Ein schwer verletzter Motorradfahrer verliert mit 16 Jahren die Kontrolle über seinen Körper: Jetzt hilft ihm ein Chip im Kopf, wieder ein Stück Unabhängigkeit zurückzugewinnen. Michael Mehringer war gerade 16, als ein Motorradunfall sein Leben veränderte. Seitdem ist er vom Hals abwärts querschnittsgelähmt. Heute, fast zehn Jahre später, steht der 25-Jährige im Zentrum eines europäischen Forschungsprojekts, das medizinische Geschichte schreibt: Als erster Mensch in Europa trägt er eine sogenannte Hirn-Computer-Schnittstelle, die Bewegungen allein über Gedanken steuern soll. Europaweite Premiere in München Ein Team des Universitätsklinikums der Technischen Universität München hat die mehr als fünfstündige Operation durchgeführt. Die Spezialisten der Neurochirurgie implantierten dem Patienten 256 Mikroelektroden gezielt in den Bereich des Gehirns, der für komplexe Greifbewegungen zuständig ist. "Die größte Herausforderung bestand darin, die Elektroden sehr genau zu implantieren. Nur so erhält man hinterher exakte Ableitungen und kann Hirnsignale präzise messen", sagt Klinikdirektor Bernhard Meyer. Für den jungen Mann ist die Hoffnung groß: "Ich erhoffe mir, dass ich wieder selbstständig essen und trinken kann und etwas weniger Hilfe im Alltag benötige." Trotz seiner Einschränkung blickt er positiv nach vorn. Über einen Zeitungsbericht wurde er auf die Studie aufmerksam. Seitdem arbeitet er regelmäßig mit dem Forschungsteam im Labor zusammen. Studie findet neue Erklärung: Warum Frauen länger leben als Männer Leberzirrhose bis Krebs: Neuer Test erkennt Risikopatienten Mit Hirnsignalen den Roboterarm steuern Die Hirn-Computer-Schnittstelle verbindet das Gehirn direkt mit einem Computer. Ein spezieller Messkopf liest die Signale der Nervenzellen aus. Künstliche Intelligenz wertet die Daten aus und erkennt, welche Bewegungen sich der Patient vorstellt. "Anstatt von Menschen zu erwarten, dass sie sich anpassen und den Umgang mit Robotersystemen erlernen, liegt unser Schwerpunkt darauf, Systeme zu entwickeln, die menschliche Absichten erkennen", erklärt Projektleiterin Melissa Zavaglia. Zunächst lernen Patient und System gemeinsam, einen Cursor auf einem Bildschirm zu bewegen – allein über Gedanken. Später soll Mehringer auch einen Roboterarm steuern können. Erste Tests zeigen: Wenn er sich bestimmte Bewegungen nur vorstellt, erkennt das System bereits, was er tun will. Große Herausforderungen für Betroffene In Deutschland leben etwa 140.000 Menschen mit Querschnittslähmung. Jährlich kommen rund 2.400 neue Fälle hinzu – häufig durch Unfälle, aber auch durch Tumore, Entzündungen oder Veränderungen der Wirbelsäule. Viele Betroffene bleiben ihr Leben lang auf Hilfe angewiesen. Der Alltag wird oft von Pflege, Abhängigkeit und fehlender Selbstbestimmung geprägt. Die Münchner Forschung will hier ansetzen: durch Technologien, die Betroffenen neue Wege zur Teilhabe eröffnen. "Unser Ziel ist, den Rückstand Europas und Deutschlands aufzuholen, indem wir Projekte durchführen, die anderswo nicht möglich sind", betont Simon Jacob, Leiter für Translationale Neurotechnologie. Führende US-Einrichtungen investieren seit Jahren in diese Technik. Menschen mit Pioniergeist gesucht Die Forscher setzen ihre Arbeit in den kommenden Jahren fort und suchen weitere junge Erwachsene mit Querschnittslähmung aus dem Raum München. Voraussetzung ist eine positive Grundeinstellung und der Wille, aktiv an medizinischer Forschung teilzunehmen. "Wichtig ist zu verstehen: Das ist keine Therapie, sondern Forschung", sagt Jacob. "Der Fortschritt ist nicht planbar, wie bei einer Tablette. Aber ohne Menschen wie Michael Mehringer würden wir ihn gar nicht erreichen." "Wir suchen Menschen mit Pioniergeist und einer positiven Lebenseinstellung. Für unsere Studienteilnehmer ist wichtig zu verstehen, dass sie an Forschung teilnehmen, nicht an Heilung", so Jacob.