"Tatort: Letzte Ernte": Warum dieser ARD-Krimi so wichtig war

latest news headlines 6 std vor
Flipboard
Charlotte Lindholm versucht, einen Mord aufzuklären, in einem Umfeld, in dem jeder jeden kennt – und niemand etwas sagt. Dieser Fall geht weit über eine kopflose Leiche hinaus. Ein einsamer Hof, Nebelschwaden über den Apfelplantagen, eine kopflose Leiche – der "Tatort: Letzte Ernte" zieht das Publikum sofort hinein in ganz eigene eine Welt im Alten Land. Schnell zeigt sich: Hier geht es um Verzweiflung, Schuld und das stille Sterben einer Lebensweise. Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) ist zurück – und ermittelt, wie zu Beginn ihrer Karriere, wieder allein. Kein eingespieltes Team, keine Unterstützung vor Ort. Stattdessen führt ihre Spur sie aufs Land. Der einzige Kontakt: eine Kollegin in Hannover und ein örtlicher Polizist, der nicht nur wenig hilfreich ist, sondern offenbar Beweise verschwinden lässt. Es ist ein einsames Arbeiten, das ganz auf Lindholm zugeschnitten ist: analytisch, distanziert, durchdringend. Maria Furtwängler: "Ich würde es sehr bedauern" Im Zentrum des Falls steht ein Hof, der viel mehr ist als ein Tatort . Die Familie Feldhusen lebt dort, arbeitet dort und zerbricht beinahe daran. Die Figuren sind fein gezeichnet, keine Klischees, keine Schwarz-Weiß-Darstellungen. Sie sind stark und zugleich am Ende ihrer Kräfte. Lina Wendel spielt die Bäuerin und Aktivistin Marlies Feldhusen mit stillem Druck, der sich in jeder Geste zeigt. Ronja Herberich überzeugt als Frauke Feldhusen: Schwiegertochter, Ehefrau, Bäuerin und vor allem eine Frau, die sich zwischen den Rollen aufreibt. Besonders eindrucksvoll: Henning Flüsloh als depressiver Landwirt Sven Feldhusen, der im Hintergrund zu verschwinden scheint und dennoch eine zentrale Rolle spielt. Diese Familie kämpft um alles: den Hof, die Würde, die Fassade. Und gerade deshalb nimmt man ihr jede Emotion ab. Der Film erzählt nicht nur von einem Kriminalfall, sondern auch vom Niedergang einer bäuerlichen Existenz. Und das auf sehr leise, sehr eindringliche Weise. "Letzte Ernte" lebt von seiner dichten, manchmal beinahe gespenstig und gruselig wirkenden Atmosphäre. Die Kamera fängt das Alte Land nicht in warmem Abendlicht ein, sondern zeigt karge Felder, leere Gehöfte, weite Flächen, die mehr verbergen als offenbaren. Es ist kein überhöhtes Landidyll, das hier dargestellt wird, sondern Realität, ungeschönt. Die Felder sind nicht bloß Kulisse, sondern Mitspieler. Ist das noch "Tatort" oder schon Horror: Darum ging es im neuen Krimi Lindholm setzt bei ihren Nachforschungen auf klassische Ermittlungsarbeit. Zeugen werden befragt, Beweise gesammelt. Regisseur Johannes Naber sagte dazu im ARD-Gespräch: "Tatsächlich war die klassische Detektivin das Leitmotiv unseres Films. Wir haben uns an Krimiklassikern und legendären Serien orientiert und versucht, das Genre ein wenig neu zu beleben. Wie Hercule Poirot in den Agatha-Christie-Verfilmungen 'Mord im Orient Express' oder 'Tod am Nil' versammelt Charlotte Lindholm am Ende alle Verdächtigen am Ort des Verbrechens und geht den Fall noch einmal durch." Dieser Moment, wenn Lindholm die losen Fäden verknüpft, verleiht dem "Tatort" eine besondere Note: klassisch im Aufbau, modern in der Inszenierung. Achtung, Spoiler Wer der Täter oder die Täterin ist, lässt sich kaum vorhersagen, da gleich mehrere Personen ein glaubwürdiges Motiv hätten, viele haben etwas zu verbergen. Dass am Ende ausgerechnet die Person für den Tod verantwortlich ist, die das Opfer am meisten geliebt hat, macht den Schluss besonders tragisch – und schmerzhaft konsequent. Der Fall beginnt zwar mit dem Mord, doch schon bald zeigt sich: Das wahre Thema des Films ist ein anderes. Es geht um Landwirtschaft in der Krise, um Familienbetriebe, die unter Auflagen zusammenbrechen, um Bio-Umstellung und Pestizide, um Idealismus und Überforderung. Der "Tatort: Letzte Ernte" zeigt beide Seiten – und gerade darin liegt seine Stärke. Die einen wollen gesunde Lebensmittel , kurze Lieferketten und Nachhaltigkeit. Die anderen wissen nicht mehr, wie sie den Kosten, Regeln und Erwartungen entsprechen sollen. Dazwischen: Menschen, die das alles tragen müssen. Über die Vielfalt der Arten und ihre Bedrohung durch eine monokulturelle Landwirtschaft hat Furtwängler schon 2024 die Dokumentation "Das Ende der Insekten?" gedreht. Es war ihre Idee, diese Thematik in einem "Tatort" aufzugreifen. Das Thema liegt ihr am Herzen. "Das Alte Land ist ein wichtiger Teil von Niedersachsen und ist geprägt durch Apfelmonokulturen", erklärte Furtwängler im Interview mit t-online . "Wenn man vor dem Hintergrund eine Geschichte erzählt, bleibt es nicht aus, die harte Realität der Bauern zu zeigen – und auch die gesundheitlichen Schäden, die durch Pestizide entstehen können. Viele Menschen wissen nicht, dass zum Beispiel Parkinson bei Bauern als Berufskrankheit anerkannt ist." "Letzte Ernte" ist ein gelungener "Tatort", weil er sich Zeit nimmt. Für seine Figuren, für die Landschaft, für den Druck, unter dem alle stehen. Er verzichtet auf Action, aber nicht auf Spannung. Die Figuren sind glaubwürdig, die Konflikte realistisch. Auch die Nebenrollen, etwa der Dorfpolizist, der zwischen Loyalität und Opportunismus laviert, fügen sich stimmig ins Gesamtbild ein. Wer nach diesem "Tatort" anders über Äpfel im Supermarkt denkt, hat womöglich mehr mitgenommen als nur einen spannenden Filmabend. Teilen Sie Ihre Meinung mit Wie gefiel Ihnen dieser "Tatort"? Schreiben Sie eine E-Mail an [email protected] . Bitte nutzen Sie den Betreff "Tatort" und begründen Sie.
Aus der Quelle lesen