In Deutschland wird über einen Jahrhundert-Winter spekuliert. Doch wetten sollte darauf niemand – aus gutem Grund. Meldungen über einen möglichen "Jahrhundert-Winter" lösten diese Woche Wirbel aus: arktische Kälte, zugefrorene Seen, leere Gasspeicher. Auslöser waren Berichte über einen geschwächten Polarwirbel über dem Nordpol – doch Meteorologen betonten: Daraus folge erst einmal nichts. Ozeantemperaturen, Strömungen, Großwetterlage – vieles spiele für die Wetterlage eine Rolle. Wer ehrlich ist, müsste also sagen: Niemand weiß heute, wie hart der bevorstehende Winter wirklich wird. Spekulationen boomen trotzdem – nicht nur beim Wetter , sondern auch beim Ausgang von Wahlen, Castingshows im Fernsehen oder Pferderennen. Und wo spekuliert wird, ist die Wette nicht weit: Wer auf "das richtige Pferd" setzt und mit vermeintlicher Expertise am Ende richtig liegt, könnte viel Aufmerksamkeit erregen – und vielleicht sogar Geld verdienen. Doch welche Wetten sind in Deutschland überhaupt legal und welche sind tabu? Glücksspiel oder bloß Wette? Rechtlich gesehen bewegen sich Wetten und Glücksspiel auf gleichem Terrain, inhaltlich gibt es jedoch feine, aber entscheidende Unterschiede. Der Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) definiert Glücksspiel als ein Spiel, bei dem für eine Gewinnchance Geld eingesetzt wird und bei dem der Ausgang ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Kurz gesagt: Beim reinen Glücksspiel hofft man auf Glück statt auf Wissen. Eine Wette hingegen scheint auf den ersten Blick rationaler. Sie beruht auf der Einschätzung eines zukünftigen Ereignisses – etwa darauf, welches Pferd zuerst ins Ziel läuft. Hier kommt Wahrscheinlichkeit ins Spiel: Wer über Fakten, Erfahrung oder gute Analysen verfügt, glaubt, den Zufall ein Stück weit austricksen zu können. Doch diese Kontrolle bleibt begrenzt. Selbst die besten Prognosen können danebenliegen – und damit entscheidet am Ende doch der Zufall über Sieg oder Niederlage, Gewinn oder Verlust. Wissenschaftler sprechen von einer "Skill–Chance-Ratio", also dem Verhältnis zwischen Können (Skill) und Zufall (Chance). Bei Sportwetten liegt der Anteil des Zufalls bei rund 70 bis 90 Prozent, bei Poker bei etwa der Hälfte. Bei Roulette oder Spielautomaten dagegen bestimmt fast ausschließlich der Zufall den Ausgang. Bereich Anteil Zufall Anteil Können Beispiel Lotto / Automatenspiele 100 % 0 % Spieler kann das Ergebnis nicht beeinflussen Roulette / Online-Automaten 99–100 % ~0 % reiner mathematischer Zufall (RNG) Sportwetten 70–90 % 10–30 % Analysen verbessern nur begrenzt die Prognose Poker (Turnierform) 40–60 % 40–60 % kurzfristig Glück, langfristig Können entscheidend Schach / E-Sport / Fantasy-Leagues 90 % fast vollständig wissens- oder strategiebasiert Deshalb behandelt der Gesetzgeber in Deutschland auch Wetten als Glücksspiel, sobald Geld im Spiel ist. Denn trotz aller Berechnungen bleibt der Ausgang unvorhersehbar. Warum Wetterwetten in Deutschland verboten sind Wer allerdings darauf wetten möchte, ob es im Januar schneit oder ob der Sommer zu heiß wird, stößt in Deutschland schnell an eine rechtliche Grenze. Der Glücksspielstaatsvertrag erlaubt nur Wetten auf sportliche Ereignisse – also Ergebnisse von Fußballspielen, Pferderennen oder ähnlichen Wettbewerben. Der Grund: Sport wird in Deutschland als Sonderkapitel innerhalb des Glücksspielrechts eingestuft, da das sportliche Ergebnis durch menschliche Leistung bestimmt wird. Die gängige Lesart lautet: Der sportliche Wettkampf ist ein Fähigkeitsspiel, kein Zufallsspiel. Anders beim Poker. Poker ist nach deutschem Recht ein Glücksspiel. Das bedeutet, dass der Ausgang überwiegend vom Zufall (Kartenverteilung) abhängt und es keinen sportlichen Wettkampf gibt, sondern ein Spiel mit Geldeinsatz und Gewinnchance. Das Wetten auf den Ausgang eines Pokerspiels oder auf den Ausgang eines Pokerturniers ist somit nicht erlaubt. Genauso wenig ist das Wetten auf das Wetter, auf politische Ereignisse oder gar auf den Ausgang einer Castingshow zugelassen. Der Grund liegt weniger im Zufall selbst – denn auch beim Pokern oder am Roulettetisch entscheidet der Zufall –, sondern in der rechtlichen Einordnung und gesellschaftlichen Funktion. Spiele wie Poker oder Roulette sind ausdrücklich als Glücksspiele zugelassen, weil sie in einem kontrollierten Umfeld stattfinden: in einer Spielbank oder bei einem lizenzierten Online-Anbieter, unter Aufsicht der Behörden und mit klaren Regeln