Florian Wirtz: Stefan Effenberg verteidigt Nagelsmann-Entscheidung

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Stefan Effenberg erklärt, warum Bundestrainer Julian Nagelsmann mit seiner Kadernominierung alles richtig gemacht hat – trotz eines Widerspruchs. Dem FC Bayern macht er eine Vorhersage. Der Kader der deutschen Nationalmannschaft für die anstehenden beiden Länderspiele in der WM-Qualifikation steht fest, Bundestrainer Julian Nagelsmann hat am Donnerstagvormittag die 24 Spieler bekannt gegeben, mit denen Deutschland wieder voll Kurs auf die Weltmeisterschaft 2026 in den USA, Kanada und Mexiko setzen will. Und ich frage Sie, liebe Leser: Gibt es einen derzeit gesunden Spieler, den Sie in diesem Aufgebot wirklich vermisst haben? Einmal mehr hat diese Nominierung gezeigt: Viel mehr gibt der deutsche Fußball aktuell nicht her. Insofern ist beispielsweise die Nicht-Nominierung von Leroy Sané für mich keine Überraschung – bei Galatasaray ist er bisher überhaupt nicht gut in die Saison gekommen, darüber täuschen auch seine vier Torbeteiligungen (ein Tor, drei Vorlagen) in acht Pflichtspielen nicht hinweg. Beim unerwarteten 1:0-Sieg über den FC Liverpool in der Champions League saß er das komplette Spiel auf der Bank – das ist schon ein Zeichen für seine aktuelle Form. Und um für die deutsche Nationalmannschaft nominiert zu werden, musst du in Top-Verfassung sein. Das darf kein Argument sein Dass Nagelsmann zuletzt aber sagte, Sané spiele "in einer Liga, die einen Tick schlechter ist als die Bundesliga . Er muss mehr auffallen", fand ich dann doch merkwürdig. Mit dieser Aussage hat mich der Bundestrainer sehr verwundert. Denn auch einer "zweitrangigen" Liga wie der türkischen Süper Lig oder der niederländischen Eredivisie muss es für einen Spieler möglich sein, sich mit starken Leistungen für die Nationalmannschaft zu empfehlen. Das Niveau der Liga darf da kein Argument sein, sondern einzig und allein, was der Spieler dort zeigt. Sehr viel hat in den vergangenen Wochen dagegen Karim Adeyemi von Borussia Dortmund gezeigt: sechs Torbeteiligungen in sieben Pflichtspielen für Borussia Dortmund. Adeyemi hat es wohl endlich verstanden, was es heißt, Woche für Woche abzuliefern. Mit dieser Konstanz ist er nicht nur für den BVB unverzichtbar, sondern auch ein wertvoller Spieler für Nagelsmann. Derweil ist ein Teamkollege Adeyemis für mich der große Verlierer der bisherigen Saison fest: Dortmunds Pascal Groß. Der Mittelfeldspieler hat seinen Stammplatz beim BVB verloren und konnte sich damit auch nicht für die DFB-Elf empfehlen. Völlig verständlich, dass Nagelsmann ihn deshalb nicht berücksichtigt hat. Wirtz' Situation ist spannend Sowohl die Berufung von Jonathan Burkardt nach starken Auftritten für Eintracht Frankfurt als auch das bemerkenswerte Comeback von RB Leipzigs Ridle Baku nach vier Jahren ohne Nominierung sind derweil nicht nur verdient, sondern auch ganz clevere Schachzüge von Nagelsmann. Der Bundestrainer sendet damit ein klares Zeichen an die Spieler: Wenn Ihr im Verein gute Leistungen bringt und funktioniert, dann ist die Tür zur Nationalmannschaft für euch immer offen. Das Leistungsprinzip gilt – in die eine wie auch die andere Richtung. Sie kennen aber die Redewendung: "Keine Regel ohne Ausnahme"? Genauso geht es mir jetzt nämlich. Denn für Florian Wirtz hat Nagelsmann sein stets implementiertes – und von mir wiederholt gelobtes – Leistungsprinzip außer Kraft gesetzt und den 22-Jährigen natürlich wieder