Nach der Eskalation zwischen sunnitischen Clans und Drusen bombardiert Israel erneut Ziele in Syrien. Die USA schalten sich ein, aber welches Ziel verfolgt Benjamin Netanjahu wirklich mit seinem Militäreinsatz? Es waren große Explosionen, die für die Bevölkerung in Damaskus am Mittwoch völlig überraschend kamen. Beim arabischen Fernsehsender Al Jazeera konnten Zuschauer zufällig live mitverfolgen, wie die israelische Armee das syrische Verteidigungsministerium angriff. Große Rauchsäulen stiegen in die Luft, Trümmer stürzten auf vorbeifahrende Autos, Menschen rannten davon, Schreie. Es war ein Angriff, der Syrien mitten ins Herz traf. Mitten am helllichten Tag erinnerte Israel die Führung und die Bevölkerung daran, dass sie Angriffen aus dem hochgerüsteten Nachbarland schutzlos ausgeliefert sind. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu begründete die Angriffe damit, die religiöse Minderheit der Drusen schützen zu wollen. Zuvor war die Gewalt zwischen drusischen und sunnitischen Beduinenclans im Süden des Landes eskaliert, wobei es zahlreiche zivile Opfer gab. Doch das ist wahrscheinlich nur die halbe Wahrheit. Nach dem Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad im Dezember 2024 ist die neue islamistische Führung noch immer geschwächt, muss ihre Macht im Land noch konsolidieren. Netanjahu hat aber kein Interesse an einem einigen und starken Syrien, noch viel weniger, wenn es von Islamisten regiert wird. In der Folge greift Israel seit Monaten immer wieder militärische Ziele der neuen syrischen Führung an. "Schockierende" Gewalt Knapp 14 Jahre Bürgerkrieg haben in dem Land tiefe Narben hinterlassen. Syrien ist ein Puzzle aus unterschiedlichen Ethnien und religiösen Konfessionen, die einander oft misstrauen und die alle nach möglichst viel Autonomie streben. Außenminister Johann Wadephul (CDU) verurteilte am Donnerstag die Angriffe auf die drusische Minderheit. Die hohe Zahl ziviler Opfer in der Provinz Suwaida sei "schockierend", erklärte der CDU-Politiker. Die syrische Übergangsregierung rief er auf, ihre Staatsbürger "unabhängig von Konfession oder Ethnie vor Gewalt zu schützen". Aber was war passiert? In der südsyrischen Provinz Suwaida war es am Sonntag und in den Tagen danach zu blutigen Kämpfen zwischen der islamischen Minderheit der Drusen und sunnitischen Beduinen gekommen, bei denen laut Informationen von t-online mehr als 500 Menschen getötet wurden. Als syrische Regierungskräfte in die Stadt Suwaida einrückten, flog die israelische Armee Luftangriffe gegen Syrien – nach israelischen Angaben sollten damit die Drusen geschützt werden. Am Mittwochabend wurde eine Waffenruhe vereinbart. Eigentlich ist es im Interesse des neuen syrischen Machthabers Ahmed al-Scharaa, dass es nicht erneut zu blutigen Kämpfen kommt. Auch am Donnerstag versprach er, die drusische Minderheit zu schützen. Schließlich möchte er international Vertrauen gewinnen, um aus dem Westen Unterstützung zum Wiederaufbau Syriens zu bekommen. Dafür muss er die Vorbehalte ausräumen, die aufgrund seiner Vergangenheit bestehen, denn al-Scharaa war Mitglied der islamistischen Terrororganisationen al-Qaida und al-Nusra. Aber die vergangenen Monate zeigten auch, dass die neue syrische Führung Probleme hat, selbst die mit ihnen verbündeten Milizen unter Kontrolle zu halten. So gab es etwa Kämpfe mit den Überresten von Assads Armee; im März verübten islamistische Kämpfer ein Massaker an Hunderten Alawiten. Das zeigt vor allem eines: al-Scharaa hat noch keine solide Machtbasis, keine Armee, die das neue Regime absichert. Vielmehr wird die syrische Regierung größtenteils von einem Sammelsurium von sunnitischen Milizen und Warlords unterstützt, die sich vormals auf den gemeinsamen Feind Baschar al-Assad einigen konnten. Israel sieht syrische Führung kritisch Israels Angriffe auf Damaskus sind nun deshalb Machtdemonstration und Drohgebärde. Sie sollen das syrische Regime unter Druck setzen, der Gewalt gegen die Drusen Einhalt zu gebieten. