Nations League der Frauen: Deutschland überrascht sich sogar selbst

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Christian Wück stellte beim Sieg gegen Frankreich mutig um und verschaffte seinem Team neue Möglichkeiten. Der Plan ging allerdings nicht vollständig auf. Aus Düsseldorf berichtet Kim Steinke Die Hände zu Fäusten geballt, ließ Stina Johannes ihren Emotionen nach der spektakulären Reaktion in der 73. Minute freien Lauf. Die Torhüterin parierte aus kurzer Distanz einen Schuss von Frankreichs Melvine Malard – und hielt Deutschland den Rücken frei. Nur wenige Minuten darauf durfte sie erneut jubeln: Klara Bühl fasste sich ein Herz, zog ab und zwang Pauline Peyraud-Magnin zu Boden. Doch die versuchte Rettungstat reichte im Gegensatz zu der ihrer Konkurrentin im deutschen Tor nicht aus. So gewannen die DFB-Frauen das Halbfinal-Hinspiel der Nations League gegen Frankreich mit 1:0. Es war der eine Treffer von Bühl, der die Chance auf das Endspiel gegen Spanien oder Schweden wahrte – und zeitgleich die Defizite im deutschen Spiel aufzeigte. Denn bei dem einen Tor hätte es nicht bleiben müssen. Bundestrainer Christian Wück fand nach Abpfiff zunächst lobende Worte: "Das war der nächste Schritt, den wir erwartet hatten und den wir auch machen wollten im Vergleich zur Europameisterschaft." Was der 52-Jährige damit meinte: Die Art und Weise, wie das deutsche Team gegen Frankreich auftrat, passte. Ein anderes Bild Deutschland versteckte sich nicht und profitierte davon – im Gegensatz zum spektakulären EM-Viertelfinale gegen denselben Gegner – mit elf Spielerinnen auf dem Platz zu stehen. In Basel bei der Europameisterschaft im Sommer hatte Innenverteidigerin Kathrin Hendrich nach nur 13 Minuten die Rote Karte gesehen, das Team kämpfte damals in Unterzahl. Deutschland gewann am Ende zwar im Elfmeterschießen, fand über einen Großteil der Partie allerdings nur selten den Weg nach vorn. In Düsseldorf am Freitagabend zeichnete sich ein komplett anderes Bild ab: Die DFB-Auswahl begann mit hohem Tempo, kontrollierte über weite Strecken das Spielgeschehen. Vor allem über die Flügel erzeugte Deutschland Gefahr, ließ im Abschluss jedoch Präzision vermissen. Das sah auch der Bundestrainer kritisch: "Wenn man danach geht, haben wir noch keinen Schritt nach vorne gemacht", sagte Wück. Sjoeke Nüsken wurde als Mittelfeldakteurin fast schon zur gefährlichsten deutschen Spielerin auf dem Platz. Die 24-Jährige vergab gleich drei gute Chancen. Auch Klara Bühl und Rückkehrerin Nicole Anyomi, die den Vorzug vor Lea Schüller im Sturm bekam, ließen aussichtsreiche Möglichkeiten ohne Erfolg gekrönt. DFB-Kapitänin Giulia Gwinn forderte im Anschluss an den Sieg: "Wir wissen, dass es noch ein Stück weit höher hätte ausfallen können, wenn wir wirklich diese Effizienz vor dem Tor gehabt hätten. Daran müssen wir feilen." Bühl bestätigte: "Uns war bewusst, dass wir schon die eine oder andere Großchance liegengelassen haben." Das gewagte Experiment geht auf Trotz der ausbaufähigen Chancenverwertung überzeugte das deutsche Team mit einer stabilen Grundordnung – und das in einer deutlich veränderten Besetzung. Wück hatte sein Team auf mehreren Positionen umgebaut: Neben Lena Oberdorf und Giovanna Hoffmann (beide Kreuzbandriss) standen auch Vize-Kapitänin Janina Minge (Gelbsperre) und Torhüterin Ann-Katrin Berger (Knieverletzung) nicht zur Verfügung. Wück nutzte die Ausfälle nicht nur