Es kommt Schwung in die Finanzverwaltung: Künftig könnten die Finanzämter die Steuererklärungen der Bürger weitgehend selbst erledigen. Doch profitieren davon wirklich alle? Dieses Angebot würden wohl die wenigsten ausschlagen: Die lästige Pflicht zur Steuererklärung fällt weg, stattdessen übernehmen die Finanzämter den Job und machen einen Vorschlag, wie die Erklärung aussehen könnte. Der Steuerzahler nickt nur noch ab oder ergänzt allenfalls Ausgaben, von denen das Finanzamt nichts wissen konnte. Das alles funktioniert digital und mit wenigen Klicks per App. Was für den leidgeprüften Behördengänger zu bürgerfreundlich klingt, um wahr zu sein, könnte tatsächlich Realität werden. In mehreren Ecken des Landes wagte man zuletzt erste Schritte in Richtung einer automatischen Steuererklärung. So schaffte es im Sommer das Finanzamt Kassel in die Schlagzeilen , weil es einige Steuerzahler von sich darüber informierte, wie es die Einkommensteuer festzusetzen gedenkt, und sich dabei gleich ihr Okay einholte. In Bayern dachte man noch einige Nummern größer und ließ verlauten, dass man sich bei Bund und Ländern für die Entwicklung einer digitalen Lösung per App einsetze, die den Bürgern die Steuererklärung im Handumdrehen über die Steuersoftware Elster ermögliche. "Quasi mit nur einem Klick", sagte Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU). Es ist sein Bundesland, das Elster für Bund und Länder programmiert. Schon Mitte 2026 könne bundesweit der Startschuss für einen ersten Anwenderkreis fallen, sofern die übrigen Länder das Vorhaben unterstützen. Doch wie nah ist Deutschland wirklich an einem Ende der bisherigen Steuererklärungspraxis? Experten sehen noch mehrere Hürden. Einfacher heißt nicht unbedingt gerechter "So richtig einfach wird die Besteuerung nur mit mehr Pauschalen, die Einzelfallbetrachtung fiele dann weitestgehend weg", sagt Peter Schmitz, Geschäftsführer der Steuersoftware Wiso Steuer zu t-online. "Das wäre ein echter Systemwechsel, der Gewinner und Verlierer schafft. Auch die Steuer-Rechtsprechung müsste sich dafür ändern – weg von der Einzelfallgerechtigkeit." Auf ein einfacheres Steuerrecht weist auch Bayerns Finanzminister Füracker hin. "Deutschland leidet unter einer enormen Bürokratielast, Verschlankungen sind hier über alle Bereiche hinweg dringend notwendig. Auch der Steuerbereich kann und muss hier einen wichtigen Beitrag leisten – sowohl durch Vereinfachungen im Steuerrecht selbst als auch im Vollzug für Bürger und Verwaltung", sagte er t-online. Koalition prüft neue Steuerpauschale Die Idee, mittels Pauschalen zu entlasten, statt jeden Steuerfall bis ins kleinste Detail abzurechnen, hat es sogar in den Koalitionsvertrag von Union und SPD geschafft. Denn auch die Bundesregierung ist überzeugt, dass sich im Steuersystem etwas tun muss. Die berühmte Steuererklärung auf dem Bierdeckel, wie sie Bundeskanzler Friedrich Merz einst forderte, hat man sich zwar nicht zum Ziel gesetzt, wohl aber "eine Steuervereinfachung durch Typisierungen, Vereinfachungen und Pauschalierungen." Dabei prüfe man insbesondere eine Arbeitstagepauschale, "in der wir Werbungskosten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusammenfassen können." Die Prüfung sei noch nicht abgeschlossen, heißt es dazu vom Bundesfinanzministerium auf Anfrage von t-online. Arbeitstagepauschale bringt viele Vorteile Über eine Arbeitstagepauschale hatte sich bereits in der vergangenen Legislaturperiode die Expertenkommission "Bürgernahe Einkommensteuer" Gedanken gemacht. Sie schlug vor, alle Fahrtkosten, Homeoffice-Tage und das häusliche Arbeitszimmer in einer solchen Pauschale zusammenzufassen – zum Beispiel mit einem festen Betrag von 6 Euro pro Arbeitstag. Damit entfiele künftig die Notwendigkeit, genaue Kilometer oder einzelne Homeoffice-Tage zu dokumentieren. Wer sehr weit pendelt, könnte zusätzlich ab einer bestimmten Entfernung noch Kilometerkosten absetzen dürfen. Für die meisten Beschäftigten würde die