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Für die israelische Führung ist Machthaber al-Scharaa ein "Islamist im Anzug". "Die Signale aus Damaskus sind verflogen – nun werden schmerzhafte Schläge folgen", schrieb der israelische Verteidigungsminister Israel Katz am Mittwoch auf X. "Die israelischen Streitkräfte werden ihre Operationen in Suwaida mit aller Kraft fortsetzen, um die Streitkräfte, die die Drusen angegriffen haben, bis zu ihrem vollständigen Abzug zu vernichten." Doch es war vor allem die US-Regierung, die die Notbremse zog. Einerseits möchte US-Präsident Donald Trump einen weiteren Krieg eskalieren lassen. Andererseits hofft Washington auf einen Friedensvertrag zwischen Syrien und Israel. Unter dem Druck der Amerikaner wurde die Waffenruhe ausgehandelt; die syrischen Regierungstruppen zogen sich in der Folge offenbar aus der südöstlichen Region in Syrien zurück. Man habe sich auf "konkrete Schritte geeinigt, die dieser beunruhigenden und entsetzlichen Situation" ein Ende setzen sollten. Alle Parteien müssten die von ihnen eingegangenen Verpflichtungen einhalten, schrieb US-Außenminister Marco Rubio auf X. Doch ob Israel diese Waffenruhe tatsächlich einhält, ist noch unklar. Noch am Donnerstagmorgen gab es israelische Luftangriffe auf Ziele in Syrien – trotz der Verhandlungen der Amerikaner. Der israelische Generalstabschef Eyal Zamir erklärte, er habe eine weitere Aufstockung der Aufklärungs- und Angriffskapazitäten angeordnet, um nach Bedarf verstärkt zuschlagen und die Übergriffe auf die Drusen in Syrien stoppen zu können. Darüber hinaus berichteten syrische Aktivisten jedoch, dass die israelische Luftwaffe in dem Land gezielt Panzer attackiert. Das würde eher dafür sprechen, dass Israel versucht, das syrische Militär nachhaltig zu schwächen. Netanjahu könnte Motive für weiteren Konflikt haben Die israelische Armee kann in Syrien vor allem ihre militärische Überlegenheit ausspielen. Ähnlich wie im Libanon kann es Angriffe auf ein anderes Land starten, weil die israelische Armee militärisch deutlich überlegen ist. Bei dem Luftangriff auf Damaskus starben etwa 15 Angehörige des syrischen Verteidigungs- und Innenministeriums – im Normalfall wäre ein derartiger Angriff eine Kriegserklärung. Das genaue Motiv von Benjamin Netanjahu, Regierungsgebäude in der syrischen Hauptstadt anzugreifen, blieb bislang unklar. Innenpolitisch ist der israelische Regierungschef angezählt. Im Streit über die Wehrpflicht für streng religiöse Männer in Israel hat der Ministerpräsident am Mittwoch einen weiteren Regierungspartner verloren. Die ultraorthodoxe Schas-Partei teilte mit, sie gebe alle ihre Posten in der Regierung auf, schließe sich im Parlament aber nicht der Opposition an. Zuvor hatte am Dienstag die ebenfalls ultraorthodoxe Partei Vereinigtes Tora-Judentum (UTJ) ihren Austritt aus der Regierungskoalition erklärt. Einerseits hat Natanjahus Regierung nun keine Mehrheit im Parlament mehr. Andererseits möchten sich die ultraorthodoxen Parteien auch nicht der Opposition anschließen und einzelnen Vorhaben der Regierung weiterhin zustimmen. Netanjahu muss also vorerst keine Neuwahlen fürchten. Im Prinzip ist der 75-Jährige seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 ein Kriegspremier. Seine Machtbasis in der israelischen Bevölkerung ist eng damit verbunden, in diesen Kriegszeiten für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Die Kritik an ihm wurde in den vergangenen Monaten immer dann lauter, wenn das Land gerade nicht etwa vom Iran oder der libanesischen Hisbollah unter Beschuss stand. Das bedeutet auch: Netanjahu hat machtpolitische Motive, die Konflikte in der Region weiterzuführen. Das könnte in seinen Motiven also eine Rolle spielen. Denn verliert er seine Macht, muss er in Israel noch immer eine Gefängnisstrafe wegen Korruption fürchten.