Die Grundsteuerreform sollte "aufkommensneutral" sein. Doch neue Daten von Finanztip und Correctiv zeigen: Das funktioniert nicht überall. Die Reform der Grundsteuer startete mit einem Versprechen: Keine versteckten Steuererhöhungen sollte es geben. So hatte es der damalige Finanzminister Olaf Scholz (SPD) 2019 angekündigt. Doch genau das ist vielerorts nun passiert, wie eine Auswertung des gemeinwohlorientierten Medienhauses "Correctiv" und des Geldratgebers "Finanztip" in den Bundesländern Hessen und Sachsen zeigt. Demnach nehmen in Hessen vier von fünf Kommunen im Jahr 2025 mehr Grundsteuer ein als zuvor, in Sachsen ist es jede fünfte. Rund 80 Prozent der hessischen Städte und Gemeinden überschreiten dabei die vom Land empfohlenen Hebesätze – über 56 Prozent um mehr als 5 Prozent, einige sogar um mehr als das Doppelte. In Sachsen fallen die Erhöhungen im Schnitt deutlich moderater aus, sind aber ebenfalls nicht null. Rund 18 Prozent der Kommunen liegen mehr als 5 Prozent über dem Richtwert. Neue Grundsteuer: In diesen Bundesländern explodieren die Abgaben "Finanztip"-Steuerexperte Jörg Leine bewertet das so: "Wenn die Hebesatzempfehlungen korrekt berechnet wurden und Kommunen ihre Einwohner stärker zur Kasse bitten, ist das nichts anderes als eine Steuererhöhung ." Grundsteuer: Kommunen haben das letzte Wort Der Hebesatz ist ein Faktor in der Formel zur Berechnung der Grundsteuer . Über ihn können die Kommunen frei entscheiden und bestimmen so letztlich, wie hoch die Grundsteuer ausfällt. Steigt der Hebesatz, steigt auch die Grundsteuer; sinkt er, entlastet das Bürger, aber belastet die Gemeindekasse. Vor allem verschuldete Städte verlangen daher hohe Hebesätze, um Geld in die Kassen zu bekommen. Andere Kommunen lassen ihn hingegen niedrig, um attraktiv für neue Einwohner zu sein. Wo es besonders auffällt: Beispiele aus den Ländern In Hessen drehen viele Kommunen kräftig am Hebel, weil die Kassen knapp sind. In Eppstein im Main-Taunus-Kreis mit rund 13.000 Einwohnern liegt der Hebesatz inzwischen etwa 30 Prozent über der Landesempfehlung. Die Erste Stadträtin Sabine Bergold (CDU) erwägt sogar eine Verdopplung und begründet das damit, dass die Umsetzung der Empfehlung ein gravierendes Haushaltsdefizit verursacht hätte. Auch Lindenfels im Odenwald mit 5.000 Einwohnern geht weit über den Richtwert hinaus und liegt mehr als 60 Prozent darüber. Zahlreiche Rathäuser räumen auf Anfrage von "Correctiv" und "Finanztip" offen ein, die Grundsteuer erhöht zu haben, während andere die Berechnung der Landesempfehlungen grundsätzlich für fehlerhaft halten. In Sachsen vor allem kleine Orte unter Druck In Sachsen fällt das Bild heterogener aus. Die Mehrheit der Kommunen hält sich an die empfohlenen Hebesätze, doch vor allem kleine Orte geraten unter Druck: Vier von fünf Gemeinden, die über den Empfehlungen liegen, haben weniger als 5.000 Einwohner. In Hirschstein im Landkreis Meißen mit rund 2.000 Einwohnern überschreitet der Hebesatz die Landesempfehlung um 31 Prozent. Bürgermeister Conrad Seifert (CDU) verweist auf gestiegene Personalkosten und zusätzliche Aufgaben, die Bund und Länder an die Kommunen übertragen haben. Gleichzeitig gibt es positive Gegenbeispiele: Weißenborn mit etwa 2.400 Einwohnern liegt 40 Prozent unter der Empfehlung, weil die kräftigen Gewerbesteuereinnahmen die Gemeindefinanzen stabilisieren und Bürgermeister Udo Eckert (Freie Wählergemeinschaft) seine Einwohner deshalb nicht stärker belasten will. Grundsteuerreform könnte in Karlsruhe landen Wichtig für Haushalte: Eigentümer zahlen die Grundsteuer direkt, Vermieter können sie in der Regel vollständig auf Mieter umlegen . Die Erhöhung landet also häufig mit Verzögerung auf der Nebenkostenabrechnung . Sie ist einer der Posten, der sich nicht von der Steuer absetzen lassen. Das Bundesverfassungsgericht kippte 2018 die alte Grundsteuer, weil sie jahrzehntelang auf veralteten Werten beruhte; seit 2025 gilt das neue System. Doch der Streit ist nicht beendet: Erste Klagen werden bald vor dem Bundesfinanzhof verhandelt, möglicherweise landet die Sache erneut in Karlsruhe. "Finanztip"-Experte Leine spricht von einer "chaotischen" Reform mit offenem Ende. Oberbürgermeister schlagen Alarm Dass viele Städte die Grundsteuer nach oben drehen, hängt auch damit zusammen, dass sie selbst kaum andere Möglichkeiten haben, um ihre Einnahmen zu steigern. Gleichzeitig lasten immer höhere Anforderungen auf ihnen, die von Bund und Ländern beschlossen, aber oft nicht ausreichend gegenfinanziert werden. In einem parteiübergreifenden Brief haben sich erst vor wenigen Tagen die Oberbürgermeister aller Landeshauptstädte an Bundeskanzler Friedrich Merz und die Länder gewendet. Ihr Fazit: Die Schere zwischen kommunalen Einnahmen und Ausgaben öffne sich immer weiter. Gründe seien vor allem steigende Sozialausgaben und Entscheidungen wie das Deutschlandticket, die im ÖPNV Unterfinanzierung verursachten. Was die Rathauschefs jetzt fordern Um die Situation zu verbessern, verlangen die Rathauschefs erstens, dass das Prinzip "Wer bestellt, muss bezahlen" verbindlich gilt : Jede neue Aufgabe, die Bund oder Länder den Kommunen auferlegen, sollte von Anfang an vollständig und angemessen gegenfinanziert sein. Zweitens fordern sie eine nachträgliche Kompensation für vergangene Beschlüsse ohne eine solche ausreichende Finanzierung. So sollten sie entweder stärker an der Umsatzsteuer beteiligt oder von übertragenen Aufgaben entlastet werden. Auch sollten sogenannte Altschulden übernommen werden, also übermäßige Kassenkredite aus struktureller Unterfinanzierung. Drittens erwarten die Oberbürgermeister von den Ländern, im Bundesrat keine Gesetze mehr mitzutragen, deren kommunale Finanzierung nicht gesichert ist. Das soll künftige Absprachen zulasten der Städte und Gemeinden verhindern.