nominiert. Obwohl Wirtz sich in den ersten Saisonwochen beim FC Liverpool doch sehr, sehr schwertut. In neun Spielen für die "Reds" hat er erst eine einzige Torbeteiligung zustande gebracht, wird bereits öffentlich scharf kritisiert. Das ist eine ganz spannende Situation: Gilt das Leistungsprinzip für Wirtz etwa nicht? Sind vor Nagelsmann doch nicht alle Nationalspieler gleich? Die Antwort ist ganz klar: Doch, natürlich – aber Wirtz ist ein besonderer Fall. Er hat den ersten ganz großen Wechsel seiner Karriere hinter sich, muss sich mit seinem neuen Umfeld, seinen neuen Mitspielern, einer neuen Liga und einem neuen Land akklimatisieren. Damit hat er aktuell noch sichtlich Probleme. Und ich kann das nachvollziehen: Als ich 1992 zur AC Florenz gewechselt bin, ging es mir ähnlich, ich brauchte eine Zeit, mich richtig einzugewöhnen. Woltemade? Es gibt einen grundlegenden Unterschied Aber: Mit diesen Schwierigkeiten und vor allem auch mit der Kritik muss er klarkommen. Sportlich ging es für ihn bisher stets steil aufwärts – nun aber eben nicht mehr. Diese Zeit kann und muss für Wirtz enorm lehrreich sein. Er muss jetzt die richtigen Antworten finden – auch im Sinne seiner Karriere, in der er ja noch 15 Jahre vor sich hat. An dieser aktuellen Krise kann er wachsen. An dieser Krise wird er wachsen. Wenn er die richtigen Schlüsse zieht, kann er endgültig in die absolute Weltklasse vordringen. Ganz anders lief es bisher ja übrigens bei Nick Woltemade bei Newcastle United. Schon drei Tore in sechs Pflichtspielen hat der frühere Stuttgarter für seinen neuen Klub erzielt, es scheint wirklich direkt zu funktionieren zwischen Verein und Spieler. Aber es gibt einen grundlegenden Unterschied zu Wirtz' Situation. Denn Woltemade kommt in Newcastle direkt so groß heraus, weil mit Ende der Wechselfrist der eigentliche Torjäger Alexander Isak verkauft wurde – ironischerweise nach Liverpool. Auch dadurch und durch die entstandene mangelnde Konkurrenz auf seiner Position ist Woltemade dort nun eigentlich unantastbar – und dankt es mit guten Leistungen. Wirtz dagegen ist in einer mit 500 Millionen Euro verstärkten Offensive um Isak, Mo Salah, Hugo Ekitiké, Cody Gakpo, Dominik Szoboszlai und Federico Chiesa eher einer unter vielen, gerade in seiner aktuellen Verfassung. Ganz wichtig: Liverpool-Trainer Arne Slot tüftelt auch gerne mal an System und Aufstellungen herum – das kann nichts Gutes für Wirtz bedeuten, wenn er nicht in den kommenden Wochen wieder zu seiner Form findet. Das ist nun die größte Herausforderung in seiner bisherigen Karriere. Und genau deshalb war es von Nagelsmann absolut richtig, den früheren Leverkusener wieder mitzunehmen. Er ist ein fester und ganz wichtiger Bestandteil der DFB-Elf, und er kann aktuell etwas Rückendeckung gut gebrauchen. Jetzt klappt es hoffentlich, dass sich Wirtz über die Nationalmannschaft das Selbstvertrauen zurückholt, das ihm in Liverpool aktuell zu fehlen scheint. Wir haben keinen Unterschiedsspieler mehr im Tor Unter den nominierten Torhütern vermissten derweil viele Noah Atubolu vom SC Freiburg . Mit den berufenen Oliver Baumann , Alexander Nübel und Finn Dahmen plus Atubolu haben wir zwar vier international gute Schlussmänner – aber nicht mehr die Weltklasse vergangener Jahre, keinen großen Namen, vor dem die gegnerischen Stürmer schon im Voraus Respekt haben. Denn man darf nicht vergessen: Unsere drei Torhüter spielen im Verein aktuell nicht bei den Bayern, in Dortmund oder bei Bayer Leverkusen , sondern in