USA, Russland und China kämpfen um Macht im Weltraum: "Jagd ist eröffnet"

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Machtpolitik ist längst nicht mehr auf die Erde beschränkt – auch im Weltall sind die Staaten auf Expansionskurs. Wie gefährlich das werden kann, erklärt Experte Tim Marshall. Unten auf der Erde wankt die alte Weltordnung gewaltig, just zu dem Zeitpunkt, an dem die Staaten dieser Erde verstärkt ins Weltall aufbrechen. Mehr und mehr Satelliten umkreisen den Globus, Ressourcen jenseits der Erde sollen zukünftig abgebaut werden, und Elon Musk will die Menschheit zum Mars bringen. Wie gefährlich ist der Konkurrenzkampf im All? Was geht da oben überhaupt vor? Und hat Elon Musk mit seinem Mars-Vorhaben eine realistische Chance? Diese Fragen beantwortet Tim Marshall, Experte für Geopolitik und Autor des Buches "Die Geografie der Zukunft" im Gespräch. t-online: Herr Marshall, Geopolitik beschränkt sich längst nicht mehr auf die Erde, sondern findet auch im Weltraum statt. Wie sieht es da oben aus? Tim Marshall: Es ist ziemlich voll geworden. Gerade in den unteren Erdumlaufbahnen ist ziemlich viel los, dort tummeln sich neben der Internationalen Raumstation unzählige Satelliten, ohne die unser gewohntes Leben nicht mehr möglich wäre: Paketzusteller müssten wieder Straßenkarten zücken, Schiffe würden auf dem Meer vom Kurs abkommen und die Fahrer von Rettungswagen die Orientierung verlieren. Wenn Sie ihr Auto auftanken und per Kreditkarte zahlen, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Satellit mit ihm Spiel. Auch eine moderne Kriegsführung ist ohne Satelliten gar nicht mehr denkbar. Was passiert in Sachen Geopolitik am Firmament genau? Im Weltraum passiert genau das Gleiche wie auf der Erde. Es ist ein Spiegel der Geopolitik: Die USA , Russland und China sind die dominierenden Mächte, andere Staaten wollen den Anschluss nicht verlieren. So wie wir Europäer. Im Weltraum herrschen also die gleichen Spannungen und Kooperationen wie hier unten. Jeder will etwa seine Satelliten am bestmöglichen Ort platzieren. Aufklärungs- und Spionagesatelliten verfügen mittlerweile über eine Auflösung von 15 Zentimetern: Da können Sie nicht nur einen Spion identifizieren, der an irgendeinem Ort der Welt spazieren geht, sie können auch die Marke seiner Sonnenbrille erkennen. Platziert sind diese Satelliten meist in den schon erwähnten unteren Erdumlaufbahnen, wo auch die Internationale Raumstation (ISS) in einer Höhe von rund 400 Kilometern die Erde umkreist. In den unteren Erdumlaufbahnen dürfte es mittlerweile recht eng geworden sein? So ist es. Die unteren Erdumlaufbahnen reichen von rund 160 Kilometern bis 2.000 Kilometer oberhalb des Meeresspiegels. Dort tummeln sich allerhand Satelliten, die zum Beispiel der Wetterbeobachtung, der militärischen Aufklärung sowie der Navigation hier unten auf der Erde dienen. Mehr als 80 Staaten haben mittlerweile Satelliten im All stationiert, dazu auch allerhand private Unternehmen. Es gibt derzeit weit über 8.000 Satelliten, und in den nächsten Jahren werden noch Tausende weitere gestartet. So die Starlink-Satelliten von Elon Musk. Ja. Sie bewegen sich in einer Höhe von 550 Kilometern. Ihre Bedeutung hat sich im Ukraine-Krieg gezeigt, die ukrainische Armee hat gerade zu Beginn der russischen Vollinvasion enorm davon profitiert. Zugleich hat Musk enorme Macht angesammelt, wenn