Vor gut drei Monaten verlor die Sportwelt Laura Dahlmeier. In einem neuen Buch kommt die Biathlon-Ikone nun aber noch mal zu Wort. Das Jahr neigt sich dem Ende, und so langsam beginnt die Zeit der Rückblicke auf 2025. Klar ist schon jetzt: Das tragische Unglück der ehemaligen Biathletin Laura Dahlmeier wird dort eine wichtige Rolle einnehmen. Die 31-jährige Dahlmeier war Ende Juli beim Bergsteigen im pakistanischen Karakorum-Gebirge ums Leben gekommen. Die zweifache Olympiasiegerin und siebenmalige Weltmeisterin war mit ihrer Seilpartnerin am Laila Peak unterwegs, als sie auf einer Höhe von 5.700 Metern von einem Steinschlag getroffen wurde. Die Nachricht ihres Todes löste weit über die Grenzen der Sportwelt hinaus Bestürzung aus. Sie waren gut befreundet: Ex-Biathlon-Weltmeisterin spricht über Dahlmeier "Lange überlegt, ob ich mich äußern soll": Managerin von Laura Dahlmeier meldet sich Am 5. November erscheint nun das Buch "Bock auf Biathlon" des Journalisten Taufig Khalil. Der Autor hat für dieses Buch auch mit Laura Dahlmeier vor ihrem Tod gesprochen. Es ist eines der letzten Interviews von ihr gewesen. t-online bekam exklusive Einblicke in das Buch, in dem Dahlmeier über ihre Leidenschaft für Biathlon spricht, den harten Kampf mit sich selbst und wie sie sich gegen viele Widerstände durchsetzen musste. Und was natürlich nicht fehlen durfte: ihre Liebe zum Bergsteigen, die ihr im Juli dieses Jahres zum Verhängnis werden sollte. Es sind persönliche Erinnerungen einer ehemaligen Spitzensportlerin, die vom Ehrgeiz auf Erfolge getrieben war und dazu neigte, sich selbst wenig Pardon zu schenken. So erzählt Dahlmeier: "Es gibt Athleten, die richten lieber alles auf den einzigen entscheidenden Moment aus. Dadurch kommen sie manchmal schwer in die Saison oder haben zwischendrin mal eine Delle. Ich war eine Athletin, die über die ganze Saison grundsätzlich eine gute Leistung abrufen und das auch nach dem Highlight noch konservieren konnte. Mir war es wichtig, die Form konstant bis zum Ende zu halten. Das ist vor allem wichtig, wenn du den Gesamtweltcup gewinnen willst." Im Buch steht die Saison 2016/17, an deren Ende auch die Biathlon-WM in Hochfilzen stattfand, im Fokus. Dahlmeier konnte sich damals über fünfmal WM-Gold freuen und beschreibt diese Saison selbst als Saison ihres Lebens. "Ich war erst 23 und bei Weitem nicht an einem Punkt, an dem ich schon ahnte, dass ich in zwei Jahren aufhören würde. Ich wusste, dass ich Biathlon nicht ewig machen würde, hatte da aber überhaupt keinen Plan. Mein Fokus war, von Jahr zu Jahr zu schauen, die Olympischen Spiele 2018 in Pyeongchang mitzunehmen und alles Weitere auf mich zukommen zu lassen. Doch in diesem Jahr hatte ich mich nicht damit beschäftigt und war völlig frei", so Dahlmeier. Wie groß ihr Kampfgeist und der Wille zum Erfolg war, beschreibt Dahlmeier in dem Buch auf ganz dramatische Art und Weise. Dabei ging es sogar so weit, dass sie nach Gold im Einzelrennen bei der WM in Hochfilzen 2017 zusammenbrach. "Leider konnte ich das erst mal nicht so richtig genießen, weil ich richtig k. o. war. Ich hatte im Rennen nicht 100, sondern 102 oder 103 Prozent gegeben und war so leer, dass ich mich kaum auf den eigenen Haxen halten konnte. Die Anstrengung hört nicht auf, wenn du ins Ziel kommst, sondern sie verlagert sich nur von der Loipe in den Bereich dahinter: Zeremonie, Pressekonferenz, Interviews. Tuck, tuck, tuck, tuck, tuck, tuck. Ich war so leer, dass ich auf dem Weg zurück ins Quartier gestützt werden musste", so Dahlmeier. Nach einer kurzen Pause stand jedoch schon wieder das Staffelrennen an – und das sollte richtig dramatisch enden: mit der nächsten Goldmedaille, aber auch der totalen Erschöpfung. "Ich musste nun also läuferisch erneut alles herausholen, weil ich es am Schießstand verkackt hatte. Ich wollte nicht diejenige sein, die die Staffel versemmelt, daher bin ich wie um mein Leben gelaufen und habe mich am Ende mit sechs Sekunden Vorsprung ins Ziel gerettet. Was danach kam, weiß ich nicht mehr wirklich", beschreibt Dahlmeier. "Ich bin richtig zusammengeklappt. Als die Mädels aus meinem Team kamen, um mit mir zu feiern, bin ich flach mit dem Gesicht voran in den Schnee gefallen und war weg. Was mit diesem Rennen war, das war mir zu dem Zeitpunkt wurscht. Ich dachte: "Ich muss jetzt schauen, dass ich das