Hoffenheim, Stuttgart und Augsburg. Die haben nicht ständig Weltklassestürmer vor sich in der Champions League und werden auf höchstem europäischen Niveau gefordert. Erinnern Sie sich nämlich an die WM 2022? Wer stand da im Tor des späteren Weltmeisters Argentinien? Emiliano Martínez, der ein überragendes Turnier spielte. Im Viertelfinale hielt er gegen die Niederlande gleich zwei Elfmeter, rettete seine Mannschaft im Endspiel gegen Frankreich durch eine starke Parade gegen Randal Kolo Muani kurz vor Ende der Verlängerung ins Elfmeterschießen – und hielt dort dann auch noch den Schuss von Kingsley Coman . Ohne ihn hätte Argentinien nicht den Titel geholt. Einen solchen Unterschiedsspieler haben wir im Tor aktuell nicht mehr. Daran müssen die Bayern unbedingt anknüpfen Unterschiedlich waren dafür die Vorstellungen der deutschen Klubs in der Champions League unter der Woche. Es hat sicher nicht nur mir imponiert, wie gefestigt der FC Bayern und auch Borussia Dortmund wirken. 5:1 bei Pafos auf Zypern – ein standesgemäßes Ergebnis für die Münchner, die mit dem FC Brügge direkt eine weitere lösbare Aufgabe vor der Brust haben. Danach aber haben die Bayern gleich zweimal eine große Chance: Nach Brügge stehen nämlich erst Paris Saint-Germain, dann der FC Arsenal im Terminkalender – und da können die Bayern ein deutliches Zeichen an die Konkurrenz senden. Schon das 3:1 am ersten Spieltag gegen Chelsea war schließlich stark, und daran müssen sie unbedingt anknüpfen. Das gelingt aber nicht mit einem Sieg bei einem Außenseiter wie Pafos, sondern bei einem echten Konkurrenten um den Titel. Das wäre eine Warnung an die europäische Konkurrenz. Das wird ein heißer Herbst für den FC Bayern – aber auch für die drei anderen deutschen Champions-League-Teilnehmer. Denn die nächsten Wochen werden zeigen, wohin die Reise gehen wird – nicht nur in Europa, auch in der Bundesliga und im DFB-Pokal. Borussia Dortmund wird es sicher noch immer schmerzen, dass am ersten Spieltag bei Juventus Turin eine 4:2-Führung noch in der Nachspielzeit verspielt wurde. Mit dem 4:1 gegen Athletic Bilbao hat sich die Mannschaft von Trainer Niko Kovač eindrucksvoll zurückgemeldet und gezeigt, dass diese doch sehr dramatische Schlussphase von Turin keine Spuren hinterlassen hat. Im Gegenteil: Der BVB hat gegen Bilbao zeitweise begeistert – wird gemeinsam mit den Bayern unter den ersten Acht in die nächste Runde einziehen, da lege ich mich fest. Toppmöller muss sich etwas überlegen Bayer Leverkusen gibt aktuell ein sehr schwankendes Bild ab. Eigentlich hätte die Werkself die Partie gegen die PSV Eindhoven gewinnen müssen. Stattdessen aber gab es ein 1:1, und sie liegen nach dem zweiten Unentschieden in zwei Spielen weit hinten in der Tabelle. Da ist jetzt richtig Druck drauf. Ich sehe bei Bayer in dieser Saison einfach nicht diese Lockerheit, dieses Selbstverständnis, auch diese Spielfreude der vergangenen Jahre nicht mehr. Ein Hauptgrund dafür ist natürlich, dass die Leverkusener im Sommer mit Jonathan Tah und Granit Xhaka gleich mehrere absolute Führungsspieler verloren haben, die sie in der aktuellen Situation aber dringend bräuchten. Dadurch fehlt ihnen die Stabilität. Maximal schafft es die Werkself noch über die Playoffs in die nächste Runde der Champions League, einen anderen Weg sehe ich da nicht. Bei Eintracht Frankfurt hatte ich schon ein bisschen geahnt, was da bei Atlético Madrid auf sie zukommen würde. Nur einen Tag nach diesem 6:4 bei Borussia Mönchengladbach