er entscheidet, wer Starlink nutzen darf und wie lange. US-Präsident Ronald Reagan rief in den Achtzigerjahren die Strategic Defense Initiative, besser bekannt als Star Wars , ins Leben. Ist die Menschheit durch den technischen Fortschritt einem solchen "Krieg der Sterne" näher gerückt? Der "Krieg der Sterne" ist wiederauferstanden, ja. Damit meine ich weniger, dass wir nun auf der Erde aus dem Weltall beschossen werden könnten. Aber ein moderner Krieg wird aus dem Weltraum geführt – und der Ukraine-Krieg ist tatsächlich der erste Weltraumkrieg. Warum? Beide Seiten – die Ukraine und Russland – verfügen über weltraumgestützte Mittel: Das reicht von nachrichtendienstlichen Abhörsatelliten bis hin zur Steuerung von Angriffen per Drohne aus dem All. Spannend wird es übrigens, wenn wir noch etwas weiter hinauf blicken in den hohen Erdorbit der geosynchronen und geostationären Umlaufbahnen. Was befindet sich dort? Dort befinden sich sechs Advanced-Extremely-High-Frequency-Satelliten der Vereinigten Staaten. Wir reden hier über eine Höhe ab rund 36.000 Kilometern oberhalb des Meeresspiegels. Diese Satelliten sind fest verbunden mit den Militärflugzeugen der United States Air Force und dem US-Frühwarnsystem. Dazu stehen sie in Verbindung mit den Streitkräften der Briten, Niederländer, Australier und Kanadier. Sie sind für den Ernst- und Krisenfall dort oben, die Russen haben ein vergleichbares System in dieser Höhe stationiert, bei den Chinesen vermutet man es. Umlaufbahnen für die eigenen Satelliten sind der eine "Claim", den die Nationen im All abstecken wollen. Aber es geht doch auch um mehr? Es geht um viel mehr. Die Jagd ist eröffnet, Rohstoffe sind das Ziel. 2023 ist Bundeskanzler Olaf Scholz nach Südamerika gereist, dort verfügen Argentinien, Bolivien und Chile über riesige Vorkommen an Lithium, das für die Akkus von E-Autos gebraucht wird. Wo werden allerdings weitere große Mengen dieses Elements vermutet? Auf dem Mond. Die Sicherung von Ressourcen, die die Staaten hier auf der Erde betreiben, wird auch im All stattfinden. Zudem könnten zukünftig noch ganz andere Dinge möglich werden. Welche? Dem California Institute of Technology ist es vor nicht allzu langer Zeit gelungen, drahtlos Energie aus dem All auf die Erde zu transportieren. Das klingt nun nach Science-Fiction, aber wie wäre es, wenn in Zukunft riesige Solarparks im All Energie der Sonne zu uns auf die Erde leiteten? Das würde einige Probleme hier unten lösen. Allerdings türmen sich bei uns auf der Erde neue Probleme derzeit auf: Die alte Weltordnung zerbricht durch Wladimir Putin , Donald Trump und Xi Jinping . Sie haben recht. Die bisherige Ordnung auf unserem Planeten ist im Niedergang begriffen, das lässt nichts Gutes ahnen. Erst recht nicht in Bezug auf das Weltall. Es ist sogar sehr gefährlich, weil ein kleiner Fehler zur Katastrophe führen kann. Bitte erklären Sie das näher. Was würde passieren, wenn in dieser angespannten globalen Situation ein Land damit beginnen würde, Weltraummüll zu beseitigen, beispielsweise einen ausgefallenen Satelliten, der in der Tat ein großes Problem darstellt? Andere Länder könnten durchaus den Verdacht hegen, dass es sich um einen Vorwand für einen Angriff auf ihre eigenen Satelliten handelte. Auf welche Weise lassen sich Satelliten im All zerstören? Das ist eine lang erprobte Technologie. Schon 1959 haben die USA die ersten