für Einsatz, Transparenz und Spielerschutz. Wetterwetten gelten dagegen als nicht genehmigungsfähig, weil sie keiner regulierten Spielumgebung zugeordnet werden können. In Spielbanken oder Online-Casinos lässt sich der Zufall technisch kontrollieren – etwa durch geprüfte Zufallsgeneratoren oder Aufsichtssysteme. Beim Wetter dagegen liegt der Zufall außerhalb menschlicher Kontrolle. Niemand kann festlegen, wann ein Winter als "Jahrhundert-Winter" gilt oder ein Sommer als zu heiß. Außerdem haben solche Wetten – anders als Sportwetten oder Lotterien – keinen anerkannten gesellschaftlichen Nutzen. Sie dienen allein der Spekulation, ohne dass ein sportlicher oder sozialer Zweck dahintersteht. Deshalb zieht der Gesetzgeber hier eine klare Linie: Wetten dürfen nur dort stattfinden, wo Kontrolle, Transparenz und Aufsicht gewährleistet sind. Heißt: Der Gesetzgeber soll vor Betrug und Manipulation schützen – und genau das wäre bei Wetterwetten kaum möglich. In den USA zählen Wetten als Wahlprognose In den Vereinigten Staaten geht der Staat deutlich entspannter mit Wetten auf nicht-sportliche Ereignisse um. Dort gilt: Entscheidend ist nicht, worauf gewettet wird, sondern wie. Seit einem Gerichtsurteil im Herbst 2024 dürfen Plattformen wie Kalshi oder Polymarket offiziell Wetten auf politische Ereignisse oder Wetterphänomene anbieten. Die rechtliche Grundlage dafür ist jedoch nicht das Glücksspielrecht, sondern das Finanzmarktrecht. Diese Plattformen werden von der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) überwacht – der Behörde, die in den USA auch Terminbörsen reguliert. Die Wetten gelten hier als sogenannte "Event Contracts" oder "Prediction Markets", also als spezielle Termingeschäfte. Wer dort teilnimmt, kauft keine klassische Wette, sondern einen Ja/Nein-Kontrakt: Wird etwa gefragt, ob es am Samstag in New York regnet oder ob ein bestimmter Kandidat die Präsidentschaftswahl gewinnt, können Nutzer einen "Ja"- oder "Nein"-Kontrakt erwerben – zu einem Preis zwischen 0 und 1 Dollar. Tritt das Ereignis ein, wird der Kontrakt mit 1 Dollar ausgezahlt, andernfalls ist er wertlos. Der Kurs des Kontrakts spiegelt also die Markterwartung wider. Ein Preis von 0,70 Dollar bedeutet: Der Markt hält das Ereignis für zu 70 Prozent wahrscheinlich. Damit ähneln diese Wetten eher einer Finanzprognose als einem Glücksspiel. Der Gedanke dahinter: Wenn viele Menschen mit echtem Geld auf ein Ereignis setzen, entsteht ein "Schwarmwissen", das nützliche Informationen über Wahrscheinlichkeiten liefert. Wetten werden hier zu Prognoseinstrumenten. So lassen sich nicht nur Wettertrends, sondern auch politische oder wirtschaftliche Entwicklungen abschätzen – ähnlich wie an einer Börse. Verstoß gegen das Glücksspielgesetz: kein Kavaliersdelikt Wer in Deutschland ohne Genehmigung Glücksspiele oder Wetten anbietet, begeht keine harmlose Spielerei, sondern unter Umständen eine Straftat. Das gilt auch dann, wenn es sich nur um kleine Einsätze oder private Runden handelt. Die rechtliche Grundlage findet sich in Paragraf 284 des Strafgesetzbuchs (StGB). Demnach macht sich strafbar, wer öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet oder fördert, ohne dafür eine behördliche Erlaubnis zu besitzen. Dazu zählen etwa das Anbieten oder Vermitteln von illegalen Glücksspielen, der Betrieb nicht genehmigter Online-Casino-Plattformen oder auch regelmäßig organisierte Pokerrunden mit Geldgewinnen. Im Ernstfall drohen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren, bei gewerbsmäßigem Handeln sogar bis zu fünf Jahren. Schon der Versuch – also etwa das Werben für eine illegale Wettplattform – kann strafbar sein. Auch Teilnehmer sind nicht völlig aus dem Schneider. Sie riskieren den Verlust ihres Einsatzes und können Bußgelder erhalten. Gewinne aus illegalem Glücksspiel dürfen nicht behalten werden; die Behörden können sie beschlagnahmen, weil sie aus einer rechtswidrigen Handlung stammen. Zwischen Wissen, Zufall und Verbot Kalter Winter, weiße Weihnacht? Spekulieren liegt in der menschlichen Natur. Wir möchten wissen, was kommt, und haben das Bedürfnis, Unsicherheit in Wahrscheinlichkeiten zu verwandeln. Wetten sind eine besonders zugespitzte Form dieser Neugier, denn sie geben dem Risiko einen Preis. Ob ein "Jahrhundert-Winter" kommt, wie ihn sich einige vielleicht wünschen, während andere davor lieber in wärmere Gefilde fliehen, wird sich zeigen – wetten darf man darauf nicht. Spekulieren ist erlaubt.