Arbeitstagepauschale nach Einschätzung der Expertenkommission steuerliche Vorteile bringen. Weitere kleine Werbungskosten wie Arbeitsmittel oder Mitgliedsbeiträge könnten künftig ebenfalls pauschal berücksichtigt werden, um die Steuererklärung zu vereinfachen. Generell will die Bundesregierung Angestellte, aber auch Rentner, "so weit als möglich" von der Pflicht zur Steuererklärung entlasten, heißt es im Koalitionsvertrag. Und weiter: "Für einfache Steuerfälle sollen vorausgefüllte und automatisierte Steuererklärungen sukzessive ausgeweitet werden." Warum sollten Finanzämter Erstattungen anbieten? Wiso-Steuer-Chef Schmitz weist jedoch auf einen grundlegenden Konflikt zwischen den Interessen des Staates und den Interessen der Steuerzahler hin. "Das Finanzamt will korrekte und vollständige Steuern einziehen. Wir dagegen helfen den Bürgern, jede legale Ersparnis für sich zu nutzen . Wer einen amtlichen Entwurf ungeprüft akzeptiert, sollte also wissen, dass er damit womöglich Geld verschenkt", warnt er. Und: "Das Interesse der Finanzämter, eine Erklärung so vorauszufüllen, dass es zu einer Erstattung führt, dürfte eher begrenzt sein." Tatsächlich stellt sich die Frage, ob künftig wirklich alle Bürger von der automatischen Steuererklärung profitieren sollen – oder nur jene, die zur Abgabe verpflichtet sind und daher meist Steuern nachzahlen müssen ? Damit blieben Millionen Steuerzahler außen vor, die ihre Steuerschuld bereits mit den monatlichen Lohnsteuerzahlungen abgegolten haben, aber im Schnitt eine Erstattung von mehr als 1.000 Euro bekämen, würden sie ihre Steuern freiwillig erklären. Ministerium schweigt sich aus Die Frage von t-online, ob die Finanzämter künftig für alle Steuerpflichtigen die Steuererklärung vorausfüllen oder nur für denjenigen, die zur Abgabe verpflichtet sind, ließ das bayerische Finanzministerium genauso unbeantwortet wie jene, ob die Finanzverwaltung nicht Gefahr laufe, letztlich weniger Geld einzunehmen, wenn sie auch für all jene die Steuererklärung mache, die sich ihre Erstattung bisher haben entgehen lassen. Das könnte darauf hindeuten, dass die automatische Steuererklärung tatsächlich nur für jene gedacht sein dürfte, die zur Abgabe verpflichtet sind – so wie es auch schon in Kassel praktiziert wird. "Das Pilotprojekt ist ein guter erster Schritt, aber keine bahnbrechende Lösung, um an zu viel gezahlte Steuern zu kommen", erklärt Schmitz. "Es werden jetzt nur jene behutsamer angefasst, die zu einer Steuererklärung verpflichtet sind, aber noch keine abgegeben haben." Werden Renten bald direkt netto ausgezahlt? Schon das wäre für viele aber wohl eine Erleichterung. Insbesondere Rentner erwischt die plötzliche Pflicht zur Steuererklärung immer wieder kalt. Da die Rentenversicherung bei der Auszahlung anders als Arbeitgeber keine Steuern einbehält, werden Steuererklärungen für viele Rentner Pflicht. Und damit oft auch Nachzahlungen ans Finanzamt. Aus Sicht von Florian Köbler, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG), sollte sich das ändern – durch einen automatischen Quellenabzug direkt durch die Rentenkasse . Die Rentenversicherung sollte also künftig nicht nur Sozialversicherungsbeiträge einbehalten, sondern auch die Einkommensteuer. "Tausende Arbeitgeber machen jeden Monat bei der Lohnsteuer nichts anderes", sagte Köbler bereits im Juli zu t-online. Die Daten seien alle da und auch die Technik. "2026 ist realistisch, wenn man sich beeilt." Das Bundesfinanzministerium erklärte auf Anfrage, dass man derzeit gemeinsam mit den Ländern erörtere, wie man die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag zur einfacheren Steuererklärung umsetzen könne. "Dabei reicht das Spektrum von der 'Steuererklärung mit einem Klick' über eine erklärungslose Einkommensteuerveranlagung bis zur perspektivischen Möglichkeit eines Quellensteuerabzugs", sagte eine Sprecherin. "Ziel ist es, dass im kommenden Jahr testweise erste Personengruppen von Erleichterungen profitieren."