Antisatellitenwaffen, ASATs abgekürzt, erprobt. Später fand dies Eingang in Reagans "Krieg der Sterne". Die Sowjets haben übrigens 1974 eine Schnellfeuerkanone auf ihrer Saljut-3-Raumstation installiert – zum Schutz, behaupteten sie. Das System war furchtbar umständlich, heute ist man da viel weiter. Es gibt ballistische Raketen, dazu Laserstrahlen, die bis in geostationäre Umlaufahnen hinauf Schaden anrichten können. Auch per starken Mikrowellen und Cyberangriffen lassen sich Satelliten außer Gefecht setzen. Dann könnte es richtig gefährlich werden. Das ist aber noch nicht alles. Was noch? Warum sollte man die Greifarmee eines Reinigungssatelliten nicht so umfunktionieren, dass er einen anderen Satelliten aus seiner Bahn wirft? Das sind sogenannte Dual-use-Technologien: Solche Satelliten können Weltraumschrott beseitigen, das ist gut, sie können aber auch zum Angriff eingesetzt werden: Das kann im Desaster enden. Darüber hinaus lassen sich Satelliten per Chemikalie einnebeln, damit sie sozusagen "blind" werden. Aber es muss doch nicht in der Katastrophe enden? Das muss es keineswegs. Aber ich befürchte, dass in Zukunft Laser- und möglicherweise sogar Atomwaffen auf Satelliten installiert werden. Der Vergleich mit der Geschichte der Atomwaffen gibt aber Hoffnung. Nachdem die USA Atomwaffen entwickelt hatten, tat dies auch die Sowjetunion. Beide Seiten häuften immer mehr an, derart viele, um die Erde gleich zigfach in die Luft jagen zu können. Dann wurde ihnen gerade bewusst, dass sie eine Reduzierung aushandeln mussten. Nun haben wir wieder eine spannungsreiche Zeit, aber so muss es nicht enden. Wir werden im Weltall einen Prozess der Militarisierung durchlaufen, aber hoffentlich davon wieder abkommen. Wir haben bislang vor allem über Staaten gesprochen. Was ist aber mit Elon Musk, ohne dessen Unternehmen SpaceX die USA zumindest derzeit keinen Menschen mehr in den Weltraum bekommen? Musk hat ziemlich große Pläne. Pläne, die mindestens bis zum Mars reichen. Den Mars dauerhaft bewohnbar zu machen, ist allerdings mehr Fantasterei als denkbare Realität. Mit weit geringerem Aufwand ließe sich der Klimawandel auf der Erde stoppen. Musks Satellitengeschäft ist allerdings ein echter Zukunftsmarkt. Tausende Satelliten werden in den nächsten Jahren raufgeschossen, 2030 könnten schon 30.000 im Orbit sein. Dann wird es richtig interessant, denn selbst das All hat seine Grenzen. Elon Musk ist mittlerweile nicht nur superreicher Unternehmer, sondern zusätzlich im Lager Donald Trumps etabliert. Auch Jeff Bezos , früherer Amazon-Chef und nun Weltraumunternehmer, wie auch andere Tech-Milliardäre sind auf die Linie des US-Präsidenten eingeschwenkt. Was bedeutet das? Das ist ein sehr besorgniserregendes Bild, wenn Politik und Wirtschaft so eng zusammenrücken. Eigentlich soll die Politik den Unternehmen ja Regeln setzen. Aber die alten Ordnungen erodieren gerade. Im Weltall wird gerade um die Vorherrschaft gekämpft, bei uns auf der Erde ist das auch nicht anders. Wird Musk sein Ziel einer bemannten Marslandung verwirklichen können? Musk wird es um jeden Preis versuchen. Seine Raketen sind gut, die Robotik schreitet voran. Ich denke, dass er in den 2030er-Jahren eine Landung mit Robotern hinbekommen könnte. Aber mit Menschen? Das bleibt offen. Herr Marshall, vielen Dank für das Gespräch.
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