Mücke hält das Statement der EU-Kommission für unredlich: "Formal ist das korrekt, es liegt kein Gesetzesvorschlag vor", poltert er. "Doch es wird hier versucht, an Parlamenten vorbei Nägel mit Köpfen zu machen." Das Bundesgesundheitsministerium war für t-online indes nicht zu erreichen; die "Bild"-Zeitung zitiert eine Sprecherin, wonach die gemeinsame EU-Positionierung noch im "Abstimmungsprozess" sei. Selbst wenn sich die EU auf WHO-Ebene für ein Filterverbot ausspricht, ist damit noch nichts entschieden. Wie weit Europa später tatsächlich geht, ob es am Ende ein Verbot gibt oder nur strengere Umweltauflagen für Filter – das ist offen. Immerhin zeigt etwa das Pariser Klimaabkommen: Ehrgeizige Ziele werden zwar völkerrechtlich beschlossen, ihre Wirkung entscheidet sich oft aber erst in der konkreten Umsetzung durch die Staaten – und die fällt oft weit weniger radikal aus als die ursprüngliche Vision. Oder um im Bilde zu bleiben: Was in der EU bisweilen als dicker Rauch aufsteigt, löst sich in der Umsetzung dann in Luft auf.
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