Fast jede Woche in diesem Jahr lieferte der Dax einen neuen Rekord. Wann hat es das je gegeben? Doch der Preis ist hoch. Und auch der US-Präsident mischt mit. Rund drei Dutzend Rekorde feierte der deutsche Aktienindex Dax allein in diesem Jahr. Und das, obwohl Deutschland auf das dritte Rezessionsjahr in Folge zusteuert, also drei Jahre ohne Wirtschaftswachstum hinter sich gebracht hat. Wieso hat sich die Börse von der Realität abgekoppelt? Haben Börsianer das nicht auf dem Schirm? Doch – aber sie haben eine eigene Maßeinheit: die Zukunft. Der Kalauer, an der Börse werde die Zukunft gehandelt, ist nun mal wahr. Und die Zukunft sieht, zumindest in der Erwartung und nach Einschätzung der Börsianer, besser aus als die gegenwärtige Lage. Dafür gibt es drei Gründe. Hoffnung auf Investitionen, KI und günstige Zinsen Nummer eins: Viele rechnen damit, dass die von der Bundesregierung geplanten Investitionen in Infrastruktur und die Bundeswehr greifen. Nirgendwo lässt sich das besser ablesen als in der boomenden Rüstungsbranche. Aktien der einschlägigen Unternehmen wie Rheinmetall oder Renk steigen und steigen . Zweitens ist da der Boom der Künstlichen Intelligenz (KI). In Deutschland gibt es wenige große oder gar börsennotierte KI-Unternehmen. Sie alle surfen aber auf einer Welle, die seit Jahren immer größer wird. Allen voran treibt der US-Chipausrüster Nvidia den Aufschwung . Die Aktie ist binnen drei Jahren um 1.500 Prozent gestiegen. Investoren sind bereit, für jeden Dollar künftiger Gewinne heute 50 Dollar zu bezahlen. Solange die Spekulation, dass die hoch bewerteten Unternehmen trotz hoher Investitionen ihre Gewinne oder wenigstens ihre Umsätze steigern, aufgeht, ist alles noch gut. Die Frage ist: Was, wenn die Lage kippt? An der Wall Street wird derzeit täglich diskutiert, ob der Boom bereits eine Blase ist und ob beziehungsweise wann diese platzen könnte. Drittens halten die erhofften Zinssenkungen die Börsen in den USA im Dauerlauf . Ich persönlich finde, das sind ziemlich viele Hoffnungsfaktoren – zu viele. Doch die positive Stimmung schwappt nach Europa und auch an den deutschen Aktienmarkt. Obwohl hier im Euroraum die Zinsen nicht mehr oder nur noch marginal sinken dürften. Am Ende geht es auch hierzulande um die US-Wirtschaft. Und so gut also die Erwartungen der Börsianer auch sein mögen, es lauern auch Risiken hinter dem Börsenaufwind. Zinssenkungen müssen US-Wirtschaft am Laufen halten Das erste Problem sind die Zinssenkungen: Sie sind ein mögliches Vitamin, das die Notenbank einer schwächelnden Wirtschaft verabreichen kann. Und wir sehen seit Längerem, dass sich der Arbeitsmarkt in den USA abschwächt. Ein schlechtes konjunkturelles Zeichen. Wo weniger Leute gebraucht und eingestellt werden, ist weniger Wachstum zu erwarten. Und in einigen Branchen tun die Importzölle der US-Regierung ein Übriges. Wachsende Inflationssorgen kommen dazu. Genaue Daten gibt es derzeit nicht, denn es ist Shutdown in den USA . Wegen klammer Kassen sind viele Bundesbehörden geschlossen. Es fehlen also auch die regelmäßigen Statistiken und Konjunkturdaten. Doch weitere Zinssenkungen würden der Wirtschaft guttun. Viele bezeichnen sie als "Muss". Und so steigen die Kurse in den USA in Erwartung sinkender Zinsen. Einige Bewertungen sind "sportlich" Der Dauerlauf der Börsen hat inzwischen einige recht sportliche Bewertungen mit sich gebracht. Wir hatten gerade Nvidia und KI-Aktien im Blick. Aber auch in anderen Sektoren sind die Kurse kräftig geklettert, zum Beispiel im Finanz- oder Militärsektor. Nun sind hohe Bewertungen nicht grundsätzlich schlecht. Wenn das erwartete Wachstum tatsächlich kommt, sind die Bewertungen gerechtfertigt. Wenn nicht, könnten die entsprechenden Aktien deutlich im Kurs absacken – eine sogenannte Korrektur. Um bildlich zu sprechen: Die Flut hebt zunächst alle Boote. Doch auf lange Sicht kehren Kurse dahin zurück, wo sie als fair betrachtet werden. Immer. Berichtssaison gut angelaufen Ein nächstes Update liefert aktuell die Berichtssaison: Unternehmen melden also ihre Zahlen für das dritte Quartal. Und hier sind die Erwartungen – einmal mehr – sehr hoch: Analysten des Daten-Analysehauses FactSet erwarten, dass die Unternehmen aus den USA, die im S&P-500-Index notiert sind, ihre Gewinne im Schnitt um 8 Prozent gesteigert haben. Im Sommer waren sie noch von 7,3 Prozent ausgegangen. Begründung: In den vergangenen vier Quartalen haben die meisten Unternehmen die Erwartungen übertroffen. Sektoren wie die Finanzbranche dürften sogar ein prozentual zweistelliges Gewinnwachstum hinlegen. In Deutschland steigt SAP am 20. Oktober als erstes großes Unternehmen in den Berichtsring. Auch hierzulande sind die Erwartungen hoch. Vor allem an das Cloud-Wachstum und daran, wie sich