als Notlösung, sondern auch als Gelegenheit, neue personelle und taktische Varianten zu erproben. Jule Brand agierte daher erstmals auf der zentralen Offensivposition hinter der Sturmspitze, Carlotta Wamser besetzte die rechte Außenbahn vor Rückkehrerin Gwinn. Innenverteidigerin Camilla Küver gab ihr Länderspieldebüt, und Anyomi startete in der Spitze. Im Tor ersetzte Stina Johannes die verletzte Berger. Mit den Veränderungen verfolgte Wück das Ziel, das Angriffsspiel variabler zu gestalten und die Balance zwischen Offensive und Defensive zu verbessern. Wilder Krimi: Traumtor erlöst DFB-Frauen gegen Frankreich DFB-Frauen in der Einzelkritik: Viele gute Leistungen – aber nur einmal die Eins Ein gewagtes Experiment – schließlich geht es in der Nations League um einen Titel. Doch der Bundestrainer behielt mit seinen Entscheidungen Recht. "Ich glaube, alle, die heute auf dem Platz standen, haben bewiesen, dass sie zurecht in der deutschen Frauen-Nationalmannschaft spielen", sagte Wück und nannte ein Beispiel. "Da war eine Camilla Küver, die seit dieser Saison endlich fit ist, die athletisch auf einem sehr hohen Level ist." Das im Vorfeld geschenkte Vertrauen habe die Wolfsburgerin mit ihrer Leistung zurückgezahlt. Viel überraschender allerdings war die Besetzung der Zehnerposition. Jule Brand, bekannt für ihre temporeichen Dribblings auf der rechten Außenbahn, startete zentral hinter der Sturmspitze. "Ich glaube, wir haben heute die Zehnerposition anders interpretiert", erklärte Wück nach dem Spiel. Der Bundestrainer forderte von ihr weniger die Rolle als klassische Spielmacherin und stattdessen mehr Zug zum Tor. "Wir haben schon immer gesagt, Jule macht auf dem Platz Dinge, die sie einfach machen möchte. Sie ist eine, die von außen immer sehr gerne nach innen zieht." Doch warum das Experiment mit Brand? Nach der EM haderte Wück mit Laura Freigang und Linda Dallmann, die während des Turniers in der Schweiz die Zehn abdeckten. So wurde ursprünglich auch nur die Frankfurterin nominiert, Dallmann reiste aufgrund des Ausfalls von Lena Oberdorf nach. Beide standen gegen Frankreich im Kader, blieben aber ohne Einsatz. Mit Brand habe die neue Variante "funktioniert", so Wück. "Sie ist eine unheimlich spielintelligente Spielerin, die Situationen schnell erkennt und gut umsetzen kann", so der Bundestrainer über den DFB-Star von Olympique Lyon . Aber: "Da ist noch Luft nach oben." Mit seinem Experiment verschaffte sich Wück insgesamt mehr Spielraum – ein Effekt, der den DFB-Frauen zugutekam. Das registrierte auch Bühl: "Es tut uns als Team sehr gut, unterschiedliche Spielertypen auf dem Feld zu haben. Trainer haben da immer generell ein sehr gutes Händchen für, da vertrauen wir ihm voll und ganz." Eine Überraschung wie Brand auf der Zehn könne in gewisser Hinsicht auch etwas beim Gegner bewirken. "Dass es so gut funktioniert, wusste keiner davor." Mit dem knappen Erfolg hat sich Deutschland einen leichten, aber wichtigen Vorteil für das Rückspiel in Caen verschafft. Am Dienstag wird es im Halbfinal-Rückspiel also darum gehen, die neu gewonnenen Strukturen zu festigen und die Chancen konsequenter zu nutzen. Deutschland ist nun breiter aufgestellt und hat den nächsten Schritt gemacht – auch wenn nicht alles reibungslos verlief. Aber es war ein Schritt, der sich im Kampf um das Nations-League-Finale auszahlen könnte.
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