mussten die Frankfurter in die spanische Hauptstadt reisen – und sich dann in einem Hexenkessel vor beeindruckender Kulisse mit einer sehr, sehr starken Mannschaft messen. Das war in der Summe einfach zu viel. Durch das 1:5 hat die Eintracht nun 13 Gegentore in den letzten drei Spielen kassiert – das kann so auf keinen Fall weitergehen. Trainer Dino Toppmöller muss sich jetzt unbedingt überlegen, ob er in solchen Spielen etwas Risiko rausnimmt und nicht auf großes Offensivfeuerwerk, sondern stattdessen auf mehr Stabilität setzt. Das muss sowohl für ihn als auch für die Spieler eine Lehrstunde gewesen sein. Denn auf diesem Niveau wirst du für zu viel Wagemut gnadenlos bestraft – wie jetzt durch Atlético. Und es wird nicht leichter, im Gegenteil: Auf die Eintracht warten in der "Königsklasse" nun der FC Liverpool, dann die SSC Neapel. Von den vier deutschen Champions-League-Teilnehmern haben die Frankfurter das schwerste Programm, und ich muss sagen: Bei diesen extremen Schwankungen im Spiel würde es mich sehr überraschen, wenn sie es in die Playoffs schaffen sollten. Gladbachs Fans machen sich große Sorgen Zum Schluss muss ich aber auch noch etwas zu meiner Borussia aus Mönchengladbach sagen. Am Donnerstagabend hatte ich dort einen Bühnentalk mit gut 400 Zuschauern. Ich habe dabei gemerkt, wie viel Angst die Fans um ihren Verein haben – und das zu Recht: Kein Sieg aus den ersten fünf Bundesligaspielen, die "Fohlen" sind aktuell Schlusslicht der Bundesliga. Es macht den Anhängern große Sorgen, in welche Richtung sich ihr Verein aktuell bewegt. Besonders bedrückend fand ich die Reaktion, als es im Austausch um einen möglichen Abstieg ihres Klubs aus der Bundesliga ging. Da war die Stimmung eher so, dass man das in dieser Saison durchaus für möglich hält und sich schon so ein wenig darauf vorbereitet. Da hat bei den Fans ein Realismus eingesetzt, der der Situation leider mehr als angemessen ist. Ich bezweifle allerdings, dass das auch bei der Vereinsspitze so der Fall ist. Zuletzt ist nun auch Sportchef Roland Virkus gegangen – nach 35 Jahren im Klub. Für mich ist das schon befremdlich, dass einer, der so lange so viel für diesen Verein getan hat, der diesen Verein auch so intensiv gelebt hat, nicht mehr mit an Bord ist und mithelfen kann, das Ruder wieder herumzureißen. Man darf schließlich auch nicht vergessen: Virkus waren finanziell wiederholt die Hände gebunden – und mit solchen Zwängen kann sich ein Verein nicht weiterentwickeln. Im Gegenteil braucht es dazu doch Investitionen, um auch sportliche Fortschritte zu machen. Stattdessen plagt sich die Mannschaft mit personellen Problemen: Torjäger Tim Kleindienst fehlt schon seit geraumer Zeit, auch Mittelfeldspieler Franck Honorat ist aktuell verletzt. Namhafte Abgänge wie Kō Itakura oder Alassane Pléa wurden – eben auch durch die Virkus auferlegten finanziellen Zwänge – nicht gleichwertig aufgefangen. Ein Bundesligaklub braucht schließlich eine funktionierende Achse, genau diese Achse ist der Borussia im Sommer weggebrochen. Ich sehe nun eine große Gefahr: Sind die verbliebenen Leistungsträger mit Blick auf die aktuelle Situation denn überhaupt bereit, langfristig bei diesem Verein zu bleiben? Denn natürlich werden sie genau hinschauen, wie die Entwicklung weitergeht und entscheiden sich im kommenden Frühjahr dann vielleicht, den Klub zu verlassen. Das muss die Gladbacher nun beschäftigen, und das müssen sie unbedingt verhindern.
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