Kanzler Merz warnt vor einem Sozialstaat, den sich das Land nicht mehr leisten könne, SPD-Chefin Bas widerspricht. Doch wie teuer ist das alles eigentlich? Deutschland streitet über die Zukunft des Sozialstaats. "Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse", sagte Kanzler Friedrich Merz am Wochenende. Der Sozialstaat in seiner heutigen Form sei nicht mehr zu finanzieren. SPD-Chefin und Sozialministerin Bärbel Bas konterte scharf: Von der Vorstellung, Deutschland könne sich seinen Sozialstaat nicht mehr leisten, halte sie nichts. Das sei "Bullshit". Hinter der harten Rhetorik steckt ein ernster Konflikt: Die schwarz-rote Koalition ringt um ihren Kurs in Zeiten schwächelnder Wirtschaft und leerer Kassen. Noch in diesem Herbst sollen Reformgesetze wie die Aktivrente und die Frühstart-Rente folgen, zudem nimmt an diesem Montag eine von der Regierung eingesetzte Sozialstaatskommission ihre Arbeit auf. Das Gremium soll unter anderem Vorschläge für Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag erarbeiten – und Ideen entwickeln, wie man den Sozialstaat effizienter gestalten könnte. Rekordausgaben für Soziales – und sie steigen weiter Die Zahlen aus dem Haushaltsentwurf 2026 zeigen, wie groß der Sozialetat inzwischen ist. 197,4 Milliarden Euro will die Regierung für Arbeit und Soziales ausgeben – fast 38 Prozent des gesamten Bundeshaushalts. Kein Ressort ist teurer. Den größten Einzelposten machen mit 140,2 Milliarden Euro die Ausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung aus. Das sind fast drei Viertel aller Ausgaben des Arbeitsministeriums. An zweiter Stelle kommen mit 55,3 Milliarden Euro die sogenannten Leistungen nach dem Zweiten und Dritten Buch des Sozialgesetzbuchs und gleichartige Leistungen. Dazu gehören unter anderem das Bürgergeld (28 Milliarden Euro), die Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung von Bürgergeld-Empfängern (13 Milliarden Euro), Kosten für die Grundsicherung für Arbeitssuchende (5,3 Milliarden Euro) und für die Eingliederung in Arbeit (4,7 Milliarden Euro). Macht zusammen: 51 Milliarden Euro – fast so viel wie der gesamte Verteidigungsetat. Im kommenden Jahr soll das Bürgergeld allerdings nicht erhöht werden . Nullrunde auch 2026: So berechnen sich die Bürgergeld-Regelbedarfe Bürgergeld: Das sagen sechs Betroffene zu den angekündigten Reformen Im Vergleich: 2024 lagen die Ausgaben noch bei rund 181,6 Milliarden Euro, 2025 bereits bei 190,3 Milliarden Euro. Dass die Ausgaben steigen, liegt auch an der Bundesregierung selbst. Erst kürzlich hat das Kabinett dem Gesetzesentwurf zum Rentenniveau und zur Mütterrente seinen Segen gegeben. "Dieses Vorhaben wird die Ausgaben der Rentenversicherung weiter erhöhen und den Bundeshaushalt zusätzlich belasten", schrieb der Bundesrechnungshof in einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags. Das Parlament muss dem Rentenpaket noch zustimmen. Damit wird sichtbar, was viele Ökonomen kritisieren: Ein großer Teil des Bundeshaushalts fließt in gesetzlich gebundene Pflichtausgaben wie Renten, Grundsicherung, Bürgergeld, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und Zuschüsse zur Krankenversicherung. Diese Pflichtausgaben sind im Sozialgesetzbuch festgelegt und können nur im Rahmen von Gesetzen gekürzt oder geändert werden. Ist der Sozialstaat wirklich nicht mehr finanzierbar? Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gibt Deutschland im internationalen Vergleich allerdings eher durchschnittlich viel für Sozialleistungen aus: rund 27 Prozent des BIP. Damit liegt die Bundesrepublik im Mittelfeld der reichen OECD-Staaten. Auch wer noch mehr ins Detail geht, sieht: In Relation gesetzt erscheint die Lage schon weniger dramatisch. So sank etwa der Anteil der an die Rentenversicherung gezahlten Bundesmittel zwischen 2003 und 2022 von 3,5 Prozent des BIP auf 2,8 Prozent. Dennoch: Reformen halten beide Koalitionspartner für nötig, wenn auch offenbar in unterschiedlich starker Ausprägung. Während die Union harte Einschnitte fordert, setzt die SPD eher auf Anpassungen und betont, dass Sicherheit und soziale Stabilität nicht infrage gestellt werden dürfen. Auch Ökonomen wie der Wirtschaftsweise Martin Werding beschwichtigen. "Wir kommen noch über die Runden, müssen also keine Katastrophenszenarien malen", sagte er dem "Stern". "Aber wir stehen unter enormem Druck, und dieser Druck wird in den nächsten zehn Jahren noch deutlich zunehmen." Am kommenden Mittwoch ist der nächste Koalitionsausschuss geplant. Dann dürfte es vor allem um Bas' Pläne fürs Bürgergeld gehen – eine vergleichsweise kleine Ausgabe im Vergleich zur Rente .