Künstliche Intelligenz zu Geld machen lässt. SAP ist ein Schwergewicht im Dax. Zeitweise war es das wertvollste börsennotierte Unternehmen in Europa in diesem Jahr. Im Sommer knickte der Kurs ein – Skepsis um KI hatte sich breitgemacht. Derzeit ist die Aktie ungefähr da, wo sie zu Jahresbeginn schon stand. Ohne diese Korrektur stünde der Dax noch höher. US-Banken legen vor Erste Zahlen der großen US-Investmentbanken zeigen: Die Erwartungen werden mehrheitlich erfüllt. So steigerte die US-Bank J.P. Morgan ihren Nettogewinn im abgelaufenen Quartal um 12 Prozent auf 14,4 Milliarden Dollar – mehr als erwartet. Bei Goldman Sachs stand mit 4,1 Milliarden Dollar Gewinn ein Plus von 37 Prozent in der Bilanz. Aber auch der Chef von J.P. Morgan, Jamie Dimon, betonte die Risiken. Die da wären: die geopolitischen Rahmenbedingungen, die Zölle, die Preise für Vermögenswerte, das Inflationsrisiko. Da reiht sich das nächste Risiko ein: der Handelskrieg zwischen den USA und China , nennen wir es beim Namen. Denn die nächste Runde ist bedauerlicherweise eingeläutet: US-Präsident Trump drohte China Zölle von weiteren 100 Prozent an , weil China den Export von Rohstoffen wie etwa Seltene Erden schärfer kontrolliert. Umgehend krachten die Kurse an vielen Börsen der Welt ein, nur um am nächsten Handelstag wieder zu steigen. Wieder einmal TACO An der Börse hat sich dafür ein Begriff etabliert: TACO-Trade. TACO steht für: Trump Always Chickens Out. Trump macht am Ende doch immer einen Rückzieher. Tatsächlich hatte der US-Präsident auch bei den China-Zöllen schnell versöhnliche Worte gefunden: Alles werde gut , die USA wollten China nicht schaden , schrieb er unter anderem auf seiner Plattform Truth Social . Die Börsen legten wieder zu – auch der Dax. Doch dem Rest der Welt ist klar: Mit den Seltenen Erden hat China ein extrem scharfes Schwert in der Hand . Die begehrten Metalle gibt es zwar auch in Kanada , in Australien oder der Ukraine . 70 Prozent der weltweiten Vorkommen hat aber China. Und: China leistet 90 Prozent der Verarbeitung aller Seltenen Erden. Das Land trennt also andere Mineralien und Gesteine von den wertvollen Rohstoffen, bereitet das Rohmaterial auf und liefert es wieder an die Länder, die ihre Seltenen Erden nach China geschippert hatten – um sie eben dort verarbeiten zu lassen. Eine Welt ohne Seltene Erden funktioniert nicht Wenn China aber keine Seltenen Erden mehr liefert – auch an die EU nicht – wird kein Auto, kein Panzer oder kein Windrad mehr gebaut. Überall sind diese Rohstoffe drin, in unterschiedlichen Mengen. Kurz: Eine Welt ohne Seltene Erden funktioniert nicht. Und China bestimmt, wer diese Rohstoffe bekommt – und zu welchem Preis. Ein enormes Risiko. Lesen Sie auch: China trifft brisante Entscheidung Auch interessant: Das ist ein neuer Schlag für die Autoindustrie (Börsenkolumne) Analyse: Die Goldrally könnte erst begonnen haben (Börsenkolumne) Europas Risiken Risiken hat aber auch Europa beziehungsweise Deutschland selbst zuhauf: anhaltender Krieg in der Ukraine mit neuen Eskalationen; fehlendes deutsches Wirtschaftswachstum als Zugpferd für Europa; wirtschaftliche, fiskalische und politische Krise in Frankreich . Dessen wird man vor allem am Markt für Edelmetalle gewahr: Gold steigt von Rekord zu Rekord seit Jahresbeginn um fast 60 Prozent – eine unfassbare Rally. Und ein Aufschrei nach Sicherheit. Hier spielt die galoppierende US-Staatsverschuldung eine enorme Rolle; überhaupt die wachsenden Verschuldungen von Staaten. Und die Abwertung des US-Dollars zu vielen anderen Währungen, selbst zum Euro. Hierzu trägt die politische Instabilität Frankreichs erheblich bei. Die Risiko-Aufschläge für französische Staatsanleihen sind gestiegen . Flucht in Gold und Krypto Was passiert nun: Flucht aus Staatsanleihen, Zuflucht in Wertspeicher wie Gold. Und auch in Kryptowährungen. Gerade erreichte der Bitcoin ein neues Allzeithoch – auch, weil er ähnlich wie Gold in der Menge limitiert ist. Immer mehr Investoren scheinen hier eine Alternative zu Papiergeld zu sehen. Manche nennen ihn "digitales Gold". Die Kursrally beim echten Gold läuft übrigens schon seit drei Jahren – und steht 150 Prozent im Plus. Kriege und Krisen fordern ihren Tribut, lassen Anleger in Sicherheit flüchten. Man muss sich aber vor Augen halten: Früher galten US-Staatsanleihen und der US-Dollar ebenfalls als sichere Vermögenswerte, sogenannte sichere Häfen. Jetzt ist lediglich Gold übrig . Das sollte zu denken geben. Zwei Fazits: Statistisch ist die beste Börsenzeit jetzt. Und es spricht immer noch einiges für Aktien. Aber die Statistik zeigt auch: bei stark steigenden Goldpreisen ist meist eine Rezession im Anmarsch. Krisenwährungen steigen in Krisen und weniger in friedlichen, stabilen Wachstumsphasen.