überlebe." Als sie nach einigen Minuten wieder auf die Beine gekommen war, habe Dahlmeier noch versucht, sich am üblichen Siegerwahnsinn zu beteiligen, allerdings: "Nach dem ersten Teil der Interviews war für mich endgültig Schluss. Die Pressekonferenz musste ohne mich stattfinden, und bei den Medaillenfotos merkte ich, wie mein Körper wegsackte und mir wieder schwarz vor Augen wurde. Unser Mannschaftsarzt Klaus Marquardt legte mir die Haxen nach oben und versuchte, meinen Kreislauf zu stabilisieren." Dahlmeier: "Das ist natürlich Wahnsinn. Erst läufst du bei einer Weltmeisterschaft um Gold, und danach kannst du nicht mehr auf den eigenen Beinen stehen. Da kann man schon ein bisschen das Vertrauen in den eigenen Körper verlieren – das Vertrauen, das so unheimlich wichtig ist im Leistungssport. In diesem Moment waren die Medaille und der große sportliche Erfolg unendlich weit weg. Es war eher so: Sauerstoff rein, verarbeiten, Energie, Augen wieder aufmachen, zu mir finden. Allein das stand für mich im Vordergrund. Unser Team schützte mich dann und hielt sämtlichen Stress von mir weg, damit ich mich auf meine Überlebensinstinkte konzentrieren konnte." Dahlmeiers Problem: Es stand zum Abschluss der WM noch der Massenstart an. Und sie hatte sich zuvor geschworen, an allen Rennen teilnehmen zu wollen. Also: Durchbeißen. Allerdings wollte ihr damaliger Cheftrainer Gerald Hönig den Start verbieten. Die Sorge um die Gesundheit des Biathlon-Stars sei einfach zu groß gewesen. Doch er hatte die Rechnung ohne Laura Dahlmeier gemacht. Dahlmeier in dem neuen Buch: "So, jetzt müssen wir noch mal reden. Ich gehe zum Bergsteigen, ich gehe zum Klettern. Ich kenne meinen Körper so gut wie kein anderer. Ich kann mich auf meinen Körper verlassen, und ich weiß, wenn ich sage, das passt, dass es passt. Denn sonst könnte ich nie zum Bergsteigen gehen. Dort haben einfache Fehler ganz andere Konsequenzen. Ich fühle mich echt gut und ich verspreche euch, dass es wieder passt und ihr mir 100 Prozent vertrauen könnt. Ich trage das eigene Risiko. Lasst mich starten. Das funktioniert." Und weiter: "Obwohl sie sich vorher eigentlich völlig einig waren, mich nicht starten zu lassen, hatte ich damit einen Punkt gemacht. Also steckten sie wieder ihre Köpfe zusammen und diskutierten noch mal. Vor allem Klaus (Mannschaftsarzt Klaus Marquardt, Anm. d. Red. ) war dagegen, aber unser Kompromiss lautete dann, dass er mich unter der Voraussetzung starten lässt, dass ich wirklich schaue, ob es geht, und sowohl beim Einlaufen als auch während des Wettkampfs ein Auge darauf habe, wie ich mich fühle. Das war ein Deal, auf den ich mich einlassen konnte, und ich versprach: 'Ich höre sofort auf, wenn es nicht mehr geht. Ich laufe dann auch nicht ins Ziel. Ich mache keinen Blödsinn und es wird passen.' Am Ende ließen sie mich schweren Herzens starten, und ich bedankte mich mit einer weiteren Goldmedaille." Es war am Ende ihre siebte Goldmedaille bei der WM. Ein unfassbarer Erfolg für Laura Dahlmeier und den deutschen Biathlon. "Ich gehe wieder, und ich gehe allein" Was im Buch natürlich auch zur Sprache kommt: Dahlmeiers unbändige Liebe zum Bergsteigen. "Im Herbst 2024 bin ich während einer Himalajaexpedition gleich zweimal innerhalb von drei Tagen auf den 6.814 Meter hohen Ama Dablam geklettert und habe dabei, ohne dass es beabsichtigt war, einen Weltrekord aufgestellt. Weil wir nach der ersten Gipfelbesteigung im Rahmen einer Fernsehdokumentation noch etwas Zeit hatten, hatte ich nach zwei Tagen Pause für mich entschieden: Ich gehe wieder, und ich gehe allein", beschreibt Dahlmeier, die keine Zweifel an ihrer Leistungsfähigkeit zulassen wollte. "Natürlich kamen dann wieder die Fragen nach dem Warum und: 'Kannst du das? Traust du dir das wirklich zu?' Und so, wie ich 2017 in Hochfilzen gegen den Rat meines Trainers und Arztes entschieden hatte, doch im Massenstart zu starten, hat es sich auch dort am Berg wieder richtig angefühlt, und ich sagte: 'Ja, ich traue mir das zu.' Es war dieses Gefühl, das ich 2017 bei der WM erstmals so intensiv und seitdem immer wieder erleben durfte." Intensiv immer wieder erleben. Das wollte Laura Dahlmeier auch im Juli 2025, als sie sich in das pakistanische Karakorum-Gebirge aufmachte. Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen konnte: Es würde ihr letztes Mal sein.