Julia Ruhs lebt von klaren Kanten – und von der Provokation. Im t-online-Interview erklärt die Journalistin, warum sie vor allem n Meinungen eine Dominanz zuschreibt, sich selbst aber als pragmatische Feministin sieht. Ein Satz in einer Talkshow , ein Kommentar in einer Kolumne – und schon läuft die Debatte heiß. Wer heute eine klare Haltung zeigt, muss mit Gegenwind rechnen, oft auch weit über die Sachebene hinaus. Julia Ruhs kennt dieses Spiel. Sie weiß, wie schnell Zustimmung kippen kann, wenn eine Meinung nicht ins gängige Raster passt. Eine junge Journalistin, die beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeitet, aber politisch konservativ ist, das Gendern vehement ablehnt. Sie weiß aber auch das zu nutzen, zu polarisieren. "Tiefpunkt in der Berichterstattung": ARD-Format sorgt für Kontroversen Mit t-online spricht sie über den Preis offener Worte, die Rolle der Medien und darüber, warum sie sich selbst manchmal zurückhält. t-online: Frau Ruhs, sehen Sie fehlende Meinungsfreiheit aktuell wirklich als das größte Problem für die Demokratie in Deutschland? Julia Ruhs: Nein, das habe ich nie behauptet. Vom Staat aus betrachtet gibt es volle Meinungsfreiheit, niemand wird von Regierungsseite eingeschränkt. Allerdings gab es Einzelfälle, etwa Hausdurchsuchungen wegen ungeschickter Tweets. Da finde ich es übergriffig, wenn morgens um sechs die Polizei vor der Tür steht. Sie spielen auf den Habeck-Tweet an. Ein Mann hatte Robert Habeck in einem Bild "Schwachkopf" genannt . Daraufhin zeigte Habeck ihn an, es folgte eine Hausdurchsuchung. Diese stand aber im Zusammenhang mit einem anderen Tweet, der womöglich den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen könnte. Korrekt. Was ich in meinem Buch aber meine, ist der soziale Druck. Erklären Sie das bitte. Viele glauben, bestimmte Meinungen nicht mehr äußern zu können, ohne massiv angegriffen zu werden. Es geht nicht nur um legitime Gegenrede, sondern um Niederschreien und persönliche Diffamierung. Besonders seit der Migrationsdebatte hat sich das verstärkt. Wie äußert sich das konkret? Wer offene Grenzen befürwortet, gilt als Menschenfreund. Wer Begrenzung fordert, muss sich rechtfertigen und wird schnell als "Rassist" abgestempelt. Das schreckt viele ab. Natürlich darf man alles sagen – aber man zahlt einen Preis: Ansehen, Freundschaften, das eigene Bauchgefühl. Kritiker sagen, Sie profitieren von dieser Erzählung, etwa durch Ihr Buch und Ihre Reichweite. Das Buch handelt nicht nur von Meinungsfreiheit, sondern auch von einer n Dominanz im medialen Diskurs. Ja, es gibt konservative Medien wie die "Welt" oder "NZZ", aber in der Gesamtschau überwiegt eine Perspektive. Alternative Medien wachsen, weil vieles nicht abgebildet wird – auch wenn dort oft Stimmung gemacht wird. Und ja, ich profitiere davon, aber der Verlag kam auf mich zu, nicht umgekehrt. Aber Sie wissen schon, dass Provokation Aufmerksamkeit bringt? Sicher. Es gibt eine Nachfrage nach jungen, weiblichen Konservativen. Ich bin keine AfD-Wählerin, und wer meine Texte kennt, weiß das. Wenn ich durch mein Konservativ-sein ins Gespräch komme, ist das für meine Arbeit hilfreich. Haben Sie Ihre politische Einstellung bewusst für Ihre Karriere benutzt? Es hat schon Türen geöffnet. Ich habe über soziale Medien Reichweite aufgebaut. Manche Tweets waren unklug, aber es wäre feige, sie zu löschen – Screenshots gibt es ohnehin. Die Diskussion entwickelt sich weiter, und ich stehe zu meinen früheren Aussagen. Ohne diese Sichtbarkeit hätte ich wahrscheinlich keine Kolumne beim "Focus" bekommen. Sie polarisieren also bewusst, um im Gespräch zu bleiben? Ja, im richtigen Maß. Was ich schreibe, liegt Welten entfernt von echtem Rechtspopulismus. Das stelle ich auch fest, wenn ich mir Schlagzeilen durchlese von irgendwelchen einschlägigen, rechtspopulistisch angehauchten Portalen. Das geht mir häufig zu weit. Natürlich überlege ich auch, mit welchen Leuten ich mich anlege. Man sagt zwar, zwischen den Stühlen sei der beste Platz. Das stimmt oft, aber wenn der Shitstorm kommt, steht man am Ende ziemlich allein da. Es gibt Leute, die wollen mich gezielt wegmobben. Aber Sie fordern doch selbst, dass man seine Meinung sagt – auch wenn es unangenehm wird. Ja, nur ist das Risiko real. Selbst völlig legitime konservative Positionen könnten Aufträge gefährden. Meine Arbeitgeber könnten sagen: "Jetzt ist Schluss." Oder ich werde einfach bei Veranstaltungen nicht mehr eingeladen, Verlage lassen lieber die Finger von mir. Das heißt, Sie wählen schon genau aus, was Sie sagen und womit Sie hinterm Berg halten? Ich muss schauen, wenn ich zu irgendeinem Thema eine sehr provokante Meinung habe und weiß, dass das gerade gar nicht von der Mehrheit mitgetragen wird, dass ich das nicht öffentlich sage. Ich weiß, dass da das Verständnis überall fehlt. Das könnte dann auch auf mich zurückfallen. Vielleicht war es schon immer so, dass du dich bei manchen Dingen selbst zensierst. Wenn Sie ein Beispiel wollen, wo ich bislang eher zurückhaltender war: Bei Feminismus habe ich oft eine andere Meinung als andere konservative Frauen. Zum Beispiel? Ich hasse es, wenn Konservative sagen, man müsste als Frau Kinder haben. Wenn ich jetzt aber prominent in einer meiner Kolumnen sagen würde, dass ich dafür kein Verständnis habe, dann wäre diese ganze rechte Bubble sauer auf mich. Ich bin absolut keine Verfechterin eines traditionellen Frauenbildes. Man könnte sagen, Sie biedern sich den Konservativen an. Ich bin nicht in der Position eines Jan Böhmermann , der unangreifbar ist und auch mal überziehen kann. Ich muss abwägen, wen ich mir zum Feind mache – und ob es den Preis wert ist. Hat sich Ihr Blick auf das Öffentlich-Rechtliche verändert, seitdem Sie selbst Teil davon sind? Ich habe mich als ziemliche Verfechterin des Öffentlich-Rechtlichen auf das Volontariat beworben – das war vor der Corona-Zeit. Da hatte ich so gut wie gar keinen kritischen Punkt. Ich fand die öffentlich-rechtlichen Programme toll. Ich wollte immer Radio, Fernsehen und Onlineinhalte gestalten, alles auf einmal und mich nicht entscheiden müssen. Die ARD-Welt ist auch eine Riesenspielwiese, du kannst dich an unendlich vielen Stellen ausprobieren. Und wie war es dann, als Sie wirklich dort angefangen haben zu arbeiten? Wenn man einmal beim Arbeitgeber ist, sieht man natürlich auch die Stellen, die nicht so schön sind – das ist überall so. Gerade während Corona habe ich damit gehadert, dass insgesamt zu wenig kritisch hinterfragt wurde. Das betrifft alle Medien: Der Umgang mit Maßnahmen oder Impfungen war nicht immer richtig. Klar, man hatte immer im Kopf, dass zu viel Kritik die Zustimmung der Bevölkerung untergraben könnte. Aber trotzdem: Man hätte mehr hinterfragen müssen. Da ist für mich die Distanz zur Regierungspolitik verloren gegangen. Wir haben uns in einer Krise befunden. Gesundheitsschutz war gerade so enorm wichtig, und wir als Medien haben uns dann zu sehr daran angepasst. Wir glaubten, wir müssten diese Maßnahmen in die Welt hinaustragen und die Solidarität fordern. Trotzdem glauben Sie noch an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Ja, absolut. Gerade weil die Medienlandschaft immer stärker zersplittert – es gibt unzählige alternative Medien, Influencer und Podcasts – halte ich das Konzept für wichtig. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat den Anspruch, alle Menschen zu erreichen. Das ist so etwas wie der Kitt der Gesellschaft: ein Ort, an dem jeder etwas findet. Wird er das in Zukunft weiter sein? Die Konkurrenz wird wachsen. Wir müssen sehen, ob die Reichweiten halten. Aber das Grundprinzip ist für mich unverzichtbar. Was bedeutet diese Zersplitterung für den Journalismus? Sie macht ihn nicht besser. Viele Influencer betreiben Aktivismus, keinen Journalismus. Es fehlt an Faktenprüfung, an ausgewogener Darstellung. Man trimmt Inhalte auf eine Linie, um Fans zu gewinnen – das hilft der Gesellschaft nicht. Wer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen will, sollte die Folgen bedenken. Viele stören sich am Rundfunkbeitrag . Ich bin kein Fan einer Abschaffung. Aber sparen kann man immer – da fehlt manchmal der Wille, genauer hinzusehen. Natürlich ist der Beitrag höher als ein Netflix-Abo, und ich verstehe, wenn junge Menschen, die nur der "Tagesschau" auf Instagram folgen, das hinterfragen. Trotzdem: Der Markt würde Nischenangebote nicht tragen, die wir abbilden. Wie reagieren Kollegen, wenn Sie die Öffentlich-Rechtlichen kritisieren? Intern kam das nicht immer gut an. Es gibt Leute, die mich nicht mögen. Ich halte das Konstrukt für wichtig, aber das heißt nicht, dass ich jedes Detail gutheißen muss. Sie fordern mehr Meinungsvielfalt, haben aber selbst ein Format im Öffentlich-Rechtlichen . Wie passt das zusammen? Das Format gibt es noch nicht lange. Und bisher gab es nur drei Folgen, im Abstand von mehr als einem Monat. Der Weg dorthin war außerdem lang – schon vor anderthalb Jahren begann das Prozedere. Mein Einstieg war ein Kommentar zum Gendern im "Mittagsmagazin". Als junge Frau konnte ich das leichter sagen, ohne die volle Breitseite abzubekommen, wie es bei einem älteren Kollegen wohl der Fall gewesen wäre. Manche im Haus fanden auch, dass man solchen konservativeren Positionen Raum geben müsse. Sie haben sich schon mehrfach öffentlich gegen das Gendern ausgesprochen. Wie können Sie einerseits mehr Sichtbarkeit für konservative Themen fordern und gleichzeitig so vielen Menschen eine Sichtbarkeit in der Sprache absprechen? Weil ich finde, dass wir bereits eine sehr inklusive Sprache haben. Ach ja? Man verschlimmert das Ganze nur, wenn man damit anfängt. Wenn man bestimmten Gruppen ein Sternchen zuschreibt, dann kommen immer wieder andere und sagen, sie fühlen sich auch nicht angesprochen. Ich frage mich, wohin das führt. Die Sprache zersplittert immer mehr in weitere Untergruppen. Warum können sich nicht einfach alle angesprochen fühlen, wenn wir sagen: Lehrer, Journalisten, Verkäufer? Warum können wir uns nicht darauf einigen, dass dieses Wort für alle allgemein ist? Selbst mit Lehrerinnen und Lehrern fühlen sich wieder Menschen auf den Schlips getreten, weil sie weder Frau noch Mann sind. Dann könnte man ja auch einfach das generische Femininum nehmen, oder? Sie wollen mich ärgern, oder? Also, Entschuldigung, aber ich denke mir dann: Was bringt den Frauen das denn? Sie schreiben also lieber bestimmten Gruppen eine Sichtbarkeit ab, wenn es zu anstrengend wird? Aber wer bestimmt denn diese Entwicklung gerade in der Sprache? Kommt es wirklich von unten? Von den "normaleren Menschen", die tagtäglich zur Arbeit gehen und dann irgendwie ihr Leben auf die Kette kriegen wollen? Oder kommt es von uns Journalisten, von Aktivisten, von einer sehr privilegierten Schicht? Das ist doch akademisches Herumdiskutieren. Viele Menschen schreckt das Thema Gendern ab. Es hat nichts mit ihrem Leben zu tun. Ich bin pragmatisch. Was bedeutet das? Ich will am Ende des Tages genauso viel verdienen wie ein Mann. Ich will nicht in Altersarmut rutschen. Das Problem vieler Frauen ist, dass ihnen das Selbstbewusstsein fehlt. Sie verkaufen sich unter Wert. Sie sind brav und wollen nicht anecken. Ich nicht, zumindest nicht mehr. Ich sage, was ich denke, und ignoriere Harmoniezwänge. Ich bin daher auch irgendwie eine Feministin! Natürlich will ich beruflich vorankommen. Ich spiele auch mit dem Risiko und kann es mir schnell versauen. Ansonsten gehen vor allem Männer ins Risiko. Für mich erklärt das vieles, etwa, dass sie viel öfter in Führungspositionen sind. Dem könnte man entgegenwirken, indem man ihnen schon von klein auf das Gefühl gibt, sichtbar zu sein. Man könnte zum Beispiel damit anfangen, sie in der Sprache zu integrieren. Frauen müssen von klein auf Selbstvertrauen entwickeln. Sprache allein schafft das nicht. Die Realität ist, dass viele Frauen in Care-Berufen arbeiten, weil es sozialisiert und vielleicht auch zum Teil in die Wiege gelegt ist, nicht, weil wir sie sprachlich unsichtbar machen. Sprache ist nur ein Werkzeug, nicht das entscheidende Mittel. Und doch ist die Frage: Beeinflusst die Sprache die Gesellschaft oder die Gesellschaft die Sprache? Beides, denke ich. Sprache reflektiert Gesellschaft, sie kann auch Einfluss haben. Aber wenn wir sie künstlich ändern, um Denken zu steuern, ist das übergriffig. Gendern mag einigen helfen, aber der Eingriff ist unverhältnismäßig. Unter welchen Umständen würden Sie selbst gendern? Wenn es sich etabliert hat und im normalen Sprachgebrauch angekommen ist, nutze ich es auch. Dann ist es Gewohnheit. "Studierende" statt Studenten – das passiert mir manchmal versehentlich automatisch, und irgendwann fällt es einem gar nicht mehr auf. Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, dass Sie "beim Lesen von manchen Artikeln und beim Schauen von Fernsehbeiträgen innerlich regelrecht aggressiv" werden. Haben Sie ein Aggressionsproblem? Ich glaube nicht. Ich bin eigentlich eine sehr friedliebende Person und könnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Aber ich glaube, es geht vielen so, dass wenn sie sich was anschauen und glauben, dass das ungerecht ist, sie sich sehr ärgern. Bei welchen Beiträgen ergeht es Ihnen denn so? Wenn ich zum Beispiel glaube, eine Position kommt nicht ausgewogen genug vor. Wenn ich das Gefühl habe, etwas wird komplett weggelassen, was ein wichtiger Fakt gewesen wäre, oder was dem Ganzen ein anderes Gewicht geben würde, dann machen mich solche Beiträge wirklich aggressiv. Hasskommentare im Netz zum Beispiel kommen sehr schnell zustande, wenn Leute sich über die Unausgewogenheit oder die gefühlte Ungerechtigkeit aufregen. Das erklärt für mich also manchen fiesen Kommentar, kann ihn aber selbstverständlich nicht entschuldigen. Frau Ruhs, vielen